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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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meine Freundschaft und meine Liebe bauen, und wenn ich Dich je in der geringsten
Sache nur im Stich lasse, hoffe ich, daß Du mich hassest, und das ist der größte Fluch,
der auf mein unglückliches Haupt fallen könnte. O, wann werde ich meine teure,
kleine Pitti wiedersehen? Daß sie immer die Meine bleibe, darum bitte ich Gott.
O meine süße Babby, ich bin jetzt wie niedergeschmettert, wenn ich daran denke, wie
glücklich wir zusammen gewesen sind! O, vergiß mich doch nicht, mein reizendes Weib,
denn Du bist es mir, und ich hoffe, daß Du es mir auch ferner sein wirst! O, denke
an alles, was wir so oft zusammen gesprochen haben, dann halte ich es für unmöglich,
daß Du mir untreu würdest, in welcher Art es auch wäre. Rufe Dir die Dinge
Wohl ins Gedächtnis, die unter uns borgegangen sind, und dann denke regelmäßig um
11 bis 12 Uhr mittags jeden Tag an mich, dann werden unsere Seelen sich zusammen¬
finden, denn ich tue nichts anderes, als an Dich, geliebtes Wesen, zu denken! Wenn
wir uns einst für immer zusammenfinden werden, müssen wir uns recht lieb haben,
nach so vielem Unglück, das wir gemeinsam erfahren haben. O, folge allen meinen
Ratschlägen und denke jeden Abend daran, ob Du nicht während des Tages gegen
eine davon gefehlt habestl Lasse Dich nicht zu oft mit Männern öffentlich sehen, denn
man wird dann sagen, daß Du Dich meiner nicht mehr erinnerst I Benimm Dich
vorsichtig, ja noch vorsichtiger als damals, da ich bei Dir wart Denn sie haben
geglaubt, daß Du, wenn ich einmal sort bin, alles machen würdest, was man von Dir
verlange, und nur meine Anwesenheit habe Dich daran gehindert. Nun, meine Seele,
denke an alles, und sei davon überzeugt, daß Du auf mich zählen kannst, als wenn
ich bei Dir wärel Heute vor acht Tagen waren wir zusammen und dachten sehr wenig
daran, daß wir so bald getrennt sein würden. Können wir uns denn wirklich nicht
mehr wiedersehen? Ach Gott, welch ein Gedanke, daß ich fern bin von meiner
liebenswürdigen Gattin! Ungeheure Meere trennen uns bald. O Gott, ist eS nötig,
daß ich das alles leide? Ja, es ist nötig, um nicht die zu verlieren, die mir so teuer
ist. Ich werde mein Möglichstes tun, um mich aufrecht zu erhalten, aber ermangle
nachher nicht, dessen eingedenk zu sein, daß ich diese Beschwerden einzig und allein für
Dich ertragen habe! O meine Seele, denke oft an mich und an das alles, was ich Dir
gesagt habet Um es Dir noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen: trage Sorge dafür,
daß Bun diesen Brief nicht sieht, verbrenne ihn, aber schreibe erst gewisse Ratschläge ab,
welche ich Dir gegeben habe, und sieh alle Tage zu, ob Du sie auch beobachtest I Nimm
Dich sehr in acht, daß Bun nicht das geringste davon bemerkt! Nun, mein teuerstes
Weib, sage ich Dir Lebewohl! Großer Gott, welches Lebewohl! Zähle auf mich, und
ich werde auf Dich zählen, mein liebes Kind! Fern von Dir, oder bei Dir, ich werde
immer Dein sein. Wenn er (gemeint ist der Überbringer des Briefes) Dir den Brief
richtig abliefert, gib ihm einen Dukaten für seine Treue! Lebe Wohl, liebe, liebe, liebste
Gattin, denke an Deinen Gatten, obwohl er fern von Dir ist! Lebewohl, Seele meiner
Seele, Leben meines Lebens, meine teuerste Babby, lebe Wohl! Denke um diese Stunde
an -- was? Du verstehst mich! Der Unglückliche."

Wir wissen, daß keiner dieser drei Briefe an seine Adresse gelangte. Das
entschuldigt die Barbarina einigermaßen, deren Lebensführung keineswegs nach
den Ratschlägen zugeschnitten war, die der arme, verliebte Doktrinär ihr so reichlich
erteilt hatte. Am 13. Mai trat die Barbarinn zum erstenmal in Berlin auf und
konnte, wie Cäsar nach seinein Siege in Asien, sagen: Vsni, vieil, viel. Es war
ein vollkommener Triumph. Von nun an beherrschte die reizende, lebensprühende
prima büIlerinÄ sssoluta nicht nur unbestritten das Königliche Ballett, sondern
bestrickte die ganze Berliner Gesellschaft, nicht zum wenigsten den König selbst, und
zwar nicht nur durch ihre hohe Kunstfertigkeit, Anmut und Schönheit, sondern
auch durch ihre für eine Italienerin nicht unbedeutende Bildung, sowie durch ihre
Fertigkeit, sich in der italienischen, französischen und englischen Sprache gut zu
unterhalten, ferner durch ihre geistvolle und witzige Art, ihre Belesenheit und
Schlagfertigkeit. Kein Wunder, daß sich in der preußischen Hauptstadt ein förm¬
licher Varbarinakulws entwickelte. Überall, wo sie erschien, bildete sie den Mittel-


meine Freundschaft und meine Liebe bauen, und wenn ich Dich je in der geringsten
Sache nur im Stich lasse, hoffe ich, daß Du mich hassest, und das ist der größte Fluch,
der auf mein unglückliches Haupt fallen könnte. O, wann werde ich meine teure,
kleine Pitti wiedersehen? Daß sie immer die Meine bleibe, darum bitte ich Gott.
O meine süße Babby, ich bin jetzt wie niedergeschmettert, wenn ich daran denke, wie
glücklich wir zusammen gewesen sind! O, vergiß mich doch nicht, mein reizendes Weib,
denn Du bist es mir, und ich hoffe, daß Du es mir auch ferner sein wirst! O, denke
an alles, was wir so oft zusammen gesprochen haben, dann halte ich es für unmöglich,
daß Du mir untreu würdest, in welcher Art es auch wäre. Rufe Dir die Dinge
Wohl ins Gedächtnis, die unter uns borgegangen sind, und dann denke regelmäßig um
11 bis 12 Uhr mittags jeden Tag an mich, dann werden unsere Seelen sich zusammen¬
finden, denn ich tue nichts anderes, als an Dich, geliebtes Wesen, zu denken! Wenn
wir uns einst für immer zusammenfinden werden, müssen wir uns recht lieb haben,
nach so vielem Unglück, das wir gemeinsam erfahren haben. O, folge allen meinen
Ratschlägen und denke jeden Abend daran, ob Du nicht während des Tages gegen
eine davon gefehlt habestl Lasse Dich nicht zu oft mit Männern öffentlich sehen, denn
man wird dann sagen, daß Du Dich meiner nicht mehr erinnerst I Benimm Dich
vorsichtig, ja noch vorsichtiger als damals, da ich bei Dir wart Denn sie haben
geglaubt, daß Du, wenn ich einmal sort bin, alles machen würdest, was man von Dir
verlange, und nur meine Anwesenheit habe Dich daran gehindert. Nun, meine Seele,
denke an alles, und sei davon überzeugt, daß Du auf mich zählen kannst, als wenn
ich bei Dir wärel Heute vor acht Tagen waren wir zusammen und dachten sehr wenig
daran, daß wir so bald getrennt sein würden. Können wir uns denn wirklich nicht
mehr wiedersehen? Ach Gott, welch ein Gedanke, daß ich fern bin von meiner
liebenswürdigen Gattin! Ungeheure Meere trennen uns bald. O Gott, ist eS nötig,
daß ich das alles leide? Ja, es ist nötig, um nicht die zu verlieren, die mir so teuer
ist. Ich werde mein Möglichstes tun, um mich aufrecht zu erhalten, aber ermangle
nachher nicht, dessen eingedenk zu sein, daß ich diese Beschwerden einzig und allein für
Dich ertragen habe! O meine Seele, denke oft an mich und an das alles, was ich Dir
gesagt habet Um es Dir noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen: trage Sorge dafür,
daß Bun diesen Brief nicht sieht, verbrenne ihn, aber schreibe erst gewisse Ratschläge ab,
welche ich Dir gegeben habe, und sieh alle Tage zu, ob Du sie auch beobachtest I Nimm
Dich sehr in acht, daß Bun nicht das geringste davon bemerkt! Nun, mein teuerstes
Weib, sage ich Dir Lebewohl! Großer Gott, welches Lebewohl! Zähle auf mich, und
ich werde auf Dich zählen, mein liebes Kind! Fern von Dir, oder bei Dir, ich werde
immer Dein sein. Wenn er (gemeint ist der Überbringer des Briefes) Dir den Brief
richtig abliefert, gib ihm einen Dukaten für seine Treue! Lebe Wohl, liebe, liebe, liebste
Gattin, denke an Deinen Gatten, obwohl er fern von Dir ist! Lebewohl, Seele meiner
Seele, Leben meines Lebens, meine teuerste Babby, lebe Wohl! Denke um diese Stunde
an — was? Du verstehst mich! Der Unglückliche."

Wir wissen, daß keiner dieser drei Briefe an seine Adresse gelangte. Das
entschuldigt die Barbarina einigermaßen, deren Lebensführung keineswegs nach
den Ratschlägen zugeschnitten war, die der arme, verliebte Doktrinär ihr so reichlich
erteilt hatte. Am 13. Mai trat die Barbarinn zum erstenmal in Berlin auf und
konnte, wie Cäsar nach seinein Siege in Asien, sagen: Vsni, vieil, viel. Es war
ein vollkommener Triumph. Von nun an beherrschte die reizende, lebensprühende
prima büIlerinÄ sssoluta nicht nur unbestritten das Königliche Ballett, sondern
bestrickte die ganze Berliner Gesellschaft, nicht zum wenigsten den König selbst, und
zwar nicht nur durch ihre hohe Kunstfertigkeit, Anmut und Schönheit, sondern
auch durch ihre für eine Italienerin nicht unbedeutende Bildung, sowie durch ihre
Fertigkeit, sich in der italienischen, französischen und englischen Sprache gut zu
unterhalten, ferner durch ihre geistvolle und witzige Art, ihre Belesenheit und
Schlagfertigkeit. Kein Wunder, daß sich in der preußischen Hauptstadt ein förm¬
licher Varbarinakulws entwickelte. Überall, wo sie erschien, bildete sie den Mittel-


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[0082] meine Freundschaft und meine Liebe bauen, und wenn ich Dich je in der geringsten Sache nur im Stich lasse, hoffe ich, daß Du mich hassest, und das ist der größte Fluch, der auf mein unglückliches Haupt fallen könnte. O, wann werde ich meine teure, kleine Pitti wiedersehen? Daß sie immer die Meine bleibe, darum bitte ich Gott. O meine süße Babby, ich bin jetzt wie niedergeschmettert, wenn ich daran denke, wie glücklich wir zusammen gewesen sind! O, vergiß mich doch nicht, mein reizendes Weib, denn Du bist es mir, und ich hoffe, daß Du es mir auch ferner sein wirst! O, denke an alles, was wir so oft zusammen gesprochen haben, dann halte ich es für unmöglich, daß Du mir untreu würdest, in welcher Art es auch wäre. Rufe Dir die Dinge Wohl ins Gedächtnis, die unter uns borgegangen sind, und dann denke regelmäßig um 11 bis 12 Uhr mittags jeden Tag an mich, dann werden unsere Seelen sich zusammen¬ finden, denn ich tue nichts anderes, als an Dich, geliebtes Wesen, zu denken! Wenn wir uns einst für immer zusammenfinden werden, müssen wir uns recht lieb haben, nach so vielem Unglück, das wir gemeinsam erfahren haben. O, folge allen meinen Ratschlägen und denke jeden Abend daran, ob Du nicht während des Tages gegen eine davon gefehlt habestl Lasse Dich nicht zu oft mit Männern öffentlich sehen, denn man wird dann sagen, daß Du Dich meiner nicht mehr erinnerst I Benimm Dich vorsichtig, ja noch vorsichtiger als damals, da ich bei Dir wart Denn sie haben geglaubt, daß Du, wenn ich einmal sort bin, alles machen würdest, was man von Dir verlange, und nur meine Anwesenheit habe Dich daran gehindert. Nun, meine Seele, denke an alles, und sei davon überzeugt, daß Du auf mich zählen kannst, als wenn ich bei Dir wärel Heute vor acht Tagen waren wir zusammen und dachten sehr wenig daran, daß wir so bald getrennt sein würden. Können wir uns denn wirklich nicht mehr wiedersehen? Ach Gott, welch ein Gedanke, daß ich fern bin von meiner liebenswürdigen Gattin! Ungeheure Meere trennen uns bald. O Gott, ist eS nötig, daß ich das alles leide? Ja, es ist nötig, um nicht die zu verlieren, die mir so teuer ist. Ich werde mein Möglichstes tun, um mich aufrecht zu erhalten, aber ermangle nachher nicht, dessen eingedenk zu sein, daß ich diese Beschwerden einzig und allein für Dich ertragen habe! O meine Seele, denke oft an mich und an das alles, was ich Dir gesagt habet Um es Dir noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen: trage Sorge dafür, daß Bun diesen Brief nicht sieht, verbrenne ihn, aber schreibe erst gewisse Ratschläge ab, welche ich Dir gegeben habe, und sieh alle Tage zu, ob Du sie auch beobachtest I Nimm Dich sehr in acht, daß Bun nicht das geringste davon bemerkt! Nun, mein teuerstes Weib, sage ich Dir Lebewohl! Großer Gott, welches Lebewohl! Zähle auf mich, und ich werde auf Dich zählen, mein liebes Kind! Fern von Dir, oder bei Dir, ich werde immer Dein sein. Wenn er (gemeint ist der Überbringer des Briefes) Dir den Brief richtig abliefert, gib ihm einen Dukaten für seine Treue! Lebe Wohl, liebe, liebe, liebste Gattin, denke an Deinen Gatten, obwohl er fern von Dir ist! Lebewohl, Seele meiner Seele, Leben meines Lebens, meine teuerste Babby, lebe Wohl! Denke um diese Stunde an — was? Du verstehst mich! Der Unglückliche." Wir wissen, daß keiner dieser drei Briefe an seine Adresse gelangte. Das entschuldigt die Barbarina einigermaßen, deren Lebensführung keineswegs nach den Ratschlägen zugeschnitten war, die der arme, verliebte Doktrinär ihr so reichlich erteilt hatte. Am 13. Mai trat die Barbarinn zum erstenmal in Berlin auf und konnte, wie Cäsar nach seinein Siege in Asien, sagen: Vsni, vieil, viel. Es war ein vollkommener Triumph. Von nun an beherrschte die reizende, lebensprühende prima büIlerinÄ sssoluta nicht nur unbestritten das Königliche Ballett, sondern bestrickte die ganze Berliner Gesellschaft, nicht zum wenigsten den König selbst, und zwar nicht nur durch ihre hohe Kunstfertigkeit, Anmut und Schönheit, sondern auch durch ihre für eine Italienerin nicht unbedeutende Bildung, sowie durch ihre Fertigkeit, sich in der italienischen, französischen und englischen Sprache gut zu unterhalten, ferner durch ihre geistvolle und witzige Art, ihre Belesenheit und Schlagfertigkeit. Kein Wunder, daß sich in der preußischen Hauptstadt ein förm¬ licher Varbarinakulws entwickelte. Überall, wo sie erschien, bildete sie den Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/82>, abgerufen am 22.12.2024.