Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.wirtschaftliche Einflüsse Fabrik und nicht zur Handwerk, das hier dieselbe wirtschaftliche Krise durch¬ Überschreitet die Zuwanderung ein gewisses Maß, so muß sowieso die Nun die Frage der natürlichen Vermehrung, die Frage der "Hasen und wirtschaftliche Einflüsse Fabrik und nicht zur Handwerk, das hier dieselbe wirtschaftliche Krise durch¬ Überschreitet die Zuwanderung ein gewisses Maß, so muß sowieso die Nun die Frage der natürlichen Vermehrung, die Frage der „Hasen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316094"/> <fw type="header" place="top"> wirtschaftliche Einflüsse</fw><lb/> <p xml:id="ID_2395" prev="#ID_2394"> Fabrik und nicht zur Handwerk, das hier dieselbe wirtschaftliche Krise durch¬<lb/> zumachen hat wie überall; in die hierdurch geschaffenen Lücken dringt das<lb/> Slawentum ein, das durch nationalen Boykott die Bedingungen des Gedeihens<lb/> des sich in seinen Reihen bildenden Mittelstandes schafft; dasselbe Bild wie in<lb/> Posen. Zum Teil werden die tschechischen Zuwanderer im deutschen Gebiet<lb/> wohl eingedeutscht; aber das nationale Selbstbewußtsein auch des Proletariers<lb/> wächst, der Mittelstalid hat ein materielles Interesse daran, die Massen tschechisch<lb/> zu erhalten und ist natürlich lebhast darum bemüht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2396"> Überschreitet die Zuwanderung ein gewisses Maß, so muß sowieso die<lb/> aufsaugende Kraft der alteingesessenen Bevölkerung nachlassen. Hält man also<lb/> auch bei der Volkszählung die Bilanz noch zahlenmäßig aufrecht, so macht man<lb/> sich doch keine Illusionen darüber, daß sie in gewissem Sinne „frisiert" ist.<lb/> Der deutsche Besitzstand erscheint unterminiert; die slawische Einwanderung ist<lb/> der Minengang, die Forderung nach sprachlichen Rechten das Dynamik, das<lb/> dort eingelagert wird, das drohende Ende die amtlich anerkannte Zwiesprachigkeit<lb/> deutschen Kernlandes. Und in der politischen Abwehr gegen diese Entwicklung<lb/> hat das Deutschtum wiederum eine Schwäche, die in seiner wirtschaftlichen<lb/> Stärke begründet liegt: der deutsche Nachwuchs hat in Handel und Industrie<lb/> ein weites Betätigungsfeld; er wendet sich nicht in gleichem Maße der Ver¬<lb/> sorgung in Staatsstellungen zu, die das Ideal des jungen Slawen sind, der,<lb/> aus niedern sozialen Schichten stammend, sich Mit Stipendien und Unterstützungen<lb/> seiner Konnationalen durch die Studienzeit durchgebracht hat und im Beamtentum<lb/> euie ihn durchaus befriedigende Lebensversorgung sieht. So zieht mit dem<lb/> slawischen Menschenzuzug auch der slawische Beamte ins deutsche Gebiet ein<lb/> und selbst eine Regierung, die den Deutschen wohl wollte, hätte gewisse Schwierig¬<lb/> keiten bei Erfüllung des Wunsches nach deutscher Beamtenschaft in deutschem<lb/> Gebiet zu überwinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2397" next="#ID_2398"> Nun die Frage der natürlichen Vermehrung, die Frage der „Hasen und<lb/> Kaninchen". Betrachtet man die Statistik zwischen 1880 und 1890, so scheint<lb/> das Bild sehr trübe; in den Alpenländern eine Volksvermehrung, die tief unter<lb/> dem Durchschnitt der Monarchie bleibt; die Gründe sind auch hier größtenteils<lb/> wirtschaftlicher Art. Der landwirtschaftliche Betrieb spielt sich in der Form<lb/> des Bauernhofs ab, der eine Teilung kaum zuläßt. Der Bauer zieht sich<lb/> möglichst spät ins Ausgeding zurück. Der Erbe kommt infolgedessen spät zur<lb/> Gründling einer eigenen Familie. Die Hilfskräfte des bäuerlichen Besitzers<lb/> sind Knechte und Mägde, die in patriarchalischer Gemeinschaft mit dem Bauern<lb/> Hausen und keine Möglichkeit haben, selbst zu heiraten; infolgedessen erreicht<lb/> der Prozentsatz der unehelichen Geburten z. B. in Körnten eine Rekordziffer.<lb/> Hand in Hand damit geht die Tatsache, daß sich die Bevölkerung dieses Kron¬<lb/> landes in den zwanzig Jahren von 1880 bis 1900 kaum vermehrt hat. In<lb/> Tirol ist außerdem erst kürzlich der Ehekonsens der Gemeinden abgeschafft<lb/> worden, das heißt jedes Gemeindemitglied bedürfte zur Verehelichung die Zu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
wirtschaftliche Einflüsse
Fabrik und nicht zur Handwerk, das hier dieselbe wirtschaftliche Krise durch¬
zumachen hat wie überall; in die hierdurch geschaffenen Lücken dringt das
Slawentum ein, das durch nationalen Boykott die Bedingungen des Gedeihens
des sich in seinen Reihen bildenden Mittelstandes schafft; dasselbe Bild wie in
Posen. Zum Teil werden die tschechischen Zuwanderer im deutschen Gebiet
wohl eingedeutscht; aber das nationale Selbstbewußtsein auch des Proletariers
wächst, der Mittelstalid hat ein materielles Interesse daran, die Massen tschechisch
zu erhalten und ist natürlich lebhast darum bemüht.
Überschreitet die Zuwanderung ein gewisses Maß, so muß sowieso die
aufsaugende Kraft der alteingesessenen Bevölkerung nachlassen. Hält man also
auch bei der Volkszählung die Bilanz noch zahlenmäßig aufrecht, so macht man
sich doch keine Illusionen darüber, daß sie in gewissem Sinne „frisiert" ist.
Der deutsche Besitzstand erscheint unterminiert; die slawische Einwanderung ist
der Minengang, die Forderung nach sprachlichen Rechten das Dynamik, das
dort eingelagert wird, das drohende Ende die amtlich anerkannte Zwiesprachigkeit
deutschen Kernlandes. Und in der politischen Abwehr gegen diese Entwicklung
hat das Deutschtum wiederum eine Schwäche, die in seiner wirtschaftlichen
Stärke begründet liegt: der deutsche Nachwuchs hat in Handel und Industrie
ein weites Betätigungsfeld; er wendet sich nicht in gleichem Maße der Ver¬
sorgung in Staatsstellungen zu, die das Ideal des jungen Slawen sind, der,
aus niedern sozialen Schichten stammend, sich Mit Stipendien und Unterstützungen
seiner Konnationalen durch die Studienzeit durchgebracht hat und im Beamtentum
euie ihn durchaus befriedigende Lebensversorgung sieht. So zieht mit dem
slawischen Menschenzuzug auch der slawische Beamte ins deutsche Gebiet ein
und selbst eine Regierung, die den Deutschen wohl wollte, hätte gewisse Schwierig¬
keiten bei Erfüllung des Wunsches nach deutscher Beamtenschaft in deutschem
Gebiet zu überwinden.
Nun die Frage der natürlichen Vermehrung, die Frage der „Hasen und
Kaninchen". Betrachtet man die Statistik zwischen 1880 und 1890, so scheint
das Bild sehr trübe; in den Alpenländern eine Volksvermehrung, die tief unter
dem Durchschnitt der Monarchie bleibt; die Gründe sind auch hier größtenteils
wirtschaftlicher Art. Der landwirtschaftliche Betrieb spielt sich in der Form
des Bauernhofs ab, der eine Teilung kaum zuläßt. Der Bauer zieht sich
möglichst spät ins Ausgeding zurück. Der Erbe kommt infolgedessen spät zur
Gründling einer eigenen Familie. Die Hilfskräfte des bäuerlichen Besitzers
sind Knechte und Mägde, die in patriarchalischer Gemeinschaft mit dem Bauern
Hausen und keine Möglichkeit haben, selbst zu heiraten; infolgedessen erreicht
der Prozentsatz der unehelichen Geburten z. B. in Körnten eine Rekordziffer.
Hand in Hand damit geht die Tatsache, daß sich die Bevölkerung dieses Kron¬
landes in den zwanzig Jahren von 1880 bis 1900 kaum vermehrt hat. In
Tirol ist außerdem erst kürzlich der Ehekonsens der Gemeinden abgeschafft
worden, das heißt jedes Gemeindemitglied bedürfte zur Verehelichung die Zu-
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