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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung

gehören durchaus nicht alle zu den Steuerzahlern mit einem Endsteuersatz von
1500 bezw. 300 M., sondern es sind in ihre Reihen auch Steuerzahler mit
weit unter 100 M. eingetreten, da das Gesamtsteuersoll ihres Urwahlbezirkes
ein minimales war und die Drittelung dieses Solls ihnen ihren Platz in einer
höheren Abteilung zuwies, als er ihnen nach ver Gemeindedrittelung zukam.
Durch dies Verfahren wird in einer reichen Gemeinde nach Zufallswillkür
eine Menge Steuerzahler entrechtet und ein anderer Teil über ihr Recht hinaus¬
gehoben, wie es gerade die örtlichen Verhältnisse mit sich bringen. Der Grund¬
satz der ungleichen Wahl nach Maßgabe der Steuerleistung wird völlig erschüttert.
Wenn man früher voraussetzte, daß damit der Mittelstand in eine höhere
Wahlabteilung aufrücken und seine Stimme von größerer Wirksamkeit werden
würde, so ist diese Hoffnung vielfach nicht in Erfüllung gegangen. Denn in
den Urwahlbezirken, in denen der Reichtum seßhaft ist, wird der Mittelstand
in der dritten Abteilung zurückgedrängt, und in den ärmeren Urwahlbezirken ist die
Anzahl der Wähler in der ersten und zweiten Abteilung im allgemeinen durch das
gleichzeitige Ausrücken der Arbeiter so groß, daß die Mittelstandsstimmen in
der betreffe.nden Abteilung vielfach majorisiert werden. Einige Beispiele, die
aus der oben bezeichneten Stadt des Westens entnommen sind, werden die
Ungereimtheit des bestehenden Verhältnisses näher beleuchten.





Durch die sogenannte Maximierung der anrechnungsfähigen Steuern in
Städten auf 10 000 Mark, auf dem Lande auf 5000 Mark wird aber
der Entrechtungsprozeß lediglich für die wohlhabenden Steuerzahler in ihren:
Urwahlbezirl weiter fortgesetzt. Der Urwähler erster Abteilung in dem vorstehenden
Bezirk 66 büßt von seiner Steueranrechnung 230 245,65 M. ein. Dem¬
entsprechend steigen die Wähler der zweiten und dritten Abteilung auf. Ersterer wählt
nicht mehr allein die beiden Wahlmänner, sondern er muß sich mit etwa neun
anderen Wühlern in Zukunft in sein Recht teilen. Ähnlich liegt es im Bezirk
67, während die schon über ihr Steuerrecht hinaus bevorzugten Wühler der
ersten und zweiten Abteilung des Bezirkes 52 ungetrübt ihre Sonderrechte bei¬
behalten.

Die Maximierung in den Urwahlbezirken potenziert also nur ein be¬
stehendes Unrecht. Ganz anders würde die Maximierung der Steuer auf
10 000 M. in einer Gemeinde wirken, wenn in ihr gedrittelt würde. Wenn
von dem Gesamtsteuersoll einer Gemeinde im Betrage von 6 000 000 M
1 200 000 M. abgehen sollten, so würden auf jede Abteilung nicht wie bisher


Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung

gehören durchaus nicht alle zu den Steuerzahlern mit einem Endsteuersatz von
1500 bezw. 300 M., sondern es sind in ihre Reihen auch Steuerzahler mit
weit unter 100 M. eingetreten, da das Gesamtsteuersoll ihres Urwahlbezirkes
ein minimales war und die Drittelung dieses Solls ihnen ihren Platz in einer
höheren Abteilung zuwies, als er ihnen nach ver Gemeindedrittelung zukam.
Durch dies Verfahren wird in einer reichen Gemeinde nach Zufallswillkür
eine Menge Steuerzahler entrechtet und ein anderer Teil über ihr Recht hinaus¬
gehoben, wie es gerade die örtlichen Verhältnisse mit sich bringen. Der Grund¬
satz der ungleichen Wahl nach Maßgabe der Steuerleistung wird völlig erschüttert.
Wenn man früher voraussetzte, daß damit der Mittelstand in eine höhere
Wahlabteilung aufrücken und seine Stimme von größerer Wirksamkeit werden
würde, so ist diese Hoffnung vielfach nicht in Erfüllung gegangen. Denn in
den Urwahlbezirken, in denen der Reichtum seßhaft ist, wird der Mittelstand
in der dritten Abteilung zurückgedrängt, und in den ärmeren Urwahlbezirken ist die
Anzahl der Wähler in der ersten und zweiten Abteilung im allgemeinen durch das
gleichzeitige Ausrücken der Arbeiter so groß, daß die Mittelstandsstimmen in
der betreffe.nden Abteilung vielfach majorisiert werden. Einige Beispiele, die
aus der oben bezeichneten Stadt des Westens entnommen sind, werden die
Ungereimtheit des bestehenden Verhältnisses näher beleuchten.





Durch die sogenannte Maximierung der anrechnungsfähigen Steuern in
Städten auf 10 000 Mark, auf dem Lande auf 5000 Mark wird aber
der Entrechtungsprozeß lediglich für die wohlhabenden Steuerzahler in ihren:
Urwahlbezirl weiter fortgesetzt. Der Urwähler erster Abteilung in dem vorstehenden
Bezirk 66 büßt von seiner Steueranrechnung 230 245,65 M. ein. Dem¬
entsprechend steigen die Wähler der zweiten und dritten Abteilung auf. Ersterer wählt
nicht mehr allein die beiden Wahlmänner, sondern er muß sich mit etwa neun
anderen Wühlern in Zukunft in sein Recht teilen. Ähnlich liegt es im Bezirk
67, während die schon über ihr Steuerrecht hinaus bevorzugten Wühler der
ersten und zweiten Abteilung des Bezirkes 52 ungetrübt ihre Sonderrechte bei¬
behalten.

Die Maximierung in den Urwahlbezirken potenziert also nur ein be¬
stehendes Unrecht. Ganz anders würde die Maximierung der Steuer auf
10 000 M. in einer Gemeinde wirken, wenn in ihr gedrittelt würde. Wenn
von dem Gesamtsteuersoll einer Gemeinde im Betrage von 6 000 000 M
1 200 000 M. abgehen sollten, so würden auf jede Abteilung nicht wie bisher


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[0593] Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung gehören durchaus nicht alle zu den Steuerzahlern mit einem Endsteuersatz von 1500 bezw. 300 M., sondern es sind in ihre Reihen auch Steuerzahler mit weit unter 100 M. eingetreten, da das Gesamtsteuersoll ihres Urwahlbezirkes ein minimales war und die Drittelung dieses Solls ihnen ihren Platz in einer höheren Abteilung zuwies, als er ihnen nach ver Gemeindedrittelung zukam. Durch dies Verfahren wird in einer reichen Gemeinde nach Zufallswillkür eine Menge Steuerzahler entrechtet und ein anderer Teil über ihr Recht hinaus¬ gehoben, wie es gerade die örtlichen Verhältnisse mit sich bringen. Der Grund¬ satz der ungleichen Wahl nach Maßgabe der Steuerleistung wird völlig erschüttert. Wenn man früher voraussetzte, daß damit der Mittelstand in eine höhere Wahlabteilung aufrücken und seine Stimme von größerer Wirksamkeit werden würde, so ist diese Hoffnung vielfach nicht in Erfüllung gegangen. Denn in den Urwahlbezirken, in denen der Reichtum seßhaft ist, wird der Mittelstand in der dritten Abteilung zurückgedrängt, und in den ärmeren Urwahlbezirken ist die Anzahl der Wähler in der ersten und zweiten Abteilung im allgemeinen durch das gleichzeitige Ausrücken der Arbeiter so groß, daß die Mittelstandsstimmen in der betreffe.nden Abteilung vielfach majorisiert werden. Einige Beispiele, die aus der oben bezeichneten Stadt des Westens entnommen sind, werden die Ungereimtheit des bestehenden Verhältnisses näher beleuchten. I. AbteilungII. AbteilungIII. Abteilung Ur- wahl- bezirlWähler¬ zahlWahl- miinuer- zcihl s> Wählerb, Wahl- männerc. Endsumme d, Steuerlietra,2. Wählerb, Wahl¬ männerc. Endsumme d. Steuerdetrg,»> Wählerb. Wahl- männerc, Endsumme d. Steuerbetrg. 622825122161,40421>S2-2282 66174612240246,661123731,201622 671665S234461,271316448,—1612 Durch die sogenannte Maximierung der anrechnungsfähigen Steuern in Städten auf 10 000 Mark, auf dem Lande auf 5000 Mark wird aber der Entrechtungsprozeß lediglich für die wohlhabenden Steuerzahler in ihren: Urwahlbezirl weiter fortgesetzt. Der Urwähler erster Abteilung in dem vorstehenden Bezirk 66 büßt von seiner Steueranrechnung 230 245,65 M. ein. Dem¬ entsprechend steigen die Wähler der zweiten und dritten Abteilung auf. Ersterer wählt nicht mehr allein die beiden Wahlmänner, sondern er muß sich mit etwa neun anderen Wühlern in Zukunft in sein Recht teilen. Ähnlich liegt es im Bezirk 67, während die schon über ihr Steuerrecht hinaus bevorzugten Wühler der ersten und zweiten Abteilung des Bezirkes 52 ungetrübt ihre Sonderrechte bei¬ behalten. Die Maximierung in den Urwahlbezirken potenziert also nur ein be¬ stehendes Unrecht. Ganz anders würde die Maximierung der Steuer auf 10 000 M. in einer Gemeinde wirken, wenn in ihr gedrittelt würde. Wenn von dem Gesamtsteuersoll einer Gemeinde im Betrage von 6 000 000 M 1 200 000 M. abgehen sollten, so würden auf jede Abteilung nicht wie bisher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/593>, abgerufen am 24.07.2024.