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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Zi'keuschen der Urzeit

Elle und Speiche sowie das Schlüsselbein, dann ein Oberschenkelknochen, das
rechte Schienbein und Wadenbein sind gut erhalten, während dieselben Teile
.ans der linken Seite nur in Fragmenten vorhanden sind. Von den Handen
und dem Becken haben wir nur geringe Reste, ebenso von den Füßen. Das
Skelett gehörte einem etwa 15jährigen jungen Manne der Neandertalrasse
(benannt nach einem Skelett, gefunden 1856 im Neandertal bei Düsseldorf)
an, deren Charakteristika es deutlich zeigt. Die Röhrenknochen sind auffallend
plump, die Speiche sehr gekrümmt, wie es bei keiner heute noch lebenden Rasse
vorkommt, wohl aber bei den sogenannten Menschenaffen. Besonders charak¬
teristisch ist der Schädel, der jedem Beschauer auffällt durch seine unheimlich
großen Augenhöhlen, seine breite, fast kreisrunde Nasenöffnung und die schnauzen-
artig vorspringende Mundpartie mit den riesigen Zähnen. Gerade diese vor¬
zügliche Erhaltung der Gesichtspartien macht uns das Skelett besonders wertvoll,
da wir sonst bei Neandertaler Funden nicht so glücklich waren. Wir sehen
aber auch die längst bekannten Merkmale dieser Rasse glänzend bestätigt, den
äußerst flachen Schädel und die starken Überaugenwulste. Nach der vielfach
feststehenden Regel: großes Gehirn kleine Augen, große Augen kleines Gehirn,
dürfen wir auch hier keine sehr geistige Tätigkeit, wohl aber eine sehr starke
Beobachtungsgabe dieser Menschen voraussetzen. Mit Recht sagt daher
Klaatsch: Was den Vorderhirnhemisphären, diesen: Sitze der Luxusintelligenz,,
abging, wurde durch die Entfaltung von Teilen des Hinterhauptlappens auf¬
gewogen, wo die Zentren ihren Sitz haben, die für die Verarbeitung von Seh¬
eindrücken bedeutungsvoll sind. Der primitive Mensch war ein genialer Jäger
und demgemäß ein scharfer Beobachter, ein geborner Naturforscher. Die alten
Beherrscher der europäischen Jagdgründe müssen auch etwas Erhabenes,
Gewaltiges in ihrem Wesen gehabt haben, wie wir es dem "Lava^s Osnt-
leman", dem stolz dahin wandelnden australischen Wilden, nicht absprechen
können.

Ganz anders ist nun das zweite Skelett, der l-lomo ^uriAnaeLN8is
Mauser!, das einen Menschen der mittleren Diluvialzeit zeigt. Ein ganz
seltener Zufall wollte es, daß auch hier der beste Repräsentant dieser Rasse
nach Berlin kommen sollte. In höchst interessanter Weise ergänzen sich diese
beiden Skelette zu dem eigenartigen Bilde einer frühen Urzeit. Dieses jüngere
Skelett entdeckte ebenfalls Hauser in einer Grotte von Conde-Capelle bei
Monferrcmd (P6rigord, Frankreich). Es wurde am 12. September 1W9
in Gegenwart von Prof. Klaatsch gehoben. Alle hauptsächlichen Teile des
Skelettes sind recht gut erhalten. Der Schädel ist ein deutlicher Langkopf mit
kleinen, etwas gedrückten, an Rechtecke erinnernden Augenhöhlen, länglicher
Nasenöffnung ohne vorspringendes Kinn und mit ziemlich hoher Stirne. Das
Skelett läßt ans mittelgroße Statur schließen, die wohl ziemlich untersetzt war,
wozu der kräftige Brustkorb paßt. Damit nähert es sich merklich den Kenn¬
zeichen der Crü-Magnon-Nasse (benannt nach der Fundstelle von Cro-


Zwei Zi'keuschen der Urzeit

Elle und Speiche sowie das Schlüsselbein, dann ein Oberschenkelknochen, das
rechte Schienbein und Wadenbein sind gut erhalten, während dieselben Teile
.ans der linken Seite nur in Fragmenten vorhanden sind. Von den Handen
und dem Becken haben wir nur geringe Reste, ebenso von den Füßen. Das
Skelett gehörte einem etwa 15jährigen jungen Manne der Neandertalrasse
(benannt nach einem Skelett, gefunden 1856 im Neandertal bei Düsseldorf)
an, deren Charakteristika es deutlich zeigt. Die Röhrenknochen sind auffallend
plump, die Speiche sehr gekrümmt, wie es bei keiner heute noch lebenden Rasse
vorkommt, wohl aber bei den sogenannten Menschenaffen. Besonders charak¬
teristisch ist der Schädel, der jedem Beschauer auffällt durch seine unheimlich
großen Augenhöhlen, seine breite, fast kreisrunde Nasenöffnung und die schnauzen-
artig vorspringende Mundpartie mit den riesigen Zähnen. Gerade diese vor¬
zügliche Erhaltung der Gesichtspartien macht uns das Skelett besonders wertvoll,
da wir sonst bei Neandertaler Funden nicht so glücklich waren. Wir sehen
aber auch die längst bekannten Merkmale dieser Rasse glänzend bestätigt, den
äußerst flachen Schädel und die starken Überaugenwulste. Nach der vielfach
feststehenden Regel: großes Gehirn kleine Augen, große Augen kleines Gehirn,
dürfen wir auch hier keine sehr geistige Tätigkeit, wohl aber eine sehr starke
Beobachtungsgabe dieser Menschen voraussetzen. Mit Recht sagt daher
Klaatsch: Was den Vorderhirnhemisphären, diesen: Sitze der Luxusintelligenz,,
abging, wurde durch die Entfaltung von Teilen des Hinterhauptlappens auf¬
gewogen, wo die Zentren ihren Sitz haben, die für die Verarbeitung von Seh¬
eindrücken bedeutungsvoll sind. Der primitive Mensch war ein genialer Jäger
und demgemäß ein scharfer Beobachter, ein geborner Naturforscher. Die alten
Beherrscher der europäischen Jagdgründe müssen auch etwas Erhabenes,
Gewaltiges in ihrem Wesen gehabt haben, wie wir es dem „Lava^s Osnt-
leman", dem stolz dahin wandelnden australischen Wilden, nicht absprechen
können.

Ganz anders ist nun das zweite Skelett, der l-lomo ^uriAnaeLN8is
Mauser!, das einen Menschen der mittleren Diluvialzeit zeigt. Ein ganz
seltener Zufall wollte es, daß auch hier der beste Repräsentant dieser Rasse
nach Berlin kommen sollte. In höchst interessanter Weise ergänzen sich diese
beiden Skelette zu dem eigenartigen Bilde einer frühen Urzeit. Dieses jüngere
Skelett entdeckte ebenfalls Hauser in einer Grotte von Conde-Capelle bei
Monferrcmd (P6rigord, Frankreich). Es wurde am 12. September 1W9
in Gegenwart von Prof. Klaatsch gehoben. Alle hauptsächlichen Teile des
Skelettes sind recht gut erhalten. Der Schädel ist ein deutlicher Langkopf mit
kleinen, etwas gedrückten, an Rechtecke erinnernden Augenhöhlen, länglicher
Nasenöffnung ohne vorspringendes Kinn und mit ziemlich hoher Stirne. Das
Skelett läßt ans mittelgroße Statur schließen, die wohl ziemlich untersetzt war,
wozu der kräftige Brustkorb paßt. Damit nähert es sich merklich den Kenn¬
zeichen der Crü-Magnon-Nasse (benannt nach der Fundstelle von Cro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/562>, abgerufen am 04.07.2024.