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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Gskar Jäger

verlangt auch nicht Charakter oder wie all die Abstrakte heißen, deren man
sich mit Vorliebe bedient. Er faßt seine ganze Instruktion in zwei Paragraphen
zusammen: "Z 1. Wem: du vor deinen dreißig Schülern stehst, so erinnere
dich, wie dir's zu Mut und Sinn gewesen, als du selbst ein solcher warst. --
§ 2. Was du von deinen Schülern verlangst -- von Sexta bis Prima, das
leiste auch selbst!" Und Jäger hat recht. In diesen beiden Vorschriften liegen
in der Tat für den Lehrer das Gesetz und die Propheten.

Darum soll der Lehrer sein Verhältnis zum Schüler von der natürlich¬
menschlichen Seite auffassen und dabei auch dem Humor gelegentlich sein Recht
werden lassen. "Und wenn die Schüler in einem unbewachten Augenblicke
einmal dein Porträt an die Tafel malen, so mußt du dich nur nicht ereifern,
denn man kann, wenn man zwölf Jahre alt ist, seines Lehrers große Nase --
entschuldige, sie ist wirklich nicht ganz klein -- an die Tafel malen und ihn
dabei doch fehr lieb haben. Was du tun sollst? -- Es ruhig auslöschen
oder mit ruhigem Befehl durch den nächsten besten Schüler auslöschen lassen.
Nur nicht aus allem eine Geschichte machen, einen Kriminalprozeß mit langer
Untersuchung!"

Wie beim Lehrer, so will Jäger auch beim Direktor nichts von
hoffärtigen Wesen, amtlicher Selbstgefälligkeit wissen. "Man kann auf zweierlei
Art regieren. Auf die orientalische, mit viel amtlichen Air -- Verordnungen,
Zirkularen, Protokollen, Fachkonferenzen, allgemeinen Konferenzen, Referaten,
Korreferaten, Lehrplanfolianten. Dabei kannst du auf deinem Zimmer bleiben,
deinen Schlafrock in würdige Falten legen, und der Schuldiener trügt dir alles
zu, bis die Stunde schlägt. Du zeigst dich wenig, wie einst die Perserkönige,
damit deine Untertanen nicht den Respekt verlieren: erscheinst du dann einmal,
so macht das um so mehr Effekt. -- Es gibt noch eine andere, die man die
okzidentalische, germanische, menschliche nennen kann. Sie besteht darin, daß
man auf dem Platze ist und die Augen offen hält, am Gespräch der Kollegen
in den Pausen mit Heiterkeit teilnimmt, für jedes Desiderium zugänglich ist.
Diese Methode hat den großen Vorteil, daß man sehr vieles im Keime ersticken,
ruhig schlichten kann, ehe es an die große Glocke kommt." Für Jäger heißt
Regieren: Zuerst auf dem Platze sein. "Gib nicht viel Verordnungen, sondern
ein gutes Beispiel, tu vieles selbst -- sehr viel -- viel Arbeit, meine ich.
Nimm dir nicht die besten Stunden, sondern die wirksamsten, diejenigen,
welche die meiste Arbeit verlangen."

Das unbefangene Verhältnis, welches nach Jägers Ansicht zwischen Lehrer
und Schüler bestehen soll, war schon oben berührt, darum ist es auch zu verstehen,
wenn Jäger das sogenannte Naturleben der Schule verständnisvoll zu würdigen
weiß. Er versteht darunter "alles das, was sich ungewollt und unbewußt
aus dem Zusammenwirken der im Schulorganismus vereinigten Kräfte ergibt".
Jäger ist sich wohl bewußt, daß in dieses Gebiet, wo sich erst wirklich die
Individualität des Schülers zeigt, der Lehrer gar nicht oder nur selten dringen


Gskar Jäger

verlangt auch nicht Charakter oder wie all die Abstrakte heißen, deren man
sich mit Vorliebe bedient. Er faßt seine ganze Instruktion in zwei Paragraphen
zusammen: „Z 1. Wem: du vor deinen dreißig Schülern stehst, so erinnere
dich, wie dir's zu Mut und Sinn gewesen, als du selbst ein solcher warst. —
§ 2. Was du von deinen Schülern verlangst — von Sexta bis Prima, das
leiste auch selbst!" Und Jäger hat recht. In diesen beiden Vorschriften liegen
in der Tat für den Lehrer das Gesetz und die Propheten.

Darum soll der Lehrer sein Verhältnis zum Schüler von der natürlich¬
menschlichen Seite auffassen und dabei auch dem Humor gelegentlich sein Recht
werden lassen. „Und wenn die Schüler in einem unbewachten Augenblicke
einmal dein Porträt an die Tafel malen, so mußt du dich nur nicht ereifern,
denn man kann, wenn man zwölf Jahre alt ist, seines Lehrers große Nase —
entschuldige, sie ist wirklich nicht ganz klein — an die Tafel malen und ihn
dabei doch fehr lieb haben. Was du tun sollst? — Es ruhig auslöschen
oder mit ruhigem Befehl durch den nächsten besten Schüler auslöschen lassen.
Nur nicht aus allem eine Geschichte machen, einen Kriminalprozeß mit langer
Untersuchung!"

Wie beim Lehrer, so will Jäger auch beim Direktor nichts von
hoffärtigen Wesen, amtlicher Selbstgefälligkeit wissen. „Man kann auf zweierlei
Art regieren. Auf die orientalische, mit viel amtlichen Air — Verordnungen,
Zirkularen, Protokollen, Fachkonferenzen, allgemeinen Konferenzen, Referaten,
Korreferaten, Lehrplanfolianten. Dabei kannst du auf deinem Zimmer bleiben,
deinen Schlafrock in würdige Falten legen, und der Schuldiener trügt dir alles
zu, bis die Stunde schlägt. Du zeigst dich wenig, wie einst die Perserkönige,
damit deine Untertanen nicht den Respekt verlieren: erscheinst du dann einmal,
so macht das um so mehr Effekt. — Es gibt noch eine andere, die man die
okzidentalische, germanische, menschliche nennen kann. Sie besteht darin, daß
man auf dem Platze ist und die Augen offen hält, am Gespräch der Kollegen
in den Pausen mit Heiterkeit teilnimmt, für jedes Desiderium zugänglich ist.
Diese Methode hat den großen Vorteil, daß man sehr vieles im Keime ersticken,
ruhig schlichten kann, ehe es an die große Glocke kommt." Für Jäger heißt
Regieren: Zuerst auf dem Platze sein. „Gib nicht viel Verordnungen, sondern
ein gutes Beispiel, tu vieles selbst — sehr viel — viel Arbeit, meine ich.
Nimm dir nicht die besten Stunden, sondern die wirksamsten, diejenigen,
welche die meiste Arbeit verlangen."

Das unbefangene Verhältnis, welches nach Jägers Ansicht zwischen Lehrer
und Schüler bestehen soll, war schon oben berührt, darum ist es auch zu verstehen,
wenn Jäger das sogenannte Naturleben der Schule verständnisvoll zu würdigen
weiß. Er versteht darunter „alles das, was sich ungewollt und unbewußt
aus dem Zusammenwirken der im Schulorganismus vereinigten Kräfte ergibt".
Jäger ist sich wohl bewußt, daß in dieses Gebiet, wo sich erst wirklich die
Individualität des Schülers zeigt, der Lehrer gar nicht oder nur selten dringen


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[0617] Gskar Jäger verlangt auch nicht Charakter oder wie all die Abstrakte heißen, deren man sich mit Vorliebe bedient. Er faßt seine ganze Instruktion in zwei Paragraphen zusammen: „Z 1. Wem: du vor deinen dreißig Schülern stehst, so erinnere dich, wie dir's zu Mut und Sinn gewesen, als du selbst ein solcher warst. — § 2. Was du von deinen Schülern verlangst — von Sexta bis Prima, das leiste auch selbst!" Und Jäger hat recht. In diesen beiden Vorschriften liegen in der Tat für den Lehrer das Gesetz und die Propheten. Darum soll der Lehrer sein Verhältnis zum Schüler von der natürlich¬ menschlichen Seite auffassen und dabei auch dem Humor gelegentlich sein Recht werden lassen. „Und wenn die Schüler in einem unbewachten Augenblicke einmal dein Porträt an die Tafel malen, so mußt du dich nur nicht ereifern, denn man kann, wenn man zwölf Jahre alt ist, seines Lehrers große Nase — entschuldige, sie ist wirklich nicht ganz klein — an die Tafel malen und ihn dabei doch fehr lieb haben. Was du tun sollst? — Es ruhig auslöschen oder mit ruhigem Befehl durch den nächsten besten Schüler auslöschen lassen. Nur nicht aus allem eine Geschichte machen, einen Kriminalprozeß mit langer Untersuchung!" Wie beim Lehrer, so will Jäger auch beim Direktor nichts von hoffärtigen Wesen, amtlicher Selbstgefälligkeit wissen. „Man kann auf zweierlei Art regieren. Auf die orientalische, mit viel amtlichen Air — Verordnungen, Zirkularen, Protokollen, Fachkonferenzen, allgemeinen Konferenzen, Referaten, Korreferaten, Lehrplanfolianten. Dabei kannst du auf deinem Zimmer bleiben, deinen Schlafrock in würdige Falten legen, und der Schuldiener trügt dir alles zu, bis die Stunde schlägt. Du zeigst dich wenig, wie einst die Perserkönige, damit deine Untertanen nicht den Respekt verlieren: erscheinst du dann einmal, so macht das um so mehr Effekt. — Es gibt noch eine andere, die man die okzidentalische, germanische, menschliche nennen kann. Sie besteht darin, daß man auf dem Platze ist und die Augen offen hält, am Gespräch der Kollegen in den Pausen mit Heiterkeit teilnimmt, für jedes Desiderium zugänglich ist. Diese Methode hat den großen Vorteil, daß man sehr vieles im Keime ersticken, ruhig schlichten kann, ehe es an die große Glocke kommt." Für Jäger heißt Regieren: Zuerst auf dem Platze sein. „Gib nicht viel Verordnungen, sondern ein gutes Beispiel, tu vieles selbst — sehr viel — viel Arbeit, meine ich. Nimm dir nicht die besten Stunden, sondern die wirksamsten, diejenigen, welche die meiste Arbeit verlangen." Das unbefangene Verhältnis, welches nach Jägers Ansicht zwischen Lehrer und Schüler bestehen soll, war schon oben berührt, darum ist es auch zu verstehen, wenn Jäger das sogenannte Naturleben der Schule verständnisvoll zu würdigen weiß. Er versteht darunter „alles das, was sich ungewollt und unbewußt aus dem Zusammenwirken der im Schulorganismus vereinigten Kräfte ergibt". Jäger ist sich wohl bewußt, daß in dieses Gebiet, wo sich erst wirklich die Individualität des Schülers zeigt, der Lehrer gar nicht oder nur selten dringen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/617>, abgerufen am 22.12.2024.