Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Die Freiheit der Wissenschaft sich wundert, wie der Verfasser nicht selbst den Strick erkennt, den er Es ist auch bemerkenswert, wie sich nicht bloß Donat, sondern auch Die Freiheit der Wissenschaft sich wundert, wie der Verfasser nicht selbst den Strick erkennt, den er Es ist auch bemerkenswert, wie sich nicht bloß Donat, sondern auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316047"/> <fw type="header" place="top"> Die Freiheit der Wissenschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_2194" prev="#ID_2193"> sich wundert, wie der Verfasser nicht selbst den Strick erkennt, den er<lb/> sich gedreht hat. Es heißt da: „Hat man sich wohl klar gemacht, was<lb/> denn die Pflicht der Wahrhaftigkeit erfordert? Doch offenbar nur dieses, daß<lb/> man nicht unwahrhaftig ist, also nicht das Gegenteil von dem für seine Über¬<lb/> zeugung ausgibt, was man als wahr erkannt hat. Würde der Forscher hierzu<lb/> gezwungen, dann allerdings würde er zur Unwahrhaftigkeit verleitet. Die<lb/> Wahrhaftigkeit verlangt aber nicht, daß man alles öffentlich ausspreche, was<lb/> man denkt. Man kann auch schweigen. Oder ist vorsichtiges Schweigen<lb/> Unwahrhaftigkeit? Klugheit ist es sehr oft, aber nicht Lüge. Denken und<lb/> Mitteilen sind eben zwei sehr verschiedene Dinge, auch für den Forscher." Es<lb/> gibt ein anderes bekanntes deutsches Wort, das mir für die Ehrenhaftigkeit<lb/> eines Forschers viel passender erscheint als dieser Ausspruch des Jesuiten. Jeder<lb/> Deutsche kennt es: „Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht ..."</p><lb/> <p xml:id="ID_2195" next="#ID_2196"> Es ist auch bemerkenswert, wie sich nicht bloß Donat, sondern auch<lb/> andere, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen, um die Hexen- und<lb/> Ketzerverbrennung herumdrücken. Sie suchen die Verantwortung für diese Arkaden<lb/> abzulehnen, schieben sie auf den Geist der damaligen Zeit oder wollen gar die<lb/> Behauptung aufstellen, daß sie selbst gar nicht diese Verurteilungen herbeigeführt<lb/> hätten, sondern daß das der Staat getan habe. In Wirklichkeit verheim¬<lb/> lichen sie dabei, daß der Staat damals in solcher Abhängigkeit von der<lb/> ultramontanen Kirche stand, daß er nur in deren Auftrag handelte. Sie ver¬<lb/> heimlichen aber auch, daß heutzutage keine Ketzer und Hexen mehr verbrannt<lb/> werden, lediglich weil die staatlichen Gesetze das verbieten, denn sonst würden<lb/> auch heute noch Ketzer verbrannt. Wer nicht genau mit den Verhält¬<lb/> nissen bekannt ist, lacht vielleicht über diese Behauptung. Wann ist denn<lb/> die letzte Hexe verbrannt worden? Nicht etwa im Mittelalter, sondern am<lb/> 7. Mai 1874. Es war eine Frau namens Diega Lugo im Staate Sinaloa<lb/> (Mexiko) zu Se. Juan ti Jacobo. Gleichzeitig mit dieser wurde ihr Sohn<lb/> Jeronimo Porres als Zauberer lebendig verbrannt, und zwar nicht von einem<lb/> unkultivierten wilden Volke, sondern in einem katholischen christlichen Staate.<lb/> Es war das nicht einmal eine Einzelerscheinung, denn noch im Jahre 1860<lb/> wurde zu Comargo in dem katholischen Mexiko eine Hexe nach allen Formen<lb/> .Rechtens' verbrannt. Wo also die Macht besteht, würde auch heute noch die<lb/> Kirche nicht vor der Hinrichtung von Ketzern zurückschrecken, und das ist aus¬<lb/> drücklich von einem etwas unvorsichtigen Fanatiker noch vor gar nicht langer<lb/> Zeit ausgesprochen worden. In den „Analecta ecclisiastica", einer dem Papst¬<lb/> tum unterstehenden römischen Zeitschrift, stand 1895 mit Rücksicht auf die<lb/> Inquisition, und nicht etwa bildlich zu lesen: „O seid gesegnet, ihr flammenden<lb/> Scheiterhaufen!" Der katholische Bischof Hüsele schrieb 1870: „Es fehlt<lb/> wahrlich nicht am Willen der Hierarchie, wenn nicht im neunzehnten Jahr¬<lb/> hundert Scheiterhaufen errichtet werden." Und der furchtbare Massenhenker<lb/> der Inquisition, Arbues, ist am 29. Juni 1867 durch Papst Pius IX.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0408]
Die Freiheit der Wissenschaft
sich wundert, wie der Verfasser nicht selbst den Strick erkennt, den er
sich gedreht hat. Es heißt da: „Hat man sich wohl klar gemacht, was
denn die Pflicht der Wahrhaftigkeit erfordert? Doch offenbar nur dieses, daß
man nicht unwahrhaftig ist, also nicht das Gegenteil von dem für seine Über¬
zeugung ausgibt, was man als wahr erkannt hat. Würde der Forscher hierzu
gezwungen, dann allerdings würde er zur Unwahrhaftigkeit verleitet. Die
Wahrhaftigkeit verlangt aber nicht, daß man alles öffentlich ausspreche, was
man denkt. Man kann auch schweigen. Oder ist vorsichtiges Schweigen
Unwahrhaftigkeit? Klugheit ist es sehr oft, aber nicht Lüge. Denken und
Mitteilen sind eben zwei sehr verschiedene Dinge, auch für den Forscher." Es
gibt ein anderes bekanntes deutsches Wort, das mir für die Ehrenhaftigkeit
eines Forschers viel passender erscheint als dieser Ausspruch des Jesuiten. Jeder
Deutsche kennt es: „Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht ..."
Es ist auch bemerkenswert, wie sich nicht bloß Donat, sondern auch
andere, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen, um die Hexen- und
Ketzerverbrennung herumdrücken. Sie suchen die Verantwortung für diese Arkaden
abzulehnen, schieben sie auf den Geist der damaligen Zeit oder wollen gar die
Behauptung aufstellen, daß sie selbst gar nicht diese Verurteilungen herbeigeführt
hätten, sondern daß das der Staat getan habe. In Wirklichkeit verheim¬
lichen sie dabei, daß der Staat damals in solcher Abhängigkeit von der
ultramontanen Kirche stand, daß er nur in deren Auftrag handelte. Sie ver¬
heimlichen aber auch, daß heutzutage keine Ketzer und Hexen mehr verbrannt
werden, lediglich weil die staatlichen Gesetze das verbieten, denn sonst würden
auch heute noch Ketzer verbrannt. Wer nicht genau mit den Verhält¬
nissen bekannt ist, lacht vielleicht über diese Behauptung. Wann ist denn
die letzte Hexe verbrannt worden? Nicht etwa im Mittelalter, sondern am
7. Mai 1874. Es war eine Frau namens Diega Lugo im Staate Sinaloa
(Mexiko) zu Se. Juan ti Jacobo. Gleichzeitig mit dieser wurde ihr Sohn
Jeronimo Porres als Zauberer lebendig verbrannt, und zwar nicht von einem
unkultivierten wilden Volke, sondern in einem katholischen christlichen Staate.
Es war das nicht einmal eine Einzelerscheinung, denn noch im Jahre 1860
wurde zu Comargo in dem katholischen Mexiko eine Hexe nach allen Formen
.Rechtens' verbrannt. Wo also die Macht besteht, würde auch heute noch die
Kirche nicht vor der Hinrichtung von Ketzern zurückschrecken, und das ist aus¬
drücklich von einem etwas unvorsichtigen Fanatiker noch vor gar nicht langer
Zeit ausgesprochen worden. In den „Analecta ecclisiastica", einer dem Papst¬
tum unterstehenden römischen Zeitschrift, stand 1895 mit Rücksicht auf die
Inquisition, und nicht etwa bildlich zu lesen: „O seid gesegnet, ihr flammenden
Scheiterhaufen!" Der katholische Bischof Hüsele schrieb 1870: „Es fehlt
wahrlich nicht am Willen der Hierarchie, wenn nicht im neunzehnten Jahr¬
hundert Scheiterhaufen errichtet werden." Und der furchtbare Massenhenker
der Inquisition, Arbues, ist am 29. Juni 1867 durch Papst Pius IX.
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