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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

Hinsichtlich der Verfassungsänderung selbst ist bereits angedeutet worden,
daß wohl nur wenige unter denen, die das Verlangen nach Autonomie und
nach Vertretung des Reichslandes im Bundesrat als willkommenes Agitations¬
mittel benutzen, sich selbst und der Masse der Wühler Rechenschaft darüber
ablegen, welche Vorteile eine solche Änderung der Bevölkerung von Elsaß-
Lothringen bringen kann. Erscheint es zum mindesten zweifelhaft, ob überhaupt
eine Vertretung des Neichslandes im Bundesrate die Gewähr für eine wirk¬
samere Wahrnehmung der elsaß-lothringischen Interessen bieten würde, so werden
diese Zweifel noch erheblich verstärkt durch den Umstand, daß nicht die Volks¬
vertretungen, sondern die Regierungen es sind, die ihre Vertreter in den
Bundesrat entsenden und mit Instruktionen versehen. Eine Erweiterung der
Rechte der clsaß-lothringischen Bevölkerung käme also nur dann in Frage, wenn
Elsaß-Lothringen eine Republik mit einer ganz parlamentarischen Regierung wie
in Frankreich werden würde. Diejenigen unter den elsaß-lothringischen Politikern,
die sich der Tragweite dieser Frage bewußt sind, haben denn auch konsequenter¬
weise alsbald die Forderung erhoben, Elsaß-Lothringen solle eine Republik
werden. Es hätte jedoch nicht einmal der ironischen Einwendungen gegen diesen
Vorschlag seitens des Landesausschusses selbst bedurft, um zu erkennen, daß
diese Lösung augenscheinlich noch weniger Aussicht hat, zur Durchführung zu
gelangen, als die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen.

Wenn aber Elsaß-Lothringen nicht zu einer Republik gemacht wird, so bleiben
bloß zwei Möglichkeiten: entweder das jetzige System der Statthalterschaft wird
weiter ausgebaut -- etwa in der Form einer Statthalterschaft auf Lebenszeit (der
Name tut nichts zur Sache) -- oder Elsaß-Lothringen wird ein selbständiges
Herzog- oder Großherzogtum unter einer erblichen Dynastie. Für die elsa߬
lothringische Bevölkerung würde keine dieser Lösungen eure wesentliche Ver¬
besserung gegenüber dem jetzigen Zustande mit sich bringen, da sie, wie gesagt,
keinesfalls einen bestimmenden Einfluß auf die Haltung des elsaß-lothringischen
Vertreters im Bundesrate erlangen würde. Die dnrch die ersehnte Autonomie
erhofften Vorteile würden also in dieser Beziehung immer ziemlich platonischer
Natur sein. Nahezu dasselbe gilt von dem weiteren Vorschlag, Elsaß-Lothringen
mit den Segnungen einer Ersten Kammer zu beglücken, der die Aufgabe zufallen
würde, bei der Verabschiedung von Landesgesetzen an die Stelle des Bundes¬
rates zu treten. Nur in regierungstechnischer Beziehung würde eine solche
Änderung gewisse Vorteile bringen, insofern als dann der Bundesrat, ohne
dessen Zustimmung elsaß-lothringische Landesgesetze derzeit nicht zustande kommen
können, durch die Erste Kammer ersetzt werden und sonnt die Verabschiedung
elsaß-Iothringischer Landesgesetze erleichtert und beschleunigt werden würde. Ob
übrigens die Erleichterung der Gesetzgebung auch qualitativ bessere Gesetze im
Gefolge haben würde als bisher, scheint immerhin zweifelhaft.

Vom deutschen Standpunkte aus ist es ziemlich gleichgültig, ob Elsaß-
Lothringen, -- wenn es schon aufhören soll, eine Provinz des Reiches zu sein,


Elsaß-lothringische Fragen

Hinsichtlich der Verfassungsänderung selbst ist bereits angedeutet worden,
daß wohl nur wenige unter denen, die das Verlangen nach Autonomie und
nach Vertretung des Reichslandes im Bundesrat als willkommenes Agitations¬
mittel benutzen, sich selbst und der Masse der Wühler Rechenschaft darüber
ablegen, welche Vorteile eine solche Änderung der Bevölkerung von Elsaß-
Lothringen bringen kann. Erscheint es zum mindesten zweifelhaft, ob überhaupt
eine Vertretung des Neichslandes im Bundesrate die Gewähr für eine wirk¬
samere Wahrnehmung der elsaß-lothringischen Interessen bieten würde, so werden
diese Zweifel noch erheblich verstärkt durch den Umstand, daß nicht die Volks¬
vertretungen, sondern die Regierungen es sind, die ihre Vertreter in den
Bundesrat entsenden und mit Instruktionen versehen. Eine Erweiterung der
Rechte der clsaß-lothringischen Bevölkerung käme also nur dann in Frage, wenn
Elsaß-Lothringen eine Republik mit einer ganz parlamentarischen Regierung wie
in Frankreich werden würde. Diejenigen unter den elsaß-lothringischen Politikern,
die sich der Tragweite dieser Frage bewußt sind, haben denn auch konsequenter¬
weise alsbald die Forderung erhoben, Elsaß-Lothringen solle eine Republik
werden. Es hätte jedoch nicht einmal der ironischen Einwendungen gegen diesen
Vorschlag seitens des Landesausschusses selbst bedurft, um zu erkennen, daß
diese Lösung augenscheinlich noch weniger Aussicht hat, zur Durchführung zu
gelangen, als die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen.

Wenn aber Elsaß-Lothringen nicht zu einer Republik gemacht wird, so bleiben
bloß zwei Möglichkeiten: entweder das jetzige System der Statthalterschaft wird
weiter ausgebaut — etwa in der Form einer Statthalterschaft auf Lebenszeit (der
Name tut nichts zur Sache) — oder Elsaß-Lothringen wird ein selbständiges
Herzog- oder Großherzogtum unter einer erblichen Dynastie. Für die elsa߬
lothringische Bevölkerung würde keine dieser Lösungen eure wesentliche Ver¬
besserung gegenüber dem jetzigen Zustande mit sich bringen, da sie, wie gesagt,
keinesfalls einen bestimmenden Einfluß auf die Haltung des elsaß-lothringischen
Vertreters im Bundesrate erlangen würde. Die dnrch die ersehnte Autonomie
erhofften Vorteile würden also in dieser Beziehung immer ziemlich platonischer
Natur sein. Nahezu dasselbe gilt von dem weiteren Vorschlag, Elsaß-Lothringen
mit den Segnungen einer Ersten Kammer zu beglücken, der die Aufgabe zufallen
würde, bei der Verabschiedung von Landesgesetzen an die Stelle des Bundes¬
rates zu treten. Nur in regierungstechnischer Beziehung würde eine solche
Änderung gewisse Vorteile bringen, insofern als dann der Bundesrat, ohne
dessen Zustimmung elsaß-lothringische Landesgesetze derzeit nicht zustande kommen
können, durch die Erste Kammer ersetzt werden und sonnt die Verabschiedung
elsaß-Iothringischer Landesgesetze erleichtert und beschleunigt werden würde. Ob
übrigens die Erleichterung der Gesetzgebung auch qualitativ bessere Gesetze im
Gefolge haben würde als bisher, scheint immerhin zweifelhaft.

Vom deutschen Standpunkte aus ist es ziemlich gleichgültig, ob Elsaß-
Lothringen, — wenn es schon aufhören soll, eine Provinz des Reiches zu sein,


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[0604] Elsaß-lothringische Fragen Hinsichtlich der Verfassungsänderung selbst ist bereits angedeutet worden, daß wohl nur wenige unter denen, die das Verlangen nach Autonomie und nach Vertretung des Reichslandes im Bundesrat als willkommenes Agitations¬ mittel benutzen, sich selbst und der Masse der Wühler Rechenschaft darüber ablegen, welche Vorteile eine solche Änderung der Bevölkerung von Elsaß- Lothringen bringen kann. Erscheint es zum mindesten zweifelhaft, ob überhaupt eine Vertretung des Neichslandes im Bundesrate die Gewähr für eine wirk¬ samere Wahrnehmung der elsaß-lothringischen Interessen bieten würde, so werden diese Zweifel noch erheblich verstärkt durch den Umstand, daß nicht die Volks¬ vertretungen, sondern die Regierungen es sind, die ihre Vertreter in den Bundesrat entsenden und mit Instruktionen versehen. Eine Erweiterung der Rechte der clsaß-lothringischen Bevölkerung käme also nur dann in Frage, wenn Elsaß-Lothringen eine Republik mit einer ganz parlamentarischen Regierung wie in Frankreich werden würde. Diejenigen unter den elsaß-lothringischen Politikern, die sich der Tragweite dieser Frage bewußt sind, haben denn auch konsequenter¬ weise alsbald die Forderung erhoben, Elsaß-Lothringen solle eine Republik werden. Es hätte jedoch nicht einmal der ironischen Einwendungen gegen diesen Vorschlag seitens des Landesausschusses selbst bedurft, um zu erkennen, daß diese Lösung augenscheinlich noch weniger Aussicht hat, zur Durchführung zu gelangen, als die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen. Wenn aber Elsaß-Lothringen nicht zu einer Republik gemacht wird, so bleiben bloß zwei Möglichkeiten: entweder das jetzige System der Statthalterschaft wird weiter ausgebaut — etwa in der Form einer Statthalterschaft auf Lebenszeit (der Name tut nichts zur Sache) — oder Elsaß-Lothringen wird ein selbständiges Herzog- oder Großherzogtum unter einer erblichen Dynastie. Für die elsa߬ lothringische Bevölkerung würde keine dieser Lösungen eure wesentliche Ver¬ besserung gegenüber dem jetzigen Zustande mit sich bringen, da sie, wie gesagt, keinesfalls einen bestimmenden Einfluß auf die Haltung des elsaß-lothringischen Vertreters im Bundesrate erlangen würde. Die dnrch die ersehnte Autonomie erhofften Vorteile würden also in dieser Beziehung immer ziemlich platonischer Natur sein. Nahezu dasselbe gilt von dem weiteren Vorschlag, Elsaß-Lothringen mit den Segnungen einer Ersten Kammer zu beglücken, der die Aufgabe zufallen würde, bei der Verabschiedung von Landesgesetzen an die Stelle des Bundes¬ rates zu treten. Nur in regierungstechnischer Beziehung würde eine solche Änderung gewisse Vorteile bringen, insofern als dann der Bundesrat, ohne dessen Zustimmung elsaß-lothringische Landesgesetze derzeit nicht zustande kommen können, durch die Erste Kammer ersetzt werden und sonnt die Verabschiedung elsaß-Iothringischer Landesgesetze erleichtert und beschleunigt werden würde. Ob übrigens die Erleichterung der Gesetzgebung auch qualitativ bessere Gesetze im Gefolge haben würde als bisher, scheint immerhin zweifelhaft. Vom deutschen Standpunkte aus ist es ziemlich gleichgültig, ob Elsaß- Lothringen, — wenn es schon aufhören soll, eine Provinz des Reiches zu sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/604>, abgerufen am 26.08.2024.