Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Der praktische Nutze" der Frauenbewegung liberal, während der kürzlich gegründete Deutsche Frauenbund (Vorsitzende Hier ist die Arbeit sehr nötig, denn Landadel, Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere In jedem Falle genießt es die Früchte der Frauenbewegung, jedoch meist Eine Bewegung, die so weit und tief ausgreift, die so viele Fortschritte Der praktische Nutze» der Frauenbewegung liberal, während der kürzlich gegründete Deutsche Frauenbund (Vorsitzende Hier ist die Arbeit sehr nötig, denn Landadel, Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere In jedem Falle genießt es die Früchte der Frauenbewegung, jedoch meist Eine Bewegung, die so weit und tief ausgreift, die so viele Fortschritte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315906"/> <fw type="header" place="top"> Der praktische Nutze» der Frauenbewegung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1450" prev="#ID_1449"> liberal, während der kürzlich gegründete Deutsche Frauenbund (Vorsitzende<lb/> Frau von Alten, Berlin) die Propaganda auf konservative Kreise richtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1451"> Hier ist die Arbeit sehr nötig, denn Landadel, Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere<lb/> lehnen die Prinzipien der Frauenbewegung bis heute fast durchweg ab. Meist<lb/> haben sie sich mit der Sache nicht beschäftigt, es genügt ihnen, daß die Frauen¬<lb/> bewegung „umstürzlerisch" und daher „an maßgebender Stelle unbeliebt" ist. —<lb/> Soll infolge zwingender Umstände ein Mädchen dieser Kreise sich sein Brot<lb/> verdienen, so gibt es zwei Möglichkeiten: entweder das Mädchen wird mit<lb/> möglichst geringen Kosten möglichst rasch ausgebildet, macht das Seminar durch<lb/> und wird Erzieherin, Volksschullehrerin, Privatlehrerin, oder die Bessersituierten<lb/> wenden das nötige Geld an eine Oberlehrerinnen- oder Universitätsbildung, und<lb/> das Mädchen erreicht die höheren Staffeln der Berufe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1452"> In jedem Falle genießt es die Früchte der Frauenbewegung, jedoch meist<lb/> ohne sich dessen bewußt zu sein. Die mit möglichster Sparsamkeit vorgebildete<lb/> Lehrerin ist freilich trotz aller Fortschritte auch noch zu einer möglichst sparsamen<lb/> Existenz verurteilt: ihre männlichen Anverwandten nehmen oft bedeutende, einflu߬<lb/> reiche Stellungen ein, aber das sind eben Männer, denen die Welt gehört, und<lb/> sie als Frau hat sich naturgemäß zu bescheiden. — Die mit bedeutenderem<lb/> Kapitalaufwand vorgebildete Oberlehrerin oder Doktorin aber begegnet in ihren<lb/> Kreisen so viel Unverständnis für die Frauenbewegung, daß sie in den meisten<lb/> Fällen, um nicht als „unweiblich", „überspannt", „unfein" zu gelten, der Idee,<lb/> welcher sie ihre bessere Existenz verdankt, nicht einen Dienst erweisen mag. Der<lb/> Deutsche Frauenbund hat also eine beträchtliche AuMrungs- und Werbearbeit<lb/> vor sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1453" next="#ID_1454"> Eine Bewegung, die so weit und tief ausgreift, die so viele Fortschritte<lb/> verzeichnet, so mannigfaltig sich betätigt, hat breite und tiefe Ursachen, die das<lb/> Wollendes einzelnen weit überragen: die Frauenbewegung ist eine große,<lb/> sachliche, ist eine soziale Erscheinung. Nicht sie trieb die Frau aus dem<lb/> Haus, das hatte die Großindustrie schon besorgt. Wohl aber sind die im Hause<lb/> nicht beschäftigten Frauen der nächste Interessentenkreis der Bewegung. Wie viele<lb/> sind das? Rund die Hälfte aller erwachsenen Frauen Deutschlands, nämlich<lb/> neun Millionen, die sich ihr Brot außerhalb des Hauses verdienen. — Sie sind<lb/> längst nicht alle der Frauenbewegung angeschlossen. Ein großer Teil geht mit<lb/> der Sozialdemokratie, ein anderer Teil mit den christlichen Gewerkschaften, noch<lb/> andere kämpfen auf eigene Faust, haben keine Ahnung von Wert und Not¬<lb/> wendigkeit der Organisation, wieder andere genießen die Früchte der Frauen¬<lb/> bewegung, ohne sich ihr helfend anzuschließen. Immerhin, wie bei allen großen<lb/> Bewegungen ist auch hier eine bewußte und organisierte Minderheit Vertreterin<lb/> der Massennöte: die Interessen der erwerbenden Frau aller Stände und die<lb/> sittlich-geistig-wirtschaftlich-sozialen Interessen der Allgemeinheit finden ihren<lb/> Ausdruck durch den Bund deutscher Frauenvereine, der, wie gesagt, seit<lb/> 1894 besteht, hunderttausend Mitglieder zählt und planmäßig der Frau, der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0267]
Der praktische Nutze» der Frauenbewegung
liberal, während der kürzlich gegründete Deutsche Frauenbund (Vorsitzende
Frau von Alten, Berlin) die Propaganda auf konservative Kreise richtet.
Hier ist die Arbeit sehr nötig, denn Landadel, Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere
lehnen die Prinzipien der Frauenbewegung bis heute fast durchweg ab. Meist
haben sie sich mit der Sache nicht beschäftigt, es genügt ihnen, daß die Frauen¬
bewegung „umstürzlerisch" und daher „an maßgebender Stelle unbeliebt" ist. —
Soll infolge zwingender Umstände ein Mädchen dieser Kreise sich sein Brot
verdienen, so gibt es zwei Möglichkeiten: entweder das Mädchen wird mit
möglichst geringen Kosten möglichst rasch ausgebildet, macht das Seminar durch
und wird Erzieherin, Volksschullehrerin, Privatlehrerin, oder die Bessersituierten
wenden das nötige Geld an eine Oberlehrerinnen- oder Universitätsbildung, und
das Mädchen erreicht die höheren Staffeln der Berufe.
In jedem Falle genießt es die Früchte der Frauenbewegung, jedoch meist
ohne sich dessen bewußt zu sein. Die mit möglichster Sparsamkeit vorgebildete
Lehrerin ist freilich trotz aller Fortschritte auch noch zu einer möglichst sparsamen
Existenz verurteilt: ihre männlichen Anverwandten nehmen oft bedeutende, einflu߬
reiche Stellungen ein, aber das sind eben Männer, denen die Welt gehört, und
sie als Frau hat sich naturgemäß zu bescheiden. — Die mit bedeutenderem
Kapitalaufwand vorgebildete Oberlehrerin oder Doktorin aber begegnet in ihren
Kreisen so viel Unverständnis für die Frauenbewegung, daß sie in den meisten
Fällen, um nicht als „unweiblich", „überspannt", „unfein" zu gelten, der Idee,
welcher sie ihre bessere Existenz verdankt, nicht einen Dienst erweisen mag. Der
Deutsche Frauenbund hat also eine beträchtliche AuMrungs- und Werbearbeit
vor sich.
Eine Bewegung, die so weit und tief ausgreift, die so viele Fortschritte
verzeichnet, so mannigfaltig sich betätigt, hat breite und tiefe Ursachen, die das
Wollendes einzelnen weit überragen: die Frauenbewegung ist eine große,
sachliche, ist eine soziale Erscheinung. Nicht sie trieb die Frau aus dem
Haus, das hatte die Großindustrie schon besorgt. Wohl aber sind die im Hause
nicht beschäftigten Frauen der nächste Interessentenkreis der Bewegung. Wie viele
sind das? Rund die Hälfte aller erwachsenen Frauen Deutschlands, nämlich
neun Millionen, die sich ihr Brot außerhalb des Hauses verdienen. — Sie sind
längst nicht alle der Frauenbewegung angeschlossen. Ein großer Teil geht mit
der Sozialdemokratie, ein anderer Teil mit den christlichen Gewerkschaften, noch
andere kämpfen auf eigene Faust, haben keine Ahnung von Wert und Not¬
wendigkeit der Organisation, wieder andere genießen die Früchte der Frauen¬
bewegung, ohne sich ihr helfend anzuschließen. Immerhin, wie bei allen großen
Bewegungen ist auch hier eine bewußte und organisierte Minderheit Vertreterin
der Massennöte: die Interessen der erwerbenden Frau aller Stände und die
sittlich-geistig-wirtschaftlich-sozialen Interessen der Allgemeinheit finden ihren
Ausdruck durch den Bund deutscher Frauenvereine, der, wie gesagt, seit
1894 besteht, hunderttausend Mitglieder zählt und planmäßig der Frau, der
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