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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft
von Geh. Med.-Rat und Universitätsprofessor D, von Hansemann-
I.

! er die Geschichte der Wissenschaften vom ältesten Altertum bis in
die neuste Zeit hinein mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, der
findet, daß der Fortschritt sich immer nur in einem heftigen Kampf
gegen den Autoritätsglauben entwickelt. Das ist an und für sich
kein Übelstand, sondern im Gegenteil als ein nützliches Prinzip
zu bezeichnen. Was nicht im ernsten Kampf gewonnen ist, besitzt keinen Wert,
weder in physischer noch in ethischer Beziehung.

Was sind Autoritäten? Autoritäten sind Menschen oder Gruppen von
Menschen, die durch intensive Beschäftigung mit einen: Gegenstand zu einer
ganz bestimmten Anschauung über diesen Gegenstand gelangt sind und die
Macht besitzen, diese Anschauungen zur Geltung zu bringen. Je schwerer
der Kampf war, der sie zu dieser Anschauung führte, um so mehr werden
sie diese Anschauung später gegen andere zu verteidigen suchen. Daher sieht
man, daß Menschen, die in ihrer Jugend selbst mit allen Mitteln gegen
Autoritäten und Autoritätenglauben gekämpft haben, sehr häufig in ihrem
höheren Alter sür sich diesen Autoritätenglanben in Anspruch nehmen. Fast jedes
Genie, das einen Markstein im Fortschritt der Wissenschaft bedeutet, ist ein
Beispiel dafür. Autoritäten sind immer nur Fachmänner -- und können nur solche
sein -- die sich ihre Kenntnis in Kampf und in Arbeit errungen haben. Eine
anerzogene Autorität gibt es nicht und wäre auch ein Unding. Nur selten ist
es jedoch solchen Autoritäten gelungen, aufstrebende neue Gedanken und Fort¬
schritte dauernd zu hindern. Wäre das der Fall, dann würde der Nutzen, den
der Autoritätenglaube durch die Hervorbringung eines Kampfes gegen sich selbst
verursacht, überwogen durch den Schaden, den er anrichtet. Denn ein Autoritäten-


Grmzvotm II 1910 44


Die Freiheit der Wissenschaft
von Geh. Med.-Rat und Universitätsprofessor D, von Hansemann-
I.

! er die Geschichte der Wissenschaften vom ältesten Altertum bis in
die neuste Zeit hinein mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, der
findet, daß der Fortschritt sich immer nur in einem heftigen Kampf
gegen den Autoritätsglauben entwickelt. Das ist an und für sich
kein Übelstand, sondern im Gegenteil als ein nützliches Prinzip
zu bezeichnen. Was nicht im ernsten Kampf gewonnen ist, besitzt keinen Wert,
weder in physischer noch in ethischer Beziehung.

Was sind Autoritäten? Autoritäten sind Menschen oder Gruppen von
Menschen, die durch intensive Beschäftigung mit einen: Gegenstand zu einer
ganz bestimmten Anschauung über diesen Gegenstand gelangt sind und die
Macht besitzen, diese Anschauungen zur Geltung zu bringen. Je schwerer
der Kampf war, der sie zu dieser Anschauung führte, um so mehr werden
sie diese Anschauung später gegen andere zu verteidigen suchen. Daher sieht
man, daß Menschen, die in ihrer Jugend selbst mit allen Mitteln gegen
Autoritäten und Autoritätenglauben gekämpft haben, sehr häufig in ihrem
höheren Alter sür sich diesen Autoritätenglanben in Anspruch nehmen. Fast jedes
Genie, das einen Markstein im Fortschritt der Wissenschaft bedeutet, ist ein
Beispiel dafür. Autoritäten sind immer nur Fachmänner — und können nur solche
sein — die sich ihre Kenntnis in Kampf und in Arbeit errungen haben. Eine
anerzogene Autorität gibt es nicht und wäre auch ein Unding. Nur selten ist
es jedoch solchen Autoritäten gelungen, aufstrebende neue Gedanken und Fort¬
schritte dauernd zu hindern. Wäre das der Fall, dann würde der Nutzen, den
der Autoritätenglaube durch die Hervorbringung eines Kampfes gegen sich selbst
verursacht, überwogen durch den Schaden, den er anrichtet. Denn ein Autoritäten-


Grmzvotm II 1910 44
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[0357] [Abbildung] Die Freiheit der Wissenschaft von Geh. Med.-Rat und Universitätsprofessor D, von Hansemann- I. ! er die Geschichte der Wissenschaften vom ältesten Altertum bis in die neuste Zeit hinein mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, der findet, daß der Fortschritt sich immer nur in einem heftigen Kampf gegen den Autoritätsglauben entwickelt. Das ist an und für sich kein Übelstand, sondern im Gegenteil als ein nützliches Prinzip zu bezeichnen. Was nicht im ernsten Kampf gewonnen ist, besitzt keinen Wert, weder in physischer noch in ethischer Beziehung. Was sind Autoritäten? Autoritäten sind Menschen oder Gruppen von Menschen, die durch intensive Beschäftigung mit einen: Gegenstand zu einer ganz bestimmten Anschauung über diesen Gegenstand gelangt sind und die Macht besitzen, diese Anschauungen zur Geltung zu bringen. Je schwerer der Kampf war, der sie zu dieser Anschauung führte, um so mehr werden sie diese Anschauung später gegen andere zu verteidigen suchen. Daher sieht man, daß Menschen, die in ihrer Jugend selbst mit allen Mitteln gegen Autoritäten und Autoritätenglauben gekämpft haben, sehr häufig in ihrem höheren Alter sür sich diesen Autoritätenglanben in Anspruch nehmen. Fast jedes Genie, das einen Markstein im Fortschritt der Wissenschaft bedeutet, ist ein Beispiel dafür. Autoritäten sind immer nur Fachmänner — und können nur solche sein — die sich ihre Kenntnis in Kampf und in Arbeit errungen haben. Eine anerzogene Autorität gibt es nicht und wäre auch ein Unding. Nur selten ist es jedoch solchen Autoritäten gelungen, aufstrebende neue Gedanken und Fort¬ schritte dauernd zu hindern. Wäre das der Fall, dann würde der Nutzen, den der Autoritätenglaube durch die Hervorbringung eines Kampfes gegen sich selbst verursacht, überwogen durch den Schaden, den er anrichtet. Denn ein Autoritäten- Grmzvotm II 1910 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/357>, abgerufen am 28.09.2024.