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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Braucht Japan Krieg?

umfangreicher war das Geschäft nur in der jeweiligen Residenz der Schogune,
in Kamakura, Kioto, Jedo, wo Handwerker und Kunsthandwerker für den
Hof und den Adel arbeiteten, bessere Läden und zahlreiche Gilden bestanden.
Großhandel endlich wurde nur von den Reisspekulanten betrieben, die meist auch
das Transportgeschäft zu Lande und zu Wasser beherrschten, d. h. die Küsten¬
schiffahrt; denn größere Schiffe, Überseer, zu bauen, gestattete die Regierung seit
der Abschließung des Landes im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts nicht mehr.

Nun stelle man sich die Revolution vor, die die 1864 durch das Schogunat
bewilligte und 1868 durch die kaiserliche Regierung anerkannte Öffnung des
Landes, sowie die bald darauf vorgenommene Beseitigung des politischen Feudal-
und wirtschaftlichen Zellensnstems im Lande hervorrief I Während in den Mittel¬
meerstaaten der Antike und in den europäischen Staaten des Mittelalters und
der Neuzeit die Geldwirtschaft auf natürlichem Wege die Agrarmirtschaft ver¬
drängte und sich langsam von den See- Md Biunenhandelsplätzen ins Innere
verbreitete, stürzte Japan plötzlich aus der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft.
Bargeld aber war wenig vorhanden. Die geringen Bestände wurden obendrein
durch die Wareneinfuhr aus Europa und Amerika rasch vermindert. Denn Japan
wollte nachholen, was es in jahrhundertelanger Abgeschlossenheit versäumt hatte;
es wollte sich militärisch und wirtschaftlich auf die Stufe der Weltmächte erheben.
Verwaltung, Justiz, Bildungsweseu, Industrie, Handel, Verkehrswesen, Finanz-
und Bankwesen, alles und jedes wurde reformiert, fast völlig neugeschaffen. Und
da hier tatsächlich eine ganz neue Welt entstand, so mußte auch das Denken
umgeformt werden. Und das war das Schwerste an der Reform.

Wer wird sich da wundern, daß die Männer der neuen kaiserliche"
Regierung, lauter Neulinge und Dilettanten in all ihren Ämtern, viel Fehler
gemacht haben; daß das Volk, doppelt mißtrauisch gegen das Ausland, weil es
lange abgeschlossen gewesen war, die gewalsame Öffnung des Landes lange nicht
vergessen konnte; und daß man selbst die im Staats- und Privatdienst ^an¬
gestellten fremden Ratgeber vielfach mehr als Spione überwachte, wie als
Lehrer ausnutzte? Freilich müssen wir anerkennen, daß die Japaner bei der
Riesenarbeit der Reform ihrer sämtlichen Verhältnisse viel gesunden Menschen¬
verstand gezeigt und im allgemeinen das für sie Brauchbare vom Ausland über¬
nommen haben. Einer ihrer ^bedeutendsten Führer war der kürzlich ermordete
Marquis Jto; ein Mann von glänzenden Gaben und -- sehr großem Selbst¬
bewußtsein. Er wußte, daß er der erste Mann in Japan war.

Freilich verleitete ihn dieses Selbstbewußtsein, das indes frei von An¬
maßung war, leicht dazu, die Zügel der Regierung seinen Gegnern zuzuwerfen,
sobald man ihm Schwierigkeiten bereitete. Ein Kämpfer, der die letzte Kraft
einsetzte, um sich in seiner Stellung zu behaupten, war er nie. Er war
insofern durchaus Japaner, als er den offenen Kampf vermied und sich zurück¬
zog. Er verabscheute aber im Gegensatz zu vielen seiner Gegner den Kampf im
geheimen, die Intrige. Und von allen seinen Altersgenossen unterschied er sich


Braucht Japan Krieg?

umfangreicher war das Geschäft nur in der jeweiligen Residenz der Schogune,
in Kamakura, Kioto, Jedo, wo Handwerker und Kunsthandwerker für den
Hof und den Adel arbeiteten, bessere Läden und zahlreiche Gilden bestanden.
Großhandel endlich wurde nur von den Reisspekulanten betrieben, die meist auch
das Transportgeschäft zu Lande und zu Wasser beherrschten, d. h. die Küsten¬
schiffahrt; denn größere Schiffe, Überseer, zu bauen, gestattete die Regierung seit
der Abschließung des Landes im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts nicht mehr.

Nun stelle man sich die Revolution vor, die die 1864 durch das Schogunat
bewilligte und 1868 durch die kaiserliche Regierung anerkannte Öffnung des
Landes, sowie die bald darauf vorgenommene Beseitigung des politischen Feudal-
und wirtschaftlichen Zellensnstems im Lande hervorrief I Während in den Mittel¬
meerstaaten der Antike und in den europäischen Staaten des Mittelalters und
der Neuzeit die Geldwirtschaft auf natürlichem Wege die Agrarmirtschaft ver¬
drängte und sich langsam von den See- Md Biunenhandelsplätzen ins Innere
verbreitete, stürzte Japan plötzlich aus der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft.
Bargeld aber war wenig vorhanden. Die geringen Bestände wurden obendrein
durch die Wareneinfuhr aus Europa und Amerika rasch vermindert. Denn Japan
wollte nachholen, was es in jahrhundertelanger Abgeschlossenheit versäumt hatte;
es wollte sich militärisch und wirtschaftlich auf die Stufe der Weltmächte erheben.
Verwaltung, Justiz, Bildungsweseu, Industrie, Handel, Verkehrswesen, Finanz-
und Bankwesen, alles und jedes wurde reformiert, fast völlig neugeschaffen. Und
da hier tatsächlich eine ganz neue Welt entstand, so mußte auch das Denken
umgeformt werden. Und das war das Schwerste an der Reform.

Wer wird sich da wundern, daß die Männer der neuen kaiserliche»
Regierung, lauter Neulinge und Dilettanten in all ihren Ämtern, viel Fehler
gemacht haben; daß das Volk, doppelt mißtrauisch gegen das Ausland, weil es
lange abgeschlossen gewesen war, die gewalsame Öffnung des Landes lange nicht
vergessen konnte; und daß man selbst die im Staats- und Privatdienst ^an¬
gestellten fremden Ratgeber vielfach mehr als Spione überwachte, wie als
Lehrer ausnutzte? Freilich müssen wir anerkennen, daß die Japaner bei der
Riesenarbeit der Reform ihrer sämtlichen Verhältnisse viel gesunden Menschen¬
verstand gezeigt und im allgemeinen das für sie Brauchbare vom Ausland über¬
nommen haben. Einer ihrer ^bedeutendsten Führer war der kürzlich ermordete
Marquis Jto; ein Mann von glänzenden Gaben und — sehr großem Selbst¬
bewußtsein. Er wußte, daß er der erste Mann in Japan war.

Freilich verleitete ihn dieses Selbstbewußtsein, das indes frei von An¬
maßung war, leicht dazu, die Zügel der Regierung seinen Gegnern zuzuwerfen,
sobald man ihm Schwierigkeiten bereitete. Ein Kämpfer, der die letzte Kraft
einsetzte, um sich in seiner Stellung zu behaupten, war er nie. Er war
insofern durchaus Japaner, als er den offenen Kampf vermied und sich zurück¬
zog. Er verabscheute aber im Gegensatz zu vielen seiner Gegner den Kampf im
geheimen, die Intrige. Und von allen seinen Altersgenossen unterschied er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/76>, abgerufen am 24.07.2024.