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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Braucht Japan Krieg?

beweist vielmehr nur, daß Japan, das sich isoliert fühlt, mit dem früher gering¬
geschätzten mongolischen Nachbar intimer werden will, zumal die japanische
Industrie für ihre Ausfuhr wesentlich auf den chinesischen Markt angewiesen ist.
Die Zeit, wo Japan sich nicht nur als eine europäische Macht betrachtete,
sondern China gegenüber auch die frühere Politik einiger europäischen Großmächte
befolgte, ist vorüber. Japan will auf die Periode der Expansion eine Periode
der Sammlung folgen lassen.

Japan bedarf in der Tat der Sammlung und ruhiger Reformarbeit.
Sind doch erst vierzig Jahre verflossen, seit die eben restaurierte kaiserliche Re¬
gierung sich entschloß, nicht nur die vom Schogunat bewilligte Öffnung des
Landes anzuerkennen, sondern auch europäische Reformen einzuführen. Soweit
Japaner bei dieser Reformarbeit in Betracht kamen, handelte es sich um
Männer, die allerdings zum Teil fortschrittlich gesinnt, aber doch auch sämtlich
ohne eigne gründliche Kenntnisse und reife Erfahrung waren. Die Nomenklatur
der fremden Einrichtungen zu schaffen, war leicht, für die Amtsnamen sofort
passende Träger zu finden, unmöglich. Untere und obere Beamte, die Minister
nicht ausgenommen, waren auf fremde Ratgeber angewiesen. Wie sehr es oft
an den primitivsten staatswirtschaftlichen Begriffen fehlte, beweist z. B. die Tat¬
sache, daß K. Kuroda, ein Satsumcmer Samurai, General, Minister, zweimal
Ministerpräsident, Gouverneur von Hokkaido, ganz Hokkmdo, eine Insel von rund
80000 qkm (Königreich Bayern 75865 qkm) verkaufen wollte! Und wie wenig
die fchlechtbesoldeten japanischen Richter, deren Zahl für die Arbeit nicht ausreichte,
bis heute in den Geist des mitHaut undHaaren übernommenen europäischen Rechtes
eingedrungen sind, davon legen Entscheidungen aus den beiden letzten Jahren 1908
und 1909 Zeugnis ab. In Kobe ansässige Chinesen kehrten nachts von der Feier
ihres Neujahrsfestes zurück. Als die erste Kuruma einen Bahnübergangs passierte,
erfaßte ein eben herankommender Zug das Gefährt. Dem japanischen Wagen-
zieher wurde der Bauch durchschnitten, den: Chinesen der Kopf vom "Rumpfe
getrennt. Der japanische Weichensteller, der ,die Barriere nicht geschlossen und
durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht hatte, erhielt vom Gericht
eine Geldstrafe von 100 Jen (209 Mark). Ein ähnlicher Fall ereignete sich in
Nagasaki. Japanische Schifferknechte ssenclo) fuhren einen Ausländer nachts
zu seinem auf der Reede liegenden Schiffe. Als er sich kurz vor Ankunft an
der Brücke weigerte, mehr als den vorschriftsmäßigen Preis zu bezahlen, warfen
sie ihn über Bord. Er hätte den Tod in den Wellen gefunden, wenn nicht
zufällig ein Dampfboot vorübergefahren wäre. Das Gericht verurteilte die
Attentäter nur zu drei Wochen Gefängnis. Als dagegen der von dein
Engländer Aoung in Kobe herausgegebene, stets gründliche und unparteiische
"Japan Chronicle" die unbegründeten Angriffe des von der kanadischen Re¬
gierung nach Japan entsandten Handelsattaches Preston zurückwies, verhängte
das Gericht anläßlich der von Preston eingereichten Klage über den "Japan
Chronicle" eine Geldstrafe von 5000 Jen. Man vergleiche: zwei Menschenleben


Braucht Japan Krieg?

beweist vielmehr nur, daß Japan, das sich isoliert fühlt, mit dem früher gering¬
geschätzten mongolischen Nachbar intimer werden will, zumal die japanische
Industrie für ihre Ausfuhr wesentlich auf den chinesischen Markt angewiesen ist.
Die Zeit, wo Japan sich nicht nur als eine europäische Macht betrachtete,
sondern China gegenüber auch die frühere Politik einiger europäischen Großmächte
befolgte, ist vorüber. Japan will auf die Periode der Expansion eine Periode
der Sammlung folgen lassen.

Japan bedarf in der Tat der Sammlung und ruhiger Reformarbeit.
Sind doch erst vierzig Jahre verflossen, seit die eben restaurierte kaiserliche Re¬
gierung sich entschloß, nicht nur die vom Schogunat bewilligte Öffnung des
Landes anzuerkennen, sondern auch europäische Reformen einzuführen. Soweit
Japaner bei dieser Reformarbeit in Betracht kamen, handelte es sich um
Männer, die allerdings zum Teil fortschrittlich gesinnt, aber doch auch sämtlich
ohne eigne gründliche Kenntnisse und reife Erfahrung waren. Die Nomenklatur
der fremden Einrichtungen zu schaffen, war leicht, für die Amtsnamen sofort
passende Träger zu finden, unmöglich. Untere und obere Beamte, die Minister
nicht ausgenommen, waren auf fremde Ratgeber angewiesen. Wie sehr es oft
an den primitivsten staatswirtschaftlichen Begriffen fehlte, beweist z. B. die Tat¬
sache, daß K. Kuroda, ein Satsumcmer Samurai, General, Minister, zweimal
Ministerpräsident, Gouverneur von Hokkaido, ganz Hokkmdo, eine Insel von rund
80000 qkm (Königreich Bayern 75865 qkm) verkaufen wollte! Und wie wenig
die fchlechtbesoldeten japanischen Richter, deren Zahl für die Arbeit nicht ausreichte,
bis heute in den Geist des mitHaut undHaaren übernommenen europäischen Rechtes
eingedrungen sind, davon legen Entscheidungen aus den beiden letzten Jahren 1908
und 1909 Zeugnis ab. In Kobe ansässige Chinesen kehrten nachts von der Feier
ihres Neujahrsfestes zurück. Als die erste Kuruma einen Bahnübergangs passierte,
erfaßte ein eben herankommender Zug das Gefährt. Dem japanischen Wagen-
zieher wurde der Bauch durchschnitten, den: Chinesen der Kopf vom "Rumpfe
getrennt. Der japanische Weichensteller, der ,die Barriere nicht geschlossen und
durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht hatte, erhielt vom Gericht
eine Geldstrafe von 100 Jen (209 Mark). Ein ähnlicher Fall ereignete sich in
Nagasaki. Japanische Schifferknechte ssenclo) fuhren einen Ausländer nachts
zu seinem auf der Reede liegenden Schiffe. Als er sich kurz vor Ankunft an
der Brücke weigerte, mehr als den vorschriftsmäßigen Preis zu bezahlen, warfen
sie ihn über Bord. Er hätte den Tod in den Wellen gefunden, wenn nicht
zufällig ein Dampfboot vorübergefahren wäre. Das Gericht verurteilte die
Attentäter nur zu drei Wochen Gefängnis. Als dagegen der von dein
Engländer Aoung in Kobe herausgegebene, stets gründliche und unparteiische
„Japan Chronicle" die unbegründeten Angriffe des von der kanadischen Re¬
gierung nach Japan entsandten Handelsattaches Preston zurückwies, verhängte
das Gericht anläßlich der von Preston eingereichten Klage über den „Japan
Chronicle" eine Geldstrafe von 5000 Jen. Man vergleiche: zwei Menschenleben


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[0074] Braucht Japan Krieg? beweist vielmehr nur, daß Japan, das sich isoliert fühlt, mit dem früher gering¬ geschätzten mongolischen Nachbar intimer werden will, zumal die japanische Industrie für ihre Ausfuhr wesentlich auf den chinesischen Markt angewiesen ist. Die Zeit, wo Japan sich nicht nur als eine europäische Macht betrachtete, sondern China gegenüber auch die frühere Politik einiger europäischen Großmächte befolgte, ist vorüber. Japan will auf die Periode der Expansion eine Periode der Sammlung folgen lassen. Japan bedarf in der Tat der Sammlung und ruhiger Reformarbeit. Sind doch erst vierzig Jahre verflossen, seit die eben restaurierte kaiserliche Re¬ gierung sich entschloß, nicht nur die vom Schogunat bewilligte Öffnung des Landes anzuerkennen, sondern auch europäische Reformen einzuführen. Soweit Japaner bei dieser Reformarbeit in Betracht kamen, handelte es sich um Männer, die allerdings zum Teil fortschrittlich gesinnt, aber doch auch sämtlich ohne eigne gründliche Kenntnisse und reife Erfahrung waren. Die Nomenklatur der fremden Einrichtungen zu schaffen, war leicht, für die Amtsnamen sofort passende Träger zu finden, unmöglich. Untere und obere Beamte, die Minister nicht ausgenommen, waren auf fremde Ratgeber angewiesen. Wie sehr es oft an den primitivsten staatswirtschaftlichen Begriffen fehlte, beweist z. B. die Tat¬ sache, daß K. Kuroda, ein Satsumcmer Samurai, General, Minister, zweimal Ministerpräsident, Gouverneur von Hokkaido, ganz Hokkmdo, eine Insel von rund 80000 qkm (Königreich Bayern 75865 qkm) verkaufen wollte! Und wie wenig die fchlechtbesoldeten japanischen Richter, deren Zahl für die Arbeit nicht ausreichte, bis heute in den Geist des mitHaut undHaaren übernommenen europäischen Rechtes eingedrungen sind, davon legen Entscheidungen aus den beiden letzten Jahren 1908 und 1909 Zeugnis ab. In Kobe ansässige Chinesen kehrten nachts von der Feier ihres Neujahrsfestes zurück. Als die erste Kuruma einen Bahnübergangs passierte, erfaßte ein eben herankommender Zug das Gefährt. Dem japanischen Wagen- zieher wurde der Bauch durchschnitten, den: Chinesen der Kopf vom "Rumpfe getrennt. Der japanische Weichensteller, der ,die Barriere nicht geschlossen und durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht hatte, erhielt vom Gericht eine Geldstrafe von 100 Jen (209 Mark). Ein ähnlicher Fall ereignete sich in Nagasaki. Japanische Schifferknechte ssenclo) fuhren einen Ausländer nachts zu seinem auf der Reede liegenden Schiffe. Als er sich kurz vor Ankunft an der Brücke weigerte, mehr als den vorschriftsmäßigen Preis zu bezahlen, warfen sie ihn über Bord. Er hätte den Tod in den Wellen gefunden, wenn nicht zufällig ein Dampfboot vorübergefahren wäre. Das Gericht verurteilte die Attentäter nur zu drei Wochen Gefängnis. Als dagegen der von dein Engländer Aoung in Kobe herausgegebene, stets gründliche und unparteiische „Japan Chronicle" die unbegründeten Angriffe des von der kanadischen Re¬ gierung nach Japan entsandten Handelsattaches Preston zurückwies, verhängte das Gericht anläßlich der von Preston eingereichten Klage über den „Japan Chronicle" eine Geldstrafe von 5000 Jen. Man vergleiche: zwei Menschenleben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/74>, abgerufen am 24.07.2024.