Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Im Kampf gegen die Übermacht "Daß du Frieden finden würdest." Er zog die Hand zurück und entgegnete nichts. Endlich sagte er finster: "Wir können ja nicht länger so weiter leben, wie wir es tun, ohne zu "Nein. Das kannst du nicht..." "Und du?" "Ach lebt Meine Mutter war nicht verheiratet. Ich bin wohl dazu geboren, Es war ganz still. Dann sagte der Pfarrer: "Einmal vor langer Zeit fragtest du mich, wie ich glaubte, daß meine Mutter Sie unterbrach ihn heftig: "Rede nicht mit mir von deiner Mutter! Ich halte es nicht aus -- ich "Aber Thorborg I Wie manches Mal hast du mir nicht selbst gesagt. . ." "Ich glaubte, die Sache hätte jetzt ein Ende. . .1" Sie wandte sich jäh zu ihm um und sagte mit Nachdruck: "Es ist eine Sünde vor Gott, Abgötterei mit den Toten zu treiben." "Mutter lebt --" "Nein. Sie hat gelebt. Du aber lebst. Es ist dein Leben, das du lebst, "Sollte ich nicht in der Erinnerung an meine Mutter leben, an den reinsten Thorborg erhob sich. Sie hörte ihn nicht an, stand da und sah vor sich hin "Nicht deine Mutter allein ist tot. Auch noch ein anderer ist tot. Und lebt "Ich verstehe nicht, wen du meinst!" "Jesus Christus." "Thorborg! "Ja. Wir -- du bist nicht in das Leben gesetzt, um gekreuzigt zu werden, Er erhob sich und drohte ihr mit den beiden erhobenen Händen: "Halte ein mit den vermessenen Reden! Du verstehst selbst nicht, was du sagst!" "Ach -- wenn du es doch nur einmal verstündest!" sagte sie schmerzlich und Sören Römer ging heftig im Zimmer auf und nieder. Endlich setzte er sich. "Wir müssen doch miteinander reden, Thorborg, es ist doch eine ernste Sache. "Liebster, Liebster! Wäre es nicht das Beste, wenn ich von dir ginge? Ich "Aber, Thorborg, wie kannst du nur so reden! Du sollst doch ein Kind haben!" "Ach, wie bereue ich es, daß ich es dir gesagt habe! "Du mußtest es mir doch sagen." "Ja, das meinte ich auch." "Und du kannst doch nicht in Schande leben . .." "Liebster, wenn du doch mir einmal verstehen könntest! Das Kind -- das Grenzboten II 1910 29
Im Kampf gegen die Übermacht „Daß du Frieden finden würdest." Er zog die Hand zurück und entgegnete nichts. Endlich sagte er finster: „Wir können ja nicht länger so weiter leben, wie wir es tun, ohne zu „Nein. Das kannst du nicht..." „Und du?" „Ach lebt Meine Mutter war nicht verheiratet. Ich bin wohl dazu geboren, Es war ganz still. Dann sagte der Pfarrer: „Einmal vor langer Zeit fragtest du mich, wie ich glaubte, daß meine Mutter Sie unterbrach ihn heftig: „Rede nicht mit mir von deiner Mutter! Ich halte es nicht aus — ich „Aber Thorborg I Wie manches Mal hast du mir nicht selbst gesagt. . ." „Ich glaubte, die Sache hätte jetzt ein Ende. . .1" Sie wandte sich jäh zu ihm um und sagte mit Nachdruck: „Es ist eine Sünde vor Gott, Abgötterei mit den Toten zu treiben." „Mutter lebt —" „Nein. Sie hat gelebt. Du aber lebst. Es ist dein Leben, das du lebst, „Sollte ich nicht in der Erinnerung an meine Mutter leben, an den reinsten Thorborg erhob sich. Sie hörte ihn nicht an, stand da und sah vor sich hin „Nicht deine Mutter allein ist tot. Auch noch ein anderer ist tot. Und lebt „Ich verstehe nicht, wen du meinst!" „Jesus Christus." „Thorborg! „Ja. Wir — du bist nicht in das Leben gesetzt, um gekreuzigt zu werden, Er erhob sich und drohte ihr mit den beiden erhobenen Händen: „Halte ein mit den vermessenen Reden! Du verstehst selbst nicht, was du sagst!" „Ach — wenn du es doch nur einmal verstündest!" sagte sie schmerzlich und Sören Römer ging heftig im Zimmer auf und nieder. Endlich setzte er sich. „Wir müssen doch miteinander reden, Thorborg, es ist doch eine ernste Sache. „Liebster, Liebster! Wäre es nicht das Beste, wenn ich von dir ginge? Ich „Aber, Thorborg, wie kannst du nur so reden! Du sollst doch ein Kind haben!" „Ach, wie bereue ich es, daß ich es dir gesagt habe! „Du mußtest es mir doch sagen." „Ja, das meinte ich auch." „Und du kannst doch nicht in Schande leben . .." „Liebster, wenn du doch mir einmal verstehen könntest! Das Kind — das Grenzboten II 1910 29
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Im Kampf gegen die Übermacht
„Daß du Frieden finden würdest."
Er zog die Hand zurück und entgegnete nichts. Endlich sagte er finster:
„Wir können ja nicht länger so weiter leben, wie wir es tun, ohne zu
heiraten."
„Nein. Das kannst du nicht..."
„Und du?"
„Ach lebt Meine Mutter war nicht verheiratet. Ich bin wohl dazu geboren,
auch ohnedem zu leben." »
Es war ganz still. Dann sagte der Pfarrer:
„Einmal vor langer Zeit fragtest du mich, wie ich glaubte, daß meine Mutter
deine arme Mutter beurteilen würde. . ."
Sie unterbrach ihn heftig:
„Rede nicht mit mir von deiner Mutter! Ich halte es nicht aus — ich
ertrage es nicht."
„Aber Thorborg I Wie manches Mal hast du mir nicht selbst gesagt. . ."
„Ich glaubte, die Sache hätte jetzt ein Ende. . .1"
Sie wandte sich jäh zu ihm um und sagte mit Nachdruck:
„Es ist eine Sünde vor Gott, Abgötterei mit den Toten zu treiben."
„Mutter lebt —"
„Nein. Sie hat gelebt. Du aber lebst. Es ist dein Leben, das du lebst,
über sie hinaus, nach ihr, weiter — dein eigenes, eigenstes Leben. Und sie war
sie, du aber bist tut"
„Sollte ich nicht in der Erinnerung an meine Mutter leben, an den reinsten
Wegweiser meines Lebens, an das schönste Beispiel. .
Thorborg erhob sich. Sie hörte ihn nicht an, stand da und sah vor sich hin
und sagte endlich:
„Nicht deine Mutter allein ist tot. Auch noch ein anderer ist tot. Und lebt
auch. Und du treibst Abgötterei mit ihm."
„Ich verstehe nicht, wen du meinst!"
„Jesus Christus."
"
„Thorborg!
„Ja. Wir — du bist nicht in das Leben gesetzt, um gekreuzigt zu werden,
zu sterben und dich begraben zu lassen."
Er erhob sich und drohte ihr mit den beiden erhobenen Händen:
„Halte ein mit den vermessenen Reden! Du verstehst selbst nicht, was du sagst!"
„Ach — wenn du es doch nur einmal verstündest!" sagte sie schmerzlich und
setzte sich wieder in ihren Stuhl zurück.
Sören Römer ging heftig im Zimmer auf und nieder. Endlich setzte er sich.
Nachdem er lange geschwiegen hatte, sagte er ruhig:"
„Wir müssen doch miteinander reden, Thorborg, es ist doch eine ernste Sache.
„Liebster, Liebster! Wäre es nicht das Beste, wenn ich von dir ginge? Ich
würde dir nie wieder vor die Augen kommen. Und du fandest vielleicht Frieden
— mit einer andern.
„Aber, Thorborg, wie kannst du nur so reden! Du sollst doch ein Kind haben!"
"
„Ach, wie bereue ich es, daß ich es dir gesagt habe!
„Du mußtest es mir doch sagen."
„Ja, das meinte ich auch."
„Und du kannst doch nicht in Schande leben . .."
„Liebster, wenn du doch mir einmal verstehen könntest! Das Kind — das
habe ich doch nur bekommen, weil ich dich geliebt habe! Und glaubst du, daß ich
Grenzboten II 1910 29
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