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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gespräch

Gerk: Und du willst sagen, das Hütte Beziehungen zu seiner Kunst?
Das war doch vielleicht nur ein Jugendgedanke von ihm und später sah er
selber ein, daß es für ihn ein Abweg gewesen wäre.

Thom: Meinst du? Stelle dir doch einmal vor, was heißt das denn
eigentlich: Dichten, und um was handelt es sich, wenn man irgend etwas
beschreiben will? Feiner, flüchtiger, noch nie gesagter Dinge will man doch
habhaft werden und sie so aufbewahren, daß sie den Schmelz nicht verlieren,
den sie trugen, als sie zu uns kamen. Du mußt also eine ganze Heerschar
von Worten und Bildern und Vorstellungen haben, denen du gebieten kannst;
und du mußt sie zusammenpassen und du mußt sie ändern, sie müssen ganz
geschmeidig vor dir sein, und meinst du, du vermöchtest dies, ohne ganz genau
zu wissen, woher sie eigentlich kommen und was denn in ihnen steckt? Meinst
du, du könntest irgend etwas anfangen mit hergelaufenen Worten, die blaß
und matt und müde zu dir kommen? Sieh dir Jacobsen an: der wohnt
in der Heimat aller dieser Worte; unter Dingen, von denen andere nur
den Namen wissen, lebt er sein Leben; glaubst du nicht, daß dieser Dinge
Namen für ihn nun etwas ganz anderes bedeuten, viel mehr Inhalt und
Beziehungen haben? Und zwar handelt es sich um Worte, die für die
Beschreibung sehr wichtig sind; um Worte über Gerüche, Farben und Geräusche,
über Leibliches und Tierisches; die sind nun bei ihm und können ihm helfen,
so oft er etwas Neues, etwas Lebendiges, Bewegliches beschreiben will. Er
hob sie ja von lauter lebendigen, beweglichen, miteinander spielenden Dingen.
Glaubst du noch, daß das ein Abweg war?

Gerk: In dem, was du sagst, ist ja sicher Wahres; aber es hat doch
immerhin einige Dichter von Ruf gegeben, die keine Ahnung von Natur¬
wissenschaften hatten.

Thom: Keine Ahnung? Ich weiß nicht. Ich will gar nicht ver¬
allgemeinern; ich sage ja nur, daß das Spezifische in Jacobsens Kunst mit
seinen naturwissenschaftlichen Neigungen ganz sonderbar eng zusammenhängt.
Er war auch ein leidenschaftlicher Darwinianer. Er übersetzte die Abstammung
des Menschen und die Entstehung der Arten ins Dänische, und seine ersten
Schreibereien als junger Student galten der Popularisierung Darwinscher Ideen.

Also Jacobsen meinte, daß wir. . .


Gerk:

Ich bitt Thom: e dich, Gerk; laß doch diese alberne Affenabstammungs¬
geschichte. Laß die doch einmal ganz aus dem Spiel. Der Darwinismus
bedeutet ja doch schließlich etwas ganz anderes. Er bedeutet doch nur, daß
alles, was ist, dem Gesetz der Entwicklung unterstellt ist; daß unser Leben ver¬
knüpft ist mit vielen andern Leben, ja daß wir verwandt sind mit allem, das
überhaupt Leben heißt. Die Kiefernäste da draußen und die Blumen hier auf
dem Tisch und das Mädchen da mit dein Kettenarmband, um die handelt es
sich. Und kannst du dir nicht vorstellen, daß Jacobsen, um das Leben zu
begreifen, das ihm in den Menschen so vielfältig und verschlungen entgegentrat,


Gespräch

Gerk: Und du willst sagen, das Hütte Beziehungen zu seiner Kunst?
Das war doch vielleicht nur ein Jugendgedanke von ihm und später sah er
selber ein, daß es für ihn ein Abweg gewesen wäre.

Thom: Meinst du? Stelle dir doch einmal vor, was heißt das denn
eigentlich: Dichten, und um was handelt es sich, wenn man irgend etwas
beschreiben will? Feiner, flüchtiger, noch nie gesagter Dinge will man doch
habhaft werden und sie so aufbewahren, daß sie den Schmelz nicht verlieren,
den sie trugen, als sie zu uns kamen. Du mußt also eine ganze Heerschar
von Worten und Bildern und Vorstellungen haben, denen du gebieten kannst;
und du mußt sie zusammenpassen und du mußt sie ändern, sie müssen ganz
geschmeidig vor dir sein, und meinst du, du vermöchtest dies, ohne ganz genau
zu wissen, woher sie eigentlich kommen und was denn in ihnen steckt? Meinst
du, du könntest irgend etwas anfangen mit hergelaufenen Worten, die blaß
und matt und müde zu dir kommen? Sieh dir Jacobsen an: der wohnt
in der Heimat aller dieser Worte; unter Dingen, von denen andere nur
den Namen wissen, lebt er sein Leben; glaubst du nicht, daß dieser Dinge
Namen für ihn nun etwas ganz anderes bedeuten, viel mehr Inhalt und
Beziehungen haben? Und zwar handelt es sich um Worte, die für die
Beschreibung sehr wichtig sind; um Worte über Gerüche, Farben und Geräusche,
über Leibliches und Tierisches; die sind nun bei ihm und können ihm helfen,
so oft er etwas Neues, etwas Lebendiges, Bewegliches beschreiben will. Er
hob sie ja von lauter lebendigen, beweglichen, miteinander spielenden Dingen.
Glaubst du noch, daß das ein Abweg war?

Gerk: In dem, was du sagst, ist ja sicher Wahres; aber es hat doch
immerhin einige Dichter von Ruf gegeben, die keine Ahnung von Natur¬
wissenschaften hatten.

Thom: Keine Ahnung? Ich weiß nicht. Ich will gar nicht ver¬
allgemeinern; ich sage ja nur, daß das Spezifische in Jacobsens Kunst mit
seinen naturwissenschaftlichen Neigungen ganz sonderbar eng zusammenhängt.
Er war auch ein leidenschaftlicher Darwinianer. Er übersetzte die Abstammung
des Menschen und die Entstehung der Arten ins Dänische, und seine ersten
Schreibereien als junger Student galten der Popularisierung Darwinscher Ideen.

Also Jacobsen meinte, daß wir. . .


Gerk:

Ich bitt Thom: e dich, Gerk; laß doch diese alberne Affenabstammungs¬
geschichte. Laß die doch einmal ganz aus dem Spiel. Der Darwinismus
bedeutet ja doch schließlich etwas ganz anderes. Er bedeutet doch nur, daß
alles, was ist, dem Gesetz der Entwicklung unterstellt ist; daß unser Leben ver¬
knüpft ist mit vielen andern Leben, ja daß wir verwandt sind mit allem, das
überhaupt Leben heißt. Die Kiefernäste da draußen und die Blumen hier auf
dem Tisch und das Mädchen da mit dein Kettenarmband, um die handelt es
sich. Und kannst du dir nicht vorstellen, daß Jacobsen, um das Leben zu
begreifen, das ihm in den Menschen so vielfältig und verschlungen entgegentrat,


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[0418] Gespräch Gerk: Und du willst sagen, das Hütte Beziehungen zu seiner Kunst? Das war doch vielleicht nur ein Jugendgedanke von ihm und später sah er selber ein, daß es für ihn ein Abweg gewesen wäre. Thom: Meinst du? Stelle dir doch einmal vor, was heißt das denn eigentlich: Dichten, und um was handelt es sich, wenn man irgend etwas beschreiben will? Feiner, flüchtiger, noch nie gesagter Dinge will man doch habhaft werden und sie so aufbewahren, daß sie den Schmelz nicht verlieren, den sie trugen, als sie zu uns kamen. Du mußt also eine ganze Heerschar von Worten und Bildern und Vorstellungen haben, denen du gebieten kannst; und du mußt sie zusammenpassen und du mußt sie ändern, sie müssen ganz geschmeidig vor dir sein, und meinst du, du vermöchtest dies, ohne ganz genau zu wissen, woher sie eigentlich kommen und was denn in ihnen steckt? Meinst du, du könntest irgend etwas anfangen mit hergelaufenen Worten, die blaß und matt und müde zu dir kommen? Sieh dir Jacobsen an: der wohnt in der Heimat aller dieser Worte; unter Dingen, von denen andere nur den Namen wissen, lebt er sein Leben; glaubst du nicht, daß dieser Dinge Namen für ihn nun etwas ganz anderes bedeuten, viel mehr Inhalt und Beziehungen haben? Und zwar handelt es sich um Worte, die für die Beschreibung sehr wichtig sind; um Worte über Gerüche, Farben und Geräusche, über Leibliches und Tierisches; die sind nun bei ihm und können ihm helfen, so oft er etwas Neues, etwas Lebendiges, Bewegliches beschreiben will. Er hob sie ja von lauter lebendigen, beweglichen, miteinander spielenden Dingen. Glaubst du noch, daß das ein Abweg war? Gerk: In dem, was du sagst, ist ja sicher Wahres; aber es hat doch immerhin einige Dichter von Ruf gegeben, die keine Ahnung von Natur¬ wissenschaften hatten. Thom: Keine Ahnung? Ich weiß nicht. Ich will gar nicht ver¬ allgemeinern; ich sage ja nur, daß das Spezifische in Jacobsens Kunst mit seinen naturwissenschaftlichen Neigungen ganz sonderbar eng zusammenhängt. Er war auch ein leidenschaftlicher Darwinianer. Er übersetzte die Abstammung des Menschen und die Entstehung der Arten ins Dänische, und seine ersten Schreibereien als junger Student galten der Popularisierung Darwinscher Ideen. Also Jacobsen meinte, daß wir. . . Gerk: Ich bitt Thom: e dich, Gerk; laß doch diese alberne Affenabstammungs¬ geschichte. Laß die doch einmal ganz aus dem Spiel. Der Darwinismus bedeutet ja doch schließlich etwas ganz anderes. Er bedeutet doch nur, daß alles, was ist, dem Gesetz der Entwicklung unterstellt ist; daß unser Leben ver¬ knüpft ist mit vielen andern Leben, ja daß wir verwandt sind mit allem, das überhaupt Leben heißt. Die Kiefernäste da draußen und die Blumen hier auf dem Tisch und das Mädchen da mit dein Kettenarmband, um die handelt es sich. Und kannst du dir nicht vorstellen, daß Jacobsen, um das Leben zu begreifen, das ihm in den Menschen so vielfältig und verschlungen entgegentrat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/418>, abgerufen am 23.07.2024.