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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

diesen Plan fallen und veröffentlichte seine Vorträge zusammen mit einem Referat der
Diskussion. Nun vergleiche man einmal die Darstellung, die Wasmann dieser
Diskussion in seiner Veröffentlichung gibt ("Der Kampf um das Entwicklungs¬
problem. Herderscher Verlag." 1907), rin den Veröffentlichungen von Plate
("Ultramontane Weltanschauung usw." bei Fischer in Jena. 1907), die nach den
stenographischen Aufzeichnungen gemacht wurden. Man wird finden, daß in der
Wasmannschen Wiedergabe die ganze Angelegenheit sich total anders darstellt,
als sie in Wirklichkeit verlaufen ist. Ja manche Aussprüche der Diskussions¬
redner sind geradezu entstellt wiedergegeben. Aus welchem Grunde also dieser
selbe Wasmann eine Glaubwürdigkeit bei Beschreibung eines Wunders beansprucht,
ist in keiner Weise einzusehen. Moderne Wunder sind bisher nur von
Unkundigen, Fanatikern, Schwindlern oder Kombinationen aus diesen dreien
konstatiert worden. ,

Ausdrücklich führt Donat an, daß Botaniker, Zoologen, Paläontologen,
Geographen, Sprachforscher, Archäologen, Geschichtsforscher und Mathematiker
unbehindert forschen dürfen, aber der Zoologe darf nicht behaupten, daß die
Tierwelt in allmählicher Entwicklung entstanden sei, der Paläontologe darf
uicht behaupten, daß die lebende Welt unmöglich durch einen Schöpfungsakt
zustande gekommen sein könne. Der Geschichtsforscher darf nicht die Wahrheit
über die Übelstände des Papsttums schreiben, dann verstößt er gegen den
offenbarten Glauben. Der Anthropologe darf nicht behaupten, daß die Menschheit
nicht von einem Paar abstammt. Der Archäologe darf auch nicht aus babylo¬
nischen und anderen Denkmälern den Ursprung des Christentums in eine frühere
Zeit zurückverlegen, als es die ultramontane Kirche tut.

Interessant ist, was Donat über Geschichtsforschung auf S. 110 ff.
sagt: "Noch eine Frage sei berührt. Hat der katholische Geschichtsforscher
auch dort die Freiheit, unbewegt der historischen Wahrheit nachzugehen, wo
er auf Tatsachen stößt, die seiner Kirche nicht zur Ehre gereichen, und wo
es sich um gewisse Privatoffenbarungen (sie!), um zweifelhafte Reliquien und
Heiligtümer handelt, die Gegenstand öffentlicher Verehrung sind; kann er auch
hier ungehindert die kritische Forschung walten lassen, oder ist er durch kirchliche
Weisungen gebunden? Wenn der Katholik dunkle Schatten in der Vergangenheit
seiner Kirche trifft, so wird jeder wohlmeinende Beurteiler die Forderung unter¬
schreiben, daß er bei Behandlung dieser Dinge jene Pietät gegen seine Kirche
walten lasse, welche ihm seine Verehrung gegen sie eingeben muß." Das heißt,
die Geschichtsforschung hat da zu schweigen, wo sie der Kirche Unrechtes nach¬
sagen kann. Sie hat da zu schweigen, wo sie zeigt, daß Reliquien, die verehrt
werden, unecht sind. Sie hat da zu schweigen, wo es sich um Angriffe gegen
die Päpste handelt. Deswegen sind ja Gregorovius und Leopold v. Ranke auf
den Index gekommen.

Wie es ein Jesuit mit der Wahrhaftigkeit nimmt, ist mit so unverblümter
Deutlichkeit in dem Donatschen Buche auf S. 371 wiedergegeben, daß man


Die Freiheit der Wissenschaft

diesen Plan fallen und veröffentlichte seine Vorträge zusammen mit einem Referat der
Diskussion. Nun vergleiche man einmal die Darstellung, die Wasmann dieser
Diskussion in seiner Veröffentlichung gibt („Der Kampf um das Entwicklungs¬
problem. Herderscher Verlag." 1907), rin den Veröffentlichungen von Plate
(„Ultramontane Weltanschauung usw." bei Fischer in Jena. 1907), die nach den
stenographischen Aufzeichnungen gemacht wurden. Man wird finden, daß in der
Wasmannschen Wiedergabe die ganze Angelegenheit sich total anders darstellt,
als sie in Wirklichkeit verlaufen ist. Ja manche Aussprüche der Diskussions¬
redner sind geradezu entstellt wiedergegeben. Aus welchem Grunde also dieser
selbe Wasmann eine Glaubwürdigkeit bei Beschreibung eines Wunders beansprucht,
ist in keiner Weise einzusehen. Moderne Wunder sind bisher nur von
Unkundigen, Fanatikern, Schwindlern oder Kombinationen aus diesen dreien
konstatiert worden. ,

Ausdrücklich führt Donat an, daß Botaniker, Zoologen, Paläontologen,
Geographen, Sprachforscher, Archäologen, Geschichtsforscher und Mathematiker
unbehindert forschen dürfen, aber der Zoologe darf nicht behaupten, daß die
Tierwelt in allmählicher Entwicklung entstanden sei, der Paläontologe darf
uicht behaupten, daß die lebende Welt unmöglich durch einen Schöpfungsakt
zustande gekommen sein könne. Der Geschichtsforscher darf nicht die Wahrheit
über die Übelstände des Papsttums schreiben, dann verstößt er gegen den
offenbarten Glauben. Der Anthropologe darf nicht behaupten, daß die Menschheit
nicht von einem Paar abstammt. Der Archäologe darf auch nicht aus babylo¬
nischen und anderen Denkmälern den Ursprung des Christentums in eine frühere
Zeit zurückverlegen, als es die ultramontane Kirche tut.

Interessant ist, was Donat über Geschichtsforschung auf S. 110 ff.
sagt: „Noch eine Frage sei berührt. Hat der katholische Geschichtsforscher
auch dort die Freiheit, unbewegt der historischen Wahrheit nachzugehen, wo
er auf Tatsachen stößt, die seiner Kirche nicht zur Ehre gereichen, und wo
es sich um gewisse Privatoffenbarungen (sie!), um zweifelhafte Reliquien und
Heiligtümer handelt, die Gegenstand öffentlicher Verehrung sind; kann er auch
hier ungehindert die kritische Forschung walten lassen, oder ist er durch kirchliche
Weisungen gebunden? Wenn der Katholik dunkle Schatten in der Vergangenheit
seiner Kirche trifft, so wird jeder wohlmeinende Beurteiler die Forderung unter¬
schreiben, daß er bei Behandlung dieser Dinge jene Pietät gegen seine Kirche
walten lasse, welche ihm seine Verehrung gegen sie eingeben muß." Das heißt,
die Geschichtsforschung hat da zu schweigen, wo sie der Kirche Unrechtes nach¬
sagen kann. Sie hat da zu schweigen, wo sie zeigt, daß Reliquien, die verehrt
werden, unecht sind. Sie hat da zu schweigen, wo es sich um Angriffe gegen
die Päpste handelt. Deswegen sind ja Gregorovius und Leopold v. Ranke auf
den Index gekommen.

Wie es ein Jesuit mit der Wahrhaftigkeit nimmt, ist mit so unverblümter
Deutlichkeit in dem Donatschen Buche auf S. 371 wiedergegeben, daß man


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[0407] Die Freiheit der Wissenschaft diesen Plan fallen und veröffentlichte seine Vorträge zusammen mit einem Referat der Diskussion. Nun vergleiche man einmal die Darstellung, die Wasmann dieser Diskussion in seiner Veröffentlichung gibt („Der Kampf um das Entwicklungs¬ problem. Herderscher Verlag." 1907), rin den Veröffentlichungen von Plate („Ultramontane Weltanschauung usw." bei Fischer in Jena. 1907), die nach den stenographischen Aufzeichnungen gemacht wurden. Man wird finden, daß in der Wasmannschen Wiedergabe die ganze Angelegenheit sich total anders darstellt, als sie in Wirklichkeit verlaufen ist. Ja manche Aussprüche der Diskussions¬ redner sind geradezu entstellt wiedergegeben. Aus welchem Grunde also dieser selbe Wasmann eine Glaubwürdigkeit bei Beschreibung eines Wunders beansprucht, ist in keiner Weise einzusehen. Moderne Wunder sind bisher nur von Unkundigen, Fanatikern, Schwindlern oder Kombinationen aus diesen dreien konstatiert worden. , Ausdrücklich führt Donat an, daß Botaniker, Zoologen, Paläontologen, Geographen, Sprachforscher, Archäologen, Geschichtsforscher und Mathematiker unbehindert forschen dürfen, aber der Zoologe darf nicht behaupten, daß die Tierwelt in allmählicher Entwicklung entstanden sei, der Paläontologe darf uicht behaupten, daß die lebende Welt unmöglich durch einen Schöpfungsakt zustande gekommen sein könne. Der Geschichtsforscher darf nicht die Wahrheit über die Übelstände des Papsttums schreiben, dann verstößt er gegen den offenbarten Glauben. Der Anthropologe darf nicht behaupten, daß die Menschheit nicht von einem Paar abstammt. Der Archäologe darf auch nicht aus babylo¬ nischen und anderen Denkmälern den Ursprung des Christentums in eine frühere Zeit zurückverlegen, als es die ultramontane Kirche tut. Interessant ist, was Donat über Geschichtsforschung auf S. 110 ff. sagt: „Noch eine Frage sei berührt. Hat der katholische Geschichtsforscher auch dort die Freiheit, unbewegt der historischen Wahrheit nachzugehen, wo er auf Tatsachen stößt, die seiner Kirche nicht zur Ehre gereichen, und wo es sich um gewisse Privatoffenbarungen (sie!), um zweifelhafte Reliquien und Heiligtümer handelt, die Gegenstand öffentlicher Verehrung sind; kann er auch hier ungehindert die kritische Forschung walten lassen, oder ist er durch kirchliche Weisungen gebunden? Wenn der Katholik dunkle Schatten in der Vergangenheit seiner Kirche trifft, so wird jeder wohlmeinende Beurteiler die Forderung unter¬ schreiben, daß er bei Behandlung dieser Dinge jene Pietät gegen seine Kirche walten lasse, welche ihm seine Verehrung gegen sie eingeben muß." Das heißt, die Geschichtsforschung hat da zu schweigen, wo sie der Kirche Unrechtes nach¬ sagen kann. Sie hat da zu schweigen, wo sie zeigt, daß Reliquien, die verehrt werden, unecht sind. Sie hat da zu schweigen, wo es sich um Angriffe gegen die Päpste handelt. Deswegen sind ja Gregorovius und Leopold v. Ranke auf den Index gekommen. Wie es ein Jesuit mit der Wahrhaftigkeit nimmt, ist mit so unverblümter Deutlichkeit in dem Donatschen Buche auf S. 371 wiedergegeben, daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/407>, abgerufen am 24.07.2024.