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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

angeführt werden, z. B. aus der Geschichte der Reformationszeit. So heißt
es in einer ultramontanen Geschichte Frankreichs: "Bis zum sechzehnten Jahr¬
hundert waren alle Völker Europas katholisch. Sie gehorchten dem Papste und
erkannten ihn als Statthalter Christi an. Aber zur Zeit Franz des Ersten
empörte sich ein schlechter deutscher Mönch namens Luther gegen den Papst.
Um sich mächtige Beschützer zu sichern, reizte er die Landesherren und Edelleute
dazu auf, sich der Kirchen und Klöster zu bemächtigen. Die neue Lehre rief
alsbald einen Aufruhr der Armen gegen die Reichen hervor, worauf Luther
den Edelleuten befahl, die Aufrührer wie wilde Tiere niederzumetzeln. So
wurden mehr als hunderttausend Unglückliche ausgerottet." In demselben Schul¬
buch sind aus dem deutsch-französischen Kriege nur die Taten der päpstlichen
Zuaven unter Charette berichtet. Nicht einmal Gambetta ist genannt. Dagegen
ist sehr viel die Rede von den Jesuiten, den Kapuzinern, den Wallfahrtsorten
La Salette und Lourdes. Der Pfarrer Franz Kuntze erzählt in einer
Schrift "Der Vereinspräses", Vorträge für katholische Vereine: "Ein Mönch,
Berthold Schwarz, entdeckte das Pulver. Der Mönch Framauro zeichnete 1450
die Landkarte, die Kolumbus zur Entdeckung Amerikas anregte. Der Domherr
Kopernikus entdeckte die Rotation der Erde um die Sonne (wobei zu bemerken
ist, daß Kopernikus, um nicht mit der Kirche in Konflikt zu geraten, seine Lehre
nicht zu veröffentlichen wagte), aber schon hundert Jahre früher lehrte sie ein
Bischof von Regensburg. Der Jesuit Scachi entdeckte die Spektralanalyse. Den
ersten Blitzableiter erfand der Pfarrer Procop Diwiesch. Der Mönch Guoma
erfand den ersten Luftballon, sechzig Jahre vor Montgolfier. Das Gaslicht
haben die Jesuiten erfunden, das Zweirad erfand der Priester Prianton."
Einen bemerkenswerten Ausspruch über Schiller finde ich auch in einer
literarischen Neujahrsbetrachtung des Verb and sorg ans süddeutscher katholischer
Arbeiterinnen "Die Arbeiterin". "Neulich haben sie in allen deutschen
Gauen den Dichter Schiller verherrlicht aus Anlaß seines hundertfünfzigsten
Geburtstages. Ob mau gerade den hundertfünfzigsten Geburtstag in allen
unseren Volksschulen feiern mußte, wo Kinder sitzen von sechs bis dreizehn
Jahren, ist doch sehr fraglich. Die Verdienste Schillers um unsere Schul¬
jugend scheinen denn doch nicht gar so hervorragende zu sein. Da hatten
Canisius, Aloysius, Christoph v. Schund, Salier usw. ganz andere Ver¬
dienste aufzuweisen." Aloysius war der bekannte Heilige, der schon in seiner
Jugend so fromm war, daß er aus Keuschheit nicht wagte, seiner Mutter Brust
All nehmen, und bei dem bloßen Gedanken errötete, Sohn einer Mutter zu sein.

Wir wenden uns wieder der Behandlung der Naturwissenschaften zu,
besonders beachtenswert darum, weil Donat ausdrücklich sagt, die Natur¬
wissenschaftler sollten nicht gestört werden in ihrem Forschungsdrange. Auf
Seite 17 spricht Donat über die Unfehlbarkeit der Lehrkundgebungen der?
Kirche und sucht nachzuweisen, daß diese Autorität auch rein menschlich
betrachtet eine sehr hohe sei. Den Beweis will er durch die Behauptung.


Die Freiheit der Wissenschaft

angeführt werden, z. B. aus der Geschichte der Reformationszeit. So heißt
es in einer ultramontanen Geschichte Frankreichs: „Bis zum sechzehnten Jahr¬
hundert waren alle Völker Europas katholisch. Sie gehorchten dem Papste und
erkannten ihn als Statthalter Christi an. Aber zur Zeit Franz des Ersten
empörte sich ein schlechter deutscher Mönch namens Luther gegen den Papst.
Um sich mächtige Beschützer zu sichern, reizte er die Landesherren und Edelleute
dazu auf, sich der Kirchen und Klöster zu bemächtigen. Die neue Lehre rief
alsbald einen Aufruhr der Armen gegen die Reichen hervor, worauf Luther
den Edelleuten befahl, die Aufrührer wie wilde Tiere niederzumetzeln. So
wurden mehr als hunderttausend Unglückliche ausgerottet." In demselben Schul¬
buch sind aus dem deutsch-französischen Kriege nur die Taten der päpstlichen
Zuaven unter Charette berichtet. Nicht einmal Gambetta ist genannt. Dagegen
ist sehr viel die Rede von den Jesuiten, den Kapuzinern, den Wallfahrtsorten
La Salette und Lourdes. Der Pfarrer Franz Kuntze erzählt in einer
Schrift „Der Vereinspräses", Vorträge für katholische Vereine: „Ein Mönch,
Berthold Schwarz, entdeckte das Pulver. Der Mönch Framauro zeichnete 1450
die Landkarte, die Kolumbus zur Entdeckung Amerikas anregte. Der Domherr
Kopernikus entdeckte die Rotation der Erde um die Sonne (wobei zu bemerken
ist, daß Kopernikus, um nicht mit der Kirche in Konflikt zu geraten, seine Lehre
nicht zu veröffentlichen wagte), aber schon hundert Jahre früher lehrte sie ein
Bischof von Regensburg. Der Jesuit Scachi entdeckte die Spektralanalyse. Den
ersten Blitzableiter erfand der Pfarrer Procop Diwiesch. Der Mönch Guoma
erfand den ersten Luftballon, sechzig Jahre vor Montgolfier. Das Gaslicht
haben die Jesuiten erfunden, das Zweirad erfand der Priester Prianton."
Einen bemerkenswerten Ausspruch über Schiller finde ich auch in einer
literarischen Neujahrsbetrachtung des Verb and sorg ans süddeutscher katholischer
Arbeiterinnen „Die Arbeiterin". „Neulich haben sie in allen deutschen
Gauen den Dichter Schiller verherrlicht aus Anlaß seines hundertfünfzigsten
Geburtstages. Ob mau gerade den hundertfünfzigsten Geburtstag in allen
unseren Volksschulen feiern mußte, wo Kinder sitzen von sechs bis dreizehn
Jahren, ist doch sehr fraglich. Die Verdienste Schillers um unsere Schul¬
jugend scheinen denn doch nicht gar so hervorragende zu sein. Da hatten
Canisius, Aloysius, Christoph v. Schund, Salier usw. ganz andere Ver¬
dienste aufzuweisen." Aloysius war der bekannte Heilige, der schon in seiner
Jugend so fromm war, daß er aus Keuschheit nicht wagte, seiner Mutter Brust
All nehmen, und bei dem bloßen Gedanken errötete, Sohn einer Mutter zu sein.

Wir wenden uns wieder der Behandlung der Naturwissenschaften zu,
besonders beachtenswert darum, weil Donat ausdrücklich sagt, die Natur¬
wissenschaftler sollten nicht gestört werden in ihrem Forschungsdrange. Auf
Seite 17 spricht Donat über die Unfehlbarkeit der Lehrkundgebungen der?
Kirche und sucht nachzuweisen, daß diese Autorität auch rein menschlich
betrachtet eine sehr hohe sei. Den Beweis will er durch die Behauptung.


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[0411] Die Freiheit der Wissenschaft angeführt werden, z. B. aus der Geschichte der Reformationszeit. So heißt es in einer ultramontanen Geschichte Frankreichs: „Bis zum sechzehnten Jahr¬ hundert waren alle Völker Europas katholisch. Sie gehorchten dem Papste und erkannten ihn als Statthalter Christi an. Aber zur Zeit Franz des Ersten empörte sich ein schlechter deutscher Mönch namens Luther gegen den Papst. Um sich mächtige Beschützer zu sichern, reizte er die Landesherren und Edelleute dazu auf, sich der Kirchen und Klöster zu bemächtigen. Die neue Lehre rief alsbald einen Aufruhr der Armen gegen die Reichen hervor, worauf Luther den Edelleuten befahl, die Aufrührer wie wilde Tiere niederzumetzeln. So wurden mehr als hunderttausend Unglückliche ausgerottet." In demselben Schul¬ buch sind aus dem deutsch-französischen Kriege nur die Taten der päpstlichen Zuaven unter Charette berichtet. Nicht einmal Gambetta ist genannt. Dagegen ist sehr viel die Rede von den Jesuiten, den Kapuzinern, den Wallfahrtsorten La Salette und Lourdes. Der Pfarrer Franz Kuntze erzählt in einer Schrift „Der Vereinspräses", Vorträge für katholische Vereine: „Ein Mönch, Berthold Schwarz, entdeckte das Pulver. Der Mönch Framauro zeichnete 1450 die Landkarte, die Kolumbus zur Entdeckung Amerikas anregte. Der Domherr Kopernikus entdeckte die Rotation der Erde um die Sonne (wobei zu bemerken ist, daß Kopernikus, um nicht mit der Kirche in Konflikt zu geraten, seine Lehre nicht zu veröffentlichen wagte), aber schon hundert Jahre früher lehrte sie ein Bischof von Regensburg. Der Jesuit Scachi entdeckte die Spektralanalyse. Den ersten Blitzableiter erfand der Pfarrer Procop Diwiesch. Der Mönch Guoma erfand den ersten Luftballon, sechzig Jahre vor Montgolfier. Das Gaslicht haben die Jesuiten erfunden, das Zweirad erfand der Priester Prianton." Einen bemerkenswerten Ausspruch über Schiller finde ich auch in einer literarischen Neujahrsbetrachtung des Verb and sorg ans süddeutscher katholischer Arbeiterinnen „Die Arbeiterin". „Neulich haben sie in allen deutschen Gauen den Dichter Schiller verherrlicht aus Anlaß seines hundertfünfzigsten Geburtstages. Ob mau gerade den hundertfünfzigsten Geburtstag in allen unseren Volksschulen feiern mußte, wo Kinder sitzen von sechs bis dreizehn Jahren, ist doch sehr fraglich. Die Verdienste Schillers um unsere Schul¬ jugend scheinen denn doch nicht gar so hervorragende zu sein. Da hatten Canisius, Aloysius, Christoph v. Schund, Salier usw. ganz andere Ver¬ dienste aufzuweisen." Aloysius war der bekannte Heilige, der schon in seiner Jugend so fromm war, daß er aus Keuschheit nicht wagte, seiner Mutter Brust All nehmen, und bei dem bloßen Gedanken errötete, Sohn einer Mutter zu sein. Wir wenden uns wieder der Behandlung der Naturwissenschaften zu, besonders beachtenswert darum, weil Donat ausdrücklich sagt, die Natur¬ wissenschaftler sollten nicht gestört werden in ihrem Forschungsdrange. Auf Seite 17 spricht Donat über die Unfehlbarkeit der Lehrkundgebungen der? Kirche und sucht nachzuweisen, daß diese Autorität auch rein menschlich betrachtet eine sehr hohe sei. Den Beweis will er durch die Behauptung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/411>, abgerufen am 23.07.2024.