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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Braucht Icipan Krieg?

dadurch, daß er sowohl die heimischen wie auch die internationalen Angelegenheiten
objektiv beurteilte. Je älter er wurde, desto freundlicher trat er dein Ausland
gegenüber, desto öfter stieß er aber auch daheim ein, nachdem die Begeisterung
der Japaner für die europäische Kultur seit etwa 1885 in den alten Chauvinismus
umgeschlagen war.

Da er die Machtverhültnisse in der Welt richtig abschätzte, so war er
Gegner einer vorzeitigen Eroberung Koreas, die die Kriegerkaste schon im Anfang
der siebziger Jahre plante. Den Krieg gegen China ließ er erst zum Ausbruch
kommen, als alle diplomatischen Mittel erschöpft waren. 1895 willigte er
in die Rückgabe Linotungs an China, weil Japan zu einem Kriege gegen
Rußland noch nicht gerüstet, vor allem noch nicht im Besitz einer modernen
Marine war. Ja, auch später hätte er den .Krieg gern vermieden, um sein
Land nicht in finanzielle Erschöpfung zu stürzen. Das Volk würdigt ihn selbst
heute nicht recht. Im stark demokratischen Japan wird die Masse höher geachtet
als der einzelne hervorragende Mann. Der Respekt vor den Großen ist vor
allem bei der Bevölkerung der Großstädte sehr gering. Und so hört man denn
von Japanern vielfach das Urteil: "Jto hat Glück gehabt." Gewiß, er hat
Glück gehabt, wie denn ohne Glück selten ein Mensch recht vorwärts kommt.
Aber er hat auch verstanden, die guten Gelegenheiten für sich und sein Land
auszunutzen.

Sein klarer Geist erkannte die Schwäche seines Landes und die Vorteile
der europäischen Kultur. Wie kein anderer hat er auf Reisen die Einrichtungen
des Auslandes studiert und daheim von Ausländern sich unterrichten lassen; wie
kein anderer hat er die Neformarbeit gefördert und den Aufschwung Japans
herbeigeführt. Und da keiner so wie er die großen Leistungen der Ausländer
für Japan anerkannt hat, so können wir unserseits in das hohe Lob einsichtiger
Japaner einstimmen, die ihn den "Schöpfer des modernen Japan" nennen.

Doch auch die sogenannte Kriegspartei hat ihre großen Verdienste um
Japan. Dem Botschafter Motono in Petersburg, der während des Krieges
Gesandter in Paris war, wurde das alte Wort in den Mund gelegt: "Solange
wir Japaner nur als ein Volk von Künstlern galten, zählte man uns nicht mit.
Seitdem die Welt eingesehen hat, daß wir anch Menschen töten, Armeen schlagen
können, gelten wir als Großmacht." Das ist richtig. Wie Friedrich der Große
durch seine Siege über Osterreich die Großmachtstellung Preußens schuf, so hat Japan
durch seine Siege über China und Nußland seine Großmachtstellung errungen.
Wie aber Preußen einer Frist von etwa hundert Jahren bedürfte, ehe es voll¬
kräftig wurde, so bedarf auch Japan einer längeren Zeit, ehe es im Innern aus¬
gebaut und in Volksbildung, Industrie, Handel und Finanzen vollkrüftig
geworden ist. Und da die Großmachtstellung eines Landes heute weit mehr
als früher von einer reiche Einnahmen liefernden Industrie abhängt, die
Großindustrie aber in Japan noch in den Kinderschuhen steckt, so ist der
Friede, die friedliche Entwicklung der Volkskräfte für, Japan gradezu eine


Grenzboten I 1910 9
Braucht Icipan Krieg?

dadurch, daß er sowohl die heimischen wie auch die internationalen Angelegenheiten
objektiv beurteilte. Je älter er wurde, desto freundlicher trat er dein Ausland
gegenüber, desto öfter stieß er aber auch daheim ein, nachdem die Begeisterung
der Japaner für die europäische Kultur seit etwa 1885 in den alten Chauvinismus
umgeschlagen war.

Da er die Machtverhültnisse in der Welt richtig abschätzte, so war er
Gegner einer vorzeitigen Eroberung Koreas, die die Kriegerkaste schon im Anfang
der siebziger Jahre plante. Den Krieg gegen China ließ er erst zum Ausbruch
kommen, als alle diplomatischen Mittel erschöpft waren. 1895 willigte er
in die Rückgabe Linotungs an China, weil Japan zu einem Kriege gegen
Rußland noch nicht gerüstet, vor allem noch nicht im Besitz einer modernen
Marine war. Ja, auch später hätte er den .Krieg gern vermieden, um sein
Land nicht in finanzielle Erschöpfung zu stürzen. Das Volk würdigt ihn selbst
heute nicht recht. Im stark demokratischen Japan wird die Masse höher geachtet
als der einzelne hervorragende Mann. Der Respekt vor den Großen ist vor
allem bei der Bevölkerung der Großstädte sehr gering. Und so hört man denn
von Japanern vielfach das Urteil: „Jto hat Glück gehabt." Gewiß, er hat
Glück gehabt, wie denn ohne Glück selten ein Mensch recht vorwärts kommt.
Aber er hat auch verstanden, die guten Gelegenheiten für sich und sein Land
auszunutzen.

Sein klarer Geist erkannte die Schwäche seines Landes und die Vorteile
der europäischen Kultur. Wie kein anderer hat er auf Reisen die Einrichtungen
des Auslandes studiert und daheim von Ausländern sich unterrichten lassen; wie
kein anderer hat er die Neformarbeit gefördert und den Aufschwung Japans
herbeigeführt. Und da keiner so wie er die großen Leistungen der Ausländer
für Japan anerkannt hat, so können wir unserseits in das hohe Lob einsichtiger
Japaner einstimmen, die ihn den „Schöpfer des modernen Japan" nennen.

Doch auch die sogenannte Kriegspartei hat ihre großen Verdienste um
Japan. Dem Botschafter Motono in Petersburg, der während des Krieges
Gesandter in Paris war, wurde das alte Wort in den Mund gelegt: „Solange
wir Japaner nur als ein Volk von Künstlern galten, zählte man uns nicht mit.
Seitdem die Welt eingesehen hat, daß wir anch Menschen töten, Armeen schlagen
können, gelten wir als Großmacht." Das ist richtig. Wie Friedrich der Große
durch seine Siege über Osterreich die Großmachtstellung Preußens schuf, so hat Japan
durch seine Siege über China und Nußland seine Großmachtstellung errungen.
Wie aber Preußen einer Frist von etwa hundert Jahren bedürfte, ehe es voll¬
kräftig wurde, so bedarf auch Japan einer längeren Zeit, ehe es im Innern aus¬
gebaut und in Volksbildung, Industrie, Handel und Finanzen vollkrüftig
geworden ist. Und da die Großmachtstellung eines Landes heute weit mehr
als früher von einer reiche Einnahmen liefernden Industrie abhängt, die
Großindustrie aber in Japan noch in den Kinderschuhen steckt, so ist der
Friede, die friedliche Entwicklung der Volkskräfte für, Japan gradezu eine


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[0077] Braucht Icipan Krieg? dadurch, daß er sowohl die heimischen wie auch die internationalen Angelegenheiten objektiv beurteilte. Je älter er wurde, desto freundlicher trat er dein Ausland gegenüber, desto öfter stieß er aber auch daheim ein, nachdem die Begeisterung der Japaner für die europäische Kultur seit etwa 1885 in den alten Chauvinismus umgeschlagen war. Da er die Machtverhültnisse in der Welt richtig abschätzte, so war er Gegner einer vorzeitigen Eroberung Koreas, die die Kriegerkaste schon im Anfang der siebziger Jahre plante. Den Krieg gegen China ließ er erst zum Ausbruch kommen, als alle diplomatischen Mittel erschöpft waren. 1895 willigte er in die Rückgabe Linotungs an China, weil Japan zu einem Kriege gegen Rußland noch nicht gerüstet, vor allem noch nicht im Besitz einer modernen Marine war. Ja, auch später hätte er den .Krieg gern vermieden, um sein Land nicht in finanzielle Erschöpfung zu stürzen. Das Volk würdigt ihn selbst heute nicht recht. Im stark demokratischen Japan wird die Masse höher geachtet als der einzelne hervorragende Mann. Der Respekt vor den Großen ist vor allem bei der Bevölkerung der Großstädte sehr gering. Und so hört man denn von Japanern vielfach das Urteil: „Jto hat Glück gehabt." Gewiß, er hat Glück gehabt, wie denn ohne Glück selten ein Mensch recht vorwärts kommt. Aber er hat auch verstanden, die guten Gelegenheiten für sich und sein Land auszunutzen. Sein klarer Geist erkannte die Schwäche seines Landes und die Vorteile der europäischen Kultur. Wie kein anderer hat er auf Reisen die Einrichtungen des Auslandes studiert und daheim von Ausländern sich unterrichten lassen; wie kein anderer hat er die Neformarbeit gefördert und den Aufschwung Japans herbeigeführt. Und da keiner so wie er die großen Leistungen der Ausländer für Japan anerkannt hat, so können wir unserseits in das hohe Lob einsichtiger Japaner einstimmen, die ihn den „Schöpfer des modernen Japan" nennen. Doch auch die sogenannte Kriegspartei hat ihre großen Verdienste um Japan. Dem Botschafter Motono in Petersburg, der während des Krieges Gesandter in Paris war, wurde das alte Wort in den Mund gelegt: „Solange wir Japaner nur als ein Volk von Künstlern galten, zählte man uns nicht mit. Seitdem die Welt eingesehen hat, daß wir anch Menschen töten, Armeen schlagen können, gelten wir als Großmacht." Das ist richtig. Wie Friedrich der Große durch seine Siege über Osterreich die Großmachtstellung Preußens schuf, so hat Japan durch seine Siege über China und Nußland seine Großmachtstellung errungen. Wie aber Preußen einer Frist von etwa hundert Jahren bedürfte, ehe es voll¬ kräftig wurde, so bedarf auch Japan einer längeren Zeit, ehe es im Innern aus¬ gebaut und in Volksbildung, Industrie, Handel und Finanzen vollkrüftig geworden ist. Und da die Großmachtstellung eines Landes heute weit mehr als früher von einer reiche Einnahmen liefernden Industrie abhängt, die Großindustrie aber in Japan noch in den Kinderschuhen steckt, so ist der Friede, die friedliche Entwicklung der Volkskräfte für, Japan gradezu eine Grenzboten I 1910 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/77>, abgerufen am 22.12.2024.