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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liberalismus und GriZanisatiou?

weise griechischer Tempel und christlicher Dome und moderner Eisengefüge
kehren wir nicht leicht zu jener Stoff- und Raumverschwendung zurück, deren
einziger Zweck das bißchen Spitze zu sein scheint, wie der einzige Erfolg unserer
Verbandsbewegung die gehobene Stelle ihrer paar Führer. Ach, wäre nun
der Verband doch wenigstens so weit der Pyramide gleich, daß er mit den
Füßen auf breiten:, festem Boden stände, ehe irgendein Aufbau in die Höhe
begänne! Aber wenn wir schon Desorganisation in dem allgemeinen Zug vom
Organischen zum Massenhaften erkennen mußten, so ist's im besonderen eine
Desorganisation, wenn unsere Sozial-Architekten, anstatt ihren Verbandsbau
durch Bodenreform zu stützen, vielmehr aus dem vorhandenen Bau der Gesell¬
schaft die Bauglieder herausziehen und in den Dienst eines Sonderbaues, einer
Sonder-Massenwirkung stellen. Bauschau, Baurevision tut hier not. Wir blicken
vom baulichen Bild und Gleichnis hinweg, bleiben aber beim unerbaulichen
Gedanken, mit dem wir uns rechtsum den Trägern des erbaulichen Gedankens
vom Völkerfrieden zuwenden: Den Kriegs- und Belagerungszustand, den
ihr nach draußen verhüten wollt, haben wir im Innern, kein KKocku8, Kie
salta. Aus deu Organen der Staatsgemeinschaft rekrutieren sich die Verbände,
aus dem Fett und Fleisch, aus dem Gut und Blut des Volksorgauismus
zehren sie und bestreikn ihre Rüstung, ihren Vormarsch und Frontangriff gegen¬
einander. Hier zeige sich die Liga des "Völkerfriedens" als eine Liga des
Friedens im Volk und erziehe, wie sie selbst es preist, die Menschen zu
Menschen, indem sie das Organ dem Organismus dienen lehrt und den
unvernünftigen, tyrannischen Willen zur Masse bändigt unter die vernünftige
geduldige Pflege des Lebens! Ein Konkurrenzstreit und -reit der Glieder
beweist nach der Fabel nur, daß der Mensch schläft; der wache Mensch und so
der wache Staat zeigt Geist und Kraft darin, "daß er alle seine Glieder in den
einen Dienst des Gesamtorganismus stellt.

Organisation! So schallt und widerhallt es heute besonders beim
Liberalismus. Er selbst ist nicht Verband, sondern Partei. Verband und
Partei haben offenbar das gemein, daß sie nicht sowohl Organisation sind als
Assoziativ", Masse. Haufen. Aber sie wollen unterschieden sein: beim
Verband geht es mehr um den Magen, bei der Partei um deu Kragen,
nämlich um die bürgerlichen Grundrechte und Ehrenrechte. Der Spruch, den
man einem alten Führer der Liberalen nachspricht, die Partei müsse auf die
Zeichen der Zeit achten, tut der Partei an sich unrecht. Die Zeichen der
Zeit sind wie Kometen und Meteore, wo nicht wie bloße Mondwechsel. Auf
die Fixsterne der Ewigkeit richtet, im Unterschied vom Verband, die Partei
ihren Blick: Gesetze der Natur, Gebote der Sittlichkeit. Erhabenheit der Menschen¬
würde, Offenbarungen der Religion, Lichter der Kirche, Säulen und Grund¬
lagen des Staates. Der Mann des Verbandes gleicht im Gesellschaftsschiff
dem Mitreisenden, der Mann der Partei aber will ans Steuer; der Mann des
Verbandes will nur deu besten Platz im Schiff, der am Steuer will über


Liberalismus und GriZanisatiou?

weise griechischer Tempel und christlicher Dome und moderner Eisengefüge
kehren wir nicht leicht zu jener Stoff- und Raumverschwendung zurück, deren
einziger Zweck das bißchen Spitze zu sein scheint, wie der einzige Erfolg unserer
Verbandsbewegung die gehobene Stelle ihrer paar Führer. Ach, wäre nun
der Verband doch wenigstens so weit der Pyramide gleich, daß er mit den
Füßen auf breiten:, festem Boden stände, ehe irgendein Aufbau in die Höhe
begänne! Aber wenn wir schon Desorganisation in dem allgemeinen Zug vom
Organischen zum Massenhaften erkennen mußten, so ist's im besonderen eine
Desorganisation, wenn unsere Sozial-Architekten, anstatt ihren Verbandsbau
durch Bodenreform zu stützen, vielmehr aus dem vorhandenen Bau der Gesell¬
schaft die Bauglieder herausziehen und in den Dienst eines Sonderbaues, einer
Sonder-Massenwirkung stellen. Bauschau, Baurevision tut hier not. Wir blicken
vom baulichen Bild und Gleichnis hinweg, bleiben aber beim unerbaulichen
Gedanken, mit dem wir uns rechtsum den Trägern des erbaulichen Gedankens
vom Völkerfrieden zuwenden: Den Kriegs- und Belagerungszustand, den
ihr nach draußen verhüten wollt, haben wir im Innern, kein KKocku8, Kie
salta. Aus deu Organen der Staatsgemeinschaft rekrutieren sich die Verbände,
aus dem Fett und Fleisch, aus dem Gut und Blut des Volksorgauismus
zehren sie und bestreikn ihre Rüstung, ihren Vormarsch und Frontangriff gegen¬
einander. Hier zeige sich die Liga des „Völkerfriedens" als eine Liga des
Friedens im Volk und erziehe, wie sie selbst es preist, die Menschen zu
Menschen, indem sie das Organ dem Organismus dienen lehrt und den
unvernünftigen, tyrannischen Willen zur Masse bändigt unter die vernünftige
geduldige Pflege des Lebens! Ein Konkurrenzstreit und -reit der Glieder
beweist nach der Fabel nur, daß der Mensch schläft; der wache Mensch und so
der wache Staat zeigt Geist und Kraft darin, «daß er alle seine Glieder in den
einen Dienst des Gesamtorganismus stellt.

Organisation! So schallt und widerhallt es heute besonders beim
Liberalismus. Er selbst ist nicht Verband, sondern Partei. Verband und
Partei haben offenbar das gemein, daß sie nicht sowohl Organisation sind als
Assoziativ», Masse. Haufen. Aber sie wollen unterschieden sein: beim
Verband geht es mehr um den Magen, bei der Partei um deu Kragen,
nämlich um die bürgerlichen Grundrechte und Ehrenrechte. Der Spruch, den
man einem alten Führer der Liberalen nachspricht, die Partei müsse auf die
Zeichen der Zeit achten, tut der Partei an sich unrecht. Die Zeichen der
Zeit sind wie Kometen und Meteore, wo nicht wie bloße Mondwechsel. Auf
die Fixsterne der Ewigkeit richtet, im Unterschied vom Verband, die Partei
ihren Blick: Gesetze der Natur, Gebote der Sittlichkeit. Erhabenheit der Menschen¬
würde, Offenbarungen der Religion, Lichter der Kirche, Säulen und Grund¬
lagen des Staates. Der Mann des Verbandes gleicht im Gesellschaftsschiff
dem Mitreisenden, der Mann der Partei aber will ans Steuer; der Mann des
Verbandes will nur deu besten Platz im Schiff, der am Steuer will über


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[0431] Liberalismus und GriZanisatiou? weise griechischer Tempel und christlicher Dome und moderner Eisengefüge kehren wir nicht leicht zu jener Stoff- und Raumverschwendung zurück, deren einziger Zweck das bißchen Spitze zu sein scheint, wie der einzige Erfolg unserer Verbandsbewegung die gehobene Stelle ihrer paar Führer. Ach, wäre nun der Verband doch wenigstens so weit der Pyramide gleich, daß er mit den Füßen auf breiten:, festem Boden stände, ehe irgendein Aufbau in die Höhe begänne! Aber wenn wir schon Desorganisation in dem allgemeinen Zug vom Organischen zum Massenhaften erkennen mußten, so ist's im besonderen eine Desorganisation, wenn unsere Sozial-Architekten, anstatt ihren Verbandsbau durch Bodenreform zu stützen, vielmehr aus dem vorhandenen Bau der Gesell¬ schaft die Bauglieder herausziehen und in den Dienst eines Sonderbaues, einer Sonder-Massenwirkung stellen. Bauschau, Baurevision tut hier not. Wir blicken vom baulichen Bild und Gleichnis hinweg, bleiben aber beim unerbaulichen Gedanken, mit dem wir uns rechtsum den Trägern des erbaulichen Gedankens vom Völkerfrieden zuwenden: Den Kriegs- und Belagerungszustand, den ihr nach draußen verhüten wollt, haben wir im Innern, kein KKocku8, Kie salta. Aus deu Organen der Staatsgemeinschaft rekrutieren sich die Verbände, aus dem Fett und Fleisch, aus dem Gut und Blut des Volksorgauismus zehren sie und bestreikn ihre Rüstung, ihren Vormarsch und Frontangriff gegen¬ einander. Hier zeige sich die Liga des „Völkerfriedens" als eine Liga des Friedens im Volk und erziehe, wie sie selbst es preist, die Menschen zu Menschen, indem sie das Organ dem Organismus dienen lehrt und den unvernünftigen, tyrannischen Willen zur Masse bändigt unter die vernünftige geduldige Pflege des Lebens! Ein Konkurrenzstreit und -reit der Glieder beweist nach der Fabel nur, daß der Mensch schläft; der wache Mensch und so der wache Staat zeigt Geist und Kraft darin, «daß er alle seine Glieder in den einen Dienst des Gesamtorganismus stellt. Organisation! So schallt und widerhallt es heute besonders beim Liberalismus. Er selbst ist nicht Verband, sondern Partei. Verband und Partei haben offenbar das gemein, daß sie nicht sowohl Organisation sind als Assoziativ», Masse. Haufen. Aber sie wollen unterschieden sein: beim Verband geht es mehr um den Magen, bei der Partei um deu Kragen, nämlich um die bürgerlichen Grundrechte und Ehrenrechte. Der Spruch, den man einem alten Führer der Liberalen nachspricht, die Partei müsse auf die Zeichen der Zeit achten, tut der Partei an sich unrecht. Die Zeichen der Zeit sind wie Kometen und Meteore, wo nicht wie bloße Mondwechsel. Auf die Fixsterne der Ewigkeit richtet, im Unterschied vom Verband, die Partei ihren Blick: Gesetze der Natur, Gebote der Sittlichkeit. Erhabenheit der Menschen¬ würde, Offenbarungen der Religion, Lichter der Kirche, Säulen und Grund¬ lagen des Staates. Der Mann des Verbandes gleicht im Gesellschaftsschiff dem Mitreisenden, der Mann der Partei aber will ans Steuer; der Mann des Verbandes will nur deu besten Platz im Schiff, der am Steuer will über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/431>, abgerufen am 01.10.2024.