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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die neuere Rolonialxolitik

von schon lange überzeugt. Wenn man aber aus der Petition ersieht, wie
gering anscheinend das Rassenbewußtsein auf Samoa entwickelt ist, so muß man
der Verwaltung Dank wissen, daß sie bisher, wenn auch aus anderen Gründen,
eine planmäßige Besiedlung verhindert hat. Denn sie würde eine Gefahr für
die Heimat bilden. Über die von den Deutschen Samoas gewünschte Selbst¬
verwaltung ließe sich vom wirtschaftlichen und finanzpolitischen Standpunkt wohl
reden, und wenn man die gouvernementale Finanzpolitik auf Samoa unter die
Lupe nimmt, so kommt man sogar zu dem Schluß, daß es hohe Zeit für die
Beteiligung der betroffenen Ansiedler an der Verwaltung ist. Aber vom rasse¬
politischen Standpunkt muß man auch andere Bedenken gelten lassen.

Daß sich in einer Musterkolonie wie Kiautschou mit der Zeit Selbst¬
verwaltungsbestrebungen regen würden, war vorauszusehen. Kiautschou ist
bekanntlich der Marineverwaltung unterstellt worden. Diese hat die Hafenstadt
Tsingtau mit allen Errungenschaften der Neuzeit, musterhafter Stadtanlage,
Kanalisation, Wasserleitung, elektrischem Licht, Schlachthaus ausgestattet, dazu mit
modernen Hafenanlagen usw. Es scheint aber, als ob ihr die Sache ein wenig
über den Kopf gewachsen sei. Wenigstens ist der Etat von Kiautschou in der
Budgetkommission des Reichstags einer fürchterlichen Musterung unterzogen und
erheblich beschnitten worden. Offenbar ist der Verwaltung von Kiautschou die
Erziehung zu rationellerer Wirtschaft sehr vonnöten. Gewisse Anfänge für
eine spätere Selbstverwaltung sind in Tsingtau schon vorhanden. Im Gou¬
vernementsrat sitzen vier Bürgerschastsvertreter, von denen je einer von den
im Handelsregister eingetragenen Kaufleuten, von den im Grundbuch eingetragenen
Grundbesitzern und vom Vorstand der Handelskammer in direkter geheimer Wahl
gewählt, das vierte Mitglied vom Gouvernement berufen wird. Aber diese
Korporation hat nur beratende, nicht beschließende Stimme, ihr Einfluß auf die
Verwaltung ist also nur beschränkt. Seit ungefähr zwei Jahren, angeregt durch
die Frage der Erweiterung der Gouvernementsschule, schweben nun zwischen
der Bürgerschaft von Tsingtau einerseits, den: Gouvernement bezw. Reichs¬
marineamt anderseits Verhandlungen wegen der Grundlagen einer Selbst¬
verwaltung. Wir können hier auf den Inhalt der Aktenstücke, die in der
"Kiautschou-Post" veröffentlicht sind, nicht näher eingehen. Wir haben den
Eindruck, als ob auf beiden Seiten über das Ziel hinausgeschossen würde. Die
Marineverwaltung, die sich offenbar mit ihren mannigfachen Gründungen in
Kiautschou etwas übernommen hat, fühlt anscheinend das dringende Bedürfnis,
alle Einnahmen für den Fiskus in Anspruch zu nehmen und auf die Kommunal¬
verwaltung die minder einträglichen öffentlichen Einrichtungen abzuschieben.
Die Bürgerschastsvertreter hinwiederum wollen der Kolonie die staatsrechtliche
Natur einer solchen absprechen und Kiautschou lediglich als Konsulatsbezirk und
Flottenstation behandelt wissen, was sie der Steuerzahlung entheben würde.
Dementsprechend wollen sie die Verwaltungseinnahmen sür die zu gründende
Kommune in Anspruch nehmen. Mit der verbleibenden Flottenstation soll sich


Die neuere Rolonialxolitik

von schon lange überzeugt. Wenn man aber aus der Petition ersieht, wie
gering anscheinend das Rassenbewußtsein auf Samoa entwickelt ist, so muß man
der Verwaltung Dank wissen, daß sie bisher, wenn auch aus anderen Gründen,
eine planmäßige Besiedlung verhindert hat. Denn sie würde eine Gefahr für
die Heimat bilden. Über die von den Deutschen Samoas gewünschte Selbst¬
verwaltung ließe sich vom wirtschaftlichen und finanzpolitischen Standpunkt wohl
reden, und wenn man die gouvernementale Finanzpolitik auf Samoa unter die
Lupe nimmt, so kommt man sogar zu dem Schluß, daß es hohe Zeit für die
Beteiligung der betroffenen Ansiedler an der Verwaltung ist. Aber vom rasse¬
politischen Standpunkt muß man auch andere Bedenken gelten lassen.

Daß sich in einer Musterkolonie wie Kiautschou mit der Zeit Selbst¬
verwaltungsbestrebungen regen würden, war vorauszusehen. Kiautschou ist
bekanntlich der Marineverwaltung unterstellt worden. Diese hat die Hafenstadt
Tsingtau mit allen Errungenschaften der Neuzeit, musterhafter Stadtanlage,
Kanalisation, Wasserleitung, elektrischem Licht, Schlachthaus ausgestattet, dazu mit
modernen Hafenanlagen usw. Es scheint aber, als ob ihr die Sache ein wenig
über den Kopf gewachsen sei. Wenigstens ist der Etat von Kiautschou in der
Budgetkommission des Reichstags einer fürchterlichen Musterung unterzogen und
erheblich beschnitten worden. Offenbar ist der Verwaltung von Kiautschou die
Erziehung zu rationellerer Wirtschaft sehr vonnöten. Gewisse Anfänge für
eine spätere Selbstverwaltung sind in Tsingtau schon vorhanden. Im Gou¬
vernementsrat sitzen vier Bürgerschastsvertreter, von denen je einer von den
im Handelsregister eingetragenen Kaufleuten, von den im Grundbuch eingetragenen
Grundbesitzern und vom Vorstand der Handelskammer in direkter geheimer Wahl
gewählt, das vierte Mitglied vom Gouvernement berufen wird. Aber diese
Korporation hat nur beratende, nicht beschließende Stimme, ihr Einfluß auf die
Verwaltung ist also nur beschränkt. Seit ungefähr zwei Jahren, angeregt durch
die Frage der Erweiterung der Gouvernementsschule, schweben nun zwischen
der Bürgerschaft von Tsingtau einerseits, den: Gouvernement bezw. Reichs¬
marineamt anderseits Verhandlungen wegen der Grundlagen einer Selbst¬
verwaltung. Wir können hier auf den Inhalt der Aktenstücke, die in der
„Kiautschou-Post" veröffentlicht sind, nicht näher eingehen. Wir haben den
Eindruck, als ob auf beiden Seiten über das Ziel hinausgeschossen würde. Die
Marineverwaltung, die sich offenbar mit ihren mannigfachen Gründungen in
Kiautschou etwas übernommen hat, fühlt anscheinend das dringende Bedürfnis,
alle Einnahmen für den Fiskus in Anspruch zu nehmen und auf die Kommunal¬
verwaltung die minder einträglichen öffentlichen Einrichtungen abzuschieben.
Die Bürgerschastsvertreter hinwiederum wollen der Kolonie die staatsrechtliche
Natur einer solchen absprechen und Kiautschou lediglich als Konsulatsbezirk und
Flottenstation behandelt wissen, was sie der Steuerzahlung entheben würde.
Dementsprechend wollen sie die Verwaltungseinnahmen sür die zu gründende
Kommune in Anspruch nehmen. Mit der verbleibenden Flottenstation soll sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/115>, abgerufen am 23.07.2024.