Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Bismarcks Diese Heftigkeit des Empfindens erklärt zur Genüge den Aufwand von Denn alle Bestrebungen aber, die den Bestand des Staates gefährden, Bismarck verfehlte nicht, diese Grundsätze beizeiten geltend zu machen. "Ich kann mir denken, sagte er im Norddeutschen Reichstage bei den In den gegen die gesetzliche Festlegung und Anwendung der Todesstrafe Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Bismarcks Diese Heftigkeit des Empfindens erklärt zur Genüge den Aufwand von Denn alle Bestrebungen aber, die den Bestand des Staates gefährden, Bismarck verfehlte nicht, diese Grundsätze beizeiten geltend zu machen. „Ich kann mir denken, sagte er im Norddeutschen Reichstage bei den In den gegen die gesetzliche Festlegung und Anwendung der Todesstrafe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315601"/> <fw type="header" place="top"> Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Bismarcks</fw><lb/> <p xml:id="ID_2730"> Diese Heftigkeit des Empfindens erklärt zur Genüge den Aufwand von<lb/> Kraft, den Bismarck in der Bekämpfung der Sozialdemokratie zeigte, denn wenn<lb/> der Staat nicht anders als christlich sein kann, so hat er nicht nur das Recht,<lb/> sondern sogar die Pflicht, seinen Bestand und seinen Charakter zu schützen vor<lb/> diesen gegen sein innerstes Wesen gerichteten Bestrebungen. Da neue Gefahren<lb/> neue Mittel zur Abwehr erfordern, so ergibt sich die Notwendigkeit von Aus¬<lb/> nahmegesetzen, deren Berechtigung Bismarck gleichfalls ausdrücklich einmal aus<lb/> „der Pflicht und der Erfüllung der Pflicht einer christlichen Gesetzgebung"<lb/> herleitete.</p><lb/> <p xml:id="ID_2731"> Denn alle Bestrebungen aber, die den Bestand des Staates gefährden,<lb/> fordern, gleichviel welchen Anschauungen sie entspringen, die Rache des beleidigten<lb/> Staatsgedankens heraus. „Weltliche Obrigkeiten," sagt Bismarck mit Luther,<lb/> „sollen nicht vergeben, was man unrecht tut, sondern strafen." Und dieses<lb/> Strafrecht des Staates verkündet Bismarck mit einer Entschiedenheit, die<lb/> manchmal sogar einer gewissen Härte nicht entbehrt. „Das weichliche Mitleid<lb/> mit dem Leibe des Verbrechers," so schreibt er im Jahre 1849 an seine<lb/> Schwiegermutter als Antwort auf einen Brief, in dem diese die Hinrichtung<lb/> ungarischer Aufständischer beklagt hatte, „trägt die größte Blutschuld der letzten<lb/> sechzig Jahre." Und zwar ist es seiner Meinung nach Ludwig XVI. selbst,<lb/> dem hierbei die meiste Verantwortung zufällt, weil er „aus Abneigung davor,<lb/> den Tod auch nur eines Menschen von Rechts wegen herbeizuführen, schuld<lb/> am Untergange von Millionen wurde". Es ist mehr als eine bloße Meinungs¬<lb/> verschiedenheit über die Zweckmäßigkeit bestimmter Maßregeln unter gewissen<lb/> politischen Verhältnissen, was sich uns bei dieser Gelegenheit enthüllt. Tiefer,<lb/> auf dem Grunde der Dinge, schlummert der religiöse Gegensatz, den wir erraten,<lb/> wenn Bismarck die Haltung Ludwigs mit den Rousseauschen Erziehungsprinzipien<lb/> erklärt, die an die Stelle fester religiöser Begriffe eine allgemeine Menschenliebe<lb/> setzten, mit der es sich als unmöglich erwies die Stürme der Revolution zu<lb/> beschwören.</p><lb/> <p xml:id="ID_2732"> Bismarck verfehlte nicht, diese Grundsätze beizeiten geltend zu machen.<lb/> Schon als es sich darum handelte, das neue Haus zu bauen, das dem deutschen<lb/> Volke als Wohnung dienen sollte, bei der Gründung des Norddeutschen Bundes,<lb/> drückte er dem jungen Staate das Richtschwert in die Hand und forderte nach¬<lb/> drücklich die Aufnahme der Todesstrafe in das Strafgesetzbuch. Sein Unsterb¬<lb/> lichkeitsglaube nimmt auch dem Tode in dieser Form seine Schrecken und läßt<lb/> ihn eher als wahres Mitleid mit dem Verbrecher erscheinen.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_2733"> „Ich kann mir denken, sagte er im Norddeutschen Reichstage bei den<lb/> Verhandlungen über diese Frage, „daß jemandem, der an eine Fortsetzung des<lb/> individuellen Lebens nach dem Tode nicht glaubt, die Todesstrafe härter erscheint<lb/> als demjenigen, der an die Unsterblichkeit der ihm von Gott verliehenen Seele<lb/> glaubt. Wer aber darüber mit sich einig ist, daß diesem Leben kein anderes<lb/> folgt, der kann dem Verbrecher, für den der Tod die Ruhe, der Schlaf ist,<lb/> derjenige Schlaf, den Hamlet ersehnt, der traumlose, nicht zumuten, bei solcher<lb/> Auffassung in der engen Zelle des Gefängnisses, beraubt von allem, was dem<lb/> Leben einen Reiz verleihen kann, das Phosphoreszieren seines Gehirns noch<lb/> eine Zeitlang fortzusetzen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2734" next="#ID_2735"> In den gegen die gesetzliche Festlegung und Anwendung der Todesstrafe<lb/> vorgebrachten Gründen erblickt er demnach nur eine „Krankheit der Zeit",<lb/> nämlich die Scheu vor der Verantwortung, auf eigne Überzeugung hin ein<lb/> Todesurteil auszusprechen. „Diese Furcht," sagt er, „ist eine Krankheit, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Bismarcks
Diese Heftigkeit des Empfindens erklärt zur Genüge den Aufwand von
Kraft, den Bismarck in der Bekämpfung der Sozialdemokratie zeigte, denn wenn
der Staat nicht anders als christlich sein kann, so hat er nicht nur das Recht,
sondern sogar die Pflicht, seinen Bestand und seinen Charakter zu schützen vor
diesen gegen sein innerstes Wesen gerichteten Bestrebungen. Da neue Gefahren
neue Mittel zur Abwehr erfordern, so ergibt sich die Notwendigkeit von Aus¬
nahmegesetzen, deren Berechtigung Bismarck gleichfalls ausdrücklich einmal aus
„der Pflicht und der Erfüllung der Pflicht einer christlichen Gesetzgebung"
herleitete.
Denn alle Bestrebungen aber, die den Bestand des Staates gefährden,
fordern, gleichviel welchen Anschauungen sie entspringen, die Rache des beleidigten
Staatsgedankens heraus. „Weltliche Obrigkeiten," sagt Bismarck mit Luther,
„sollen nicht vergeben, was man unrecht tut, sondern strafen." Und dieses
Strafrecht des Staates verkündet Bismarck mit einer Entschiedenheit, die
manchmal sogar einer gewissen Härte nicht entbehrt. „Das weichliche Mitleid
mit dem Leibe des Verbrechers," so schreibt er im Jahre 1849 an seine
Schwiegermutter als Antwort auf einen Brief, in dem diese die Hinrichtung
ungarischer Aufständischer beklagt hatte, „trägt die größte Blutschuld der letzten
sechzig Jahre." Und zwar ist es seiner Meinung nach Ludwig XVI. selbst,
dem hierbei die meiste Verantwortung zufällt, weil er „aus Abneigung davor,
den Tod auch nur eines Menschen von Rechts wegen herbeizuführen, schuld
am Untergange von Millionen wurde". Es ist mehr als eine bloße Meinungs¬
verschiedenheit über die Zweckmäßigkeit bestimmter Maßregeln unter gewissen
politischen Verhältnissen, was sich uns bei dieser Gelegenheit enthüllt. Tiefer,
auf dem Grunde der Dinge, schlummert der religiöse Gegensatz, den wir erraten,
wenn Bismarck die Haltung Ludwigs mit den Rousseauschen Erziehungsprinzipien
erklärt, die an die Stelle fester religiöser Begriffe eine allgemeine Menschenliebe
setzten, mit der es sich als unmöglich erwies die Stürme der Revolution zu
beschwören.
Bismarck verfehlte nicht, diese Grundsätze beizeiten geltend zu machen.
Schon als es sich darum handelte, das neue Haus zu bauen, das dem deutschen
Volke als Wohnung dienen sollte, bei der Gründung des Norddeutschen Bundes,
drückte er dem jungen Staate das Richtschwert in die Hand und forderte nach¬
drücklich die Aufnahme der Todesstrafe in das Strafgesetzbuch. Sein Unsterb¬
lichkeitsglaube nimmt auch dem Tode in dieser Form seine Schrecken und läßt
ihn eher als wahres Mitleid mit dem Verbrecher erscheinen.
"
„Ich kann mir denken, sagte er im Norddeutschen Reichstage bei den
Verhandlungen über diese Frage, „daß jemandem, der an eine Fortsetzung des
individuellen Lebens nach dem Tode nicht glaubt, die Todesstrafe härter erscheint
als demjenigen, der an die Unsterblichkeit der ihm von Gott verliehenen Seele
glaubt. Wer aber darüber mit sich einig ist, daß diesem Leben kein anderes
folgt, der kann dem Verbrecher, für den der Tod die Ruhe, der Schlaf ist,
derjenige Schlaf, den Hamlet ersehnt, der traumlose, nicht zumuten, bei solcher
Auffassung in der engen Zelle des Gefängnisses, beraubt von allem, was dem
Leben einen Reiz verleihen kann, das Phosphoreszieren seines Gehirns noch
eine Zeitlang fortzusetzen."
In den gegen die gesetzliche Festlegung und Anwendung der Todesstrafe
vorgebrachten Gründen erblickt er demnach nur eine „Krankheit der Zeit",
nämlich die Scheu vor der Verantwortung, auf eigne Überzeugung hin ein
Todesurteil auszusprechen. „Diese Furcht," sagt er, „ist eine Krankheit, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |