Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Ferdinand Freiligrath Namen nennt, und sie blendeten auch bei ihrem Erscheinen zuerst die Augen Ferdinand Freiligrath Namen nennt, und sie blendeten auch bei ihrem Erscheinen zuerst die Augen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316155"/> <fw type="header" place="top"> Ferdinand Freiligrath</fw><lb/> <p xml:id="ID_2636" prev="#ID_2635" next="#ID_2637"> Namen nennt, und sie blendeten auch bei ihrem Erscheinen zuerst die Augen<lb/> der Leser, aber poetisch höher zu bewerten sind doch die weniger glanzvollen<lb/> Gedichte, in denen der Dichter uns dadurch persönlich näher tritt, daß er seine<lb/> Stimmungen und kleinen Erlebnisse poetisch verklärt. Dahin gehören z. B.<lb/> „Die Auswanderer", „Die Bilderbibel", die „Sandlieder" usw. und auch manche<lb/> balladenartige, wie z. B. „Nebo". „Der Tod des Führers", „Prinz Eugen",<lb/> „Der Blumen Rache", „Geusenwacht" und vor allem „Der ausgewanderte<lb/> Dichter". Hier finden wir überall Schlichtheit, Empfindungstiefe und Gedanken¬<lb/> reichtum, also Vorzüge, gegen die z. B. der inhaltlich törichte „Löwenritt" und<lb/> so manches andre „tropische" Gedicht trotz der gleißenden Farbenpracht nicht<lb/> ankommen können. Natürlich fehlte es den neu erschienenen Gedichten auch nicht<lb/> an kritischen Gegnern. So richtete Heine in „Atta Troll" eine freilich allzu<lb/> bissige Satire gegen Freiligraths „Janitscharenmusik", gegen „Löwenritt" und<lb/> „Mohrenfürsten", z. B. „Singen nicht die Nachtigallen? Ist der Freiligrath<lb/> kein Dichter? Wer besang' den Löwen besser Als sein Landsmann, das<lb/> Kamel?" — Ferner warf man dem Dichter die Wahl fast ausschließlich fremd¬<lb/> artiger Stoffe vor und fragte sich, ob er aus der fernen Wunderwelt überhaupt<lb/> wohl den Rückweg in das Leben der Heimat finden werde. Nicht ohne Grund.<lb/> Denn die Gefahr lag ja nahe, daß er, auf der bisher betretenen Bahn weiter<lb/> schreitend, schließlich in Manier verfallen könnte. Freiligrath antwortete auf<lb/> diesen Vorwurf, dessen Berechtigung er wohl fühlte, in dem Gedichte „Meine<lb/> Stoffe" in einem Ton der Resignation, aus dem hervorgeht, daß er damals<lb/> noch, freilich mit Unrecht, für die Behandlung heimischer Stoffe nicht geeignet<lb/> zu sein glaubte. Am meisten aber kränkte ihn der ganz ungerechtfertigte Vorwurf<lb/> Dingelstedts und anderer, in seinen Liedern sei „mehr Huf- als Herzschlag zu<lb/> verspüren". Lieder, wie „Der ausgewanderte Dichter", die „Sandlieder" u. a. in.<lb/> lassen das warme Herzblut des Dichters deutlich erkennen. Freilich trug die<lb/> ungestüme Leidenschaftlichkeit seines dichterischen Wesens zum Teil mit die Schuld<lb/> an dieser Verkennung. Seiner glühenden Phantasie sagten das Außerordentliche<lb/> und Seltsame besonders zu, und hierbei überschritt er nicht selten die Grenzen<lb/> des Schönen, verwechselte Kraft mit Roheit und zog das Gräßliche und Wider¬<lb/> liche mit einem gewissen Behagen in den Bereich seiner Dichtung. Alle Pracht<lb/> der Färbung kann dann den unangenehmen Eindruck nicht tilgen. Das ist z. B.<lb/> der Fall in ciomini...", „Die seidene Schnur", „Scipio", „Afrikanische<lb/> Huldigung" u. a. Der Gipfel des Entsetzlichen vollends ist in „Schahingirai"<lb/> erreicht, und man kann nur bedauern, daß hohe dichterische Kunst dazu dienen<lb/> muß, eine solche Scheußlichkeit darzustellen. Diese Verirrungen seiner Phantasie<lb/> stoßen um so mehr ab, als das Gräßliche eben nur als Bild gegeben und weder<lb/> durch Reflexion noch durch Empfindung irgendwie gemildert wird. In der<lb/> Schilderung selbst aber zeigt Freiligrath eine hohe Meisterschaft, in der ihn nur<lb/> wenige erreichen. Er beschreibt nicht äußerlich, sondern erfaßt das Wesen der<lb/> Dinge und stellt ihr inneres Leben dar. In homerischer Weise knüpft er die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Ferdinand Freiligrath
Namen nennt, und sie blendeten auch bei ihrem Erscheinen zuerst die Augen
der Leser, aber poetisch höher zu bewerten sind doch die weniger glanzvollen
Gedichte, in denen der Dichter uns dadurch persönlich näher tritt, daß er seine
Stimmungen und kleinen Erlebnisse poetisch verklärt. Dahin gehören z. B.
„Die Auswanderer", „Die Bilderbibel", die „Sandlieder" usw. und auch manche
balladenartige, wie z. B. „Nebo". „Der Tod des Führers", „Prinz Eugen",
„Der Blumen Rache", „Geusenwacht" und vor allem „Der ausgewanderte
Dichter". Hier finden wir überall Schlichtheit, Empfindungstiefe und Gedanken¬
reichtum, also Vorzüge, gegen die z. B. der inhaltlich törichte „Löwenritt" und
so manches andre „tropische" Gedicht trotz der gleißenden Farbenpracht nicht
ankommen können. Natürlich fehlte es den neu erschienenen Gedichten auch nicht
an kritischen Gegnern. So richtete Heine in „Atta Troll" eine freilich allzu
bissige Satire gegen Freiligraths „Janitscharenmusik", gegen „Löwenritt" und
„Mohrenfürsten", z. B. „Singen nicht die Nachtigallen? Ist der Freiligrath
kein Dichter? Wer besang' den Löwen besser Als sein Landsmann, das
Kamel?" — Ferner warf man dem Dichter die Wahl fast ausschließlich fremd¬
artiger Stoffe vor und fragte sich, ob er aus der fernen Wunderwelt überhaupt
wohl den Rückweg in das Leben der Heimat finden werde. Nicht ohne Grund.
Denn die Gefahr lag ja nahe, daß er, auf der bisher betretenen Bahn weiter
schreitend, schließlich in Manier verfallen könnte. Freiligrath antwortete auf
diesen Vorwurf, dessen Berechtigung er wohl fühlte, in dem Gedichte „Meine
Stoffe" in einem Ton der Resignation, aus dem hervorgeht, daß er damals
noch, freilich mit Unrecht, für die Behandlung heimischer Stoffe nicht geeignet
zu sein glaubte. Am meisten aber kränkte ihn der ganz ungerechtfertigte Vorwurf
Dingelstedts und anderer, in seinen Liedern sei „mehr Huf- als Herzschlag zu
verspüren". Lieder, wie „Der ausgewanderte Dichter", die „Sandlieder" u. a. in.
lassen das warme Herzblut des Dichters deutlich erkennen. Freilich trug die
ungestüme Leidenschaftlichkeit seines dichterischen Wesens zum Teil mit die Schuld
an dieser Verkennung. Seiner glühenden Phantasie sagten das Außerordentliche
und Seltsame besonders zu, und hierbei überschritt er nicht selten die Grenzen
des Schönen, verwechselte Kraft mit Roheit und zog das Gräßliche und Wider¬
liche mit einem gewissen Behagen in den Bereich seiner Dichtung. Alle Pracht
der Färbung kann dann den unangenehmen Eindruck nicht tilgen. Das ist z. B.
der Fall in ciomini...", „Die seidene Schnur", „Scipio", „Afrikanische
Huldigung" u. a. Der Gipfel des Entsetzlichen vollends ist in „Schahingirai"
erreicht, und man kann nur bedauern, daß hohe dichterische Kunst dazu dienen
muß, eine solche Scheußlichkeit darzustellen. Diese Verirrungen seiner Phantasie
stoßen um so mehr ab, als das Gräßliche eben nur als Bild gegeben und weder
durch Reflexion noch durch Empfindung irgendwie gemildert wird. In der
Schilderung selbst aber zeigt Freiligrath eine hohe Meisterschaft, in der ihn nur
wenige erreichen. Er beschreibt nicht äußerlich, sondern erfaßt das Wesen der
Dinge und stellt ihr inneres Leben dar. In homerischer Weise knüpft er die
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