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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

der von Hause aus zwar uoch viel eigensinniger und starrer ist als die größten
Dickköpfe unter uns, der aber vor einem ihm wirklich einleuchtenden Beweis gleich¬
mütig seinen Irrtum bekennt; bei uns gilt Rechthaberei auch nach eingesehenem
Irrtum für politische Tugend und ein Zeichen von Charakter. Das nutz man
sich klar machen, wenn man verstehen will, warum die Budgetkommission eine den
Fall wirklich abschließende Erklärung vermied, obwohl ihre Mehrheit durchblicken
ließ, daß sie das Verhalten des Auswärtigen Amts richtig würdigte. Wenigstens
war dies der eine Grund, warum keine abschließende und klärende Resolution
angenommen wurde; der andre Grund, der als triftig anerkannt werden muß,
war das Bedenken, daß die Budgetkommission gewissermaßen als Tribunal in
einem Meinungsstreit zwischen dem Reich und privaten Interessen angerufen
werden sollte. Das eine aber hat sich bei diesen Verhandlungen klar herausgestellt,
daß die von der Mannesmannpresse festgehaltene Behauptung, das Auswärtige
Amt wolle die Interessen der Brüder Mannesmann preisgeben oder habe es
bereits aus Willkür oder Ungeschick getan, falsch und irreführend ist. Das Aus¬
wärtige Amt will tatsächlich für diese Interessen nachdrücklich eintreten, es lehnt
nur mit Recht ab, sich dabei Mittel und Wege vorschreiben zu lassen, die
mit übernommenen politischen Verpflichtungen nicht in Einklang stehen. Das führt
zu einer andern Seite des Falles hinüber, die von grundsätzlicher Bedeutung
ist. Die Brüder Mannesmann haben als energische und umsichtige Kaufleute jeden
Vorteil wahrgenommen, der sich ihnen bot; das verübelt ihnen niemand. Aber
die übergroße Bereitwilligkeit unsrer angesehenen Presse, die sich auf recht ober¬
flächliche Kenntnis hin sogleich zu einem leidenschaftlichen Parteigängertum hin¬
reißen ließ, hat die Herren Mannesmann doch zu recht bedenklichen Schritten
verleitet. Wir rechnen dazu nicht einmal die juristischen und staatsrechtlichen
Naivitäten, die in der Verwertung der Gutachten und in der Anrufung des Reichs¬
tags als entscheidender Instanz zum Ausdruck kommen. Bedenklich erscheint uns
vielmehr die Art, wie sie mit den Mitgliedern der Budgetkommission im Reichs¬
tage verkehrten und sie zu beeinflussen suchten. Schon früher hat die Zudring¬
lichkeit der Tabaks- und Spiritusinteressenten bei Steuerberatungen mit Recht
Anstoß erregt; die Sache grenzte hart an öffentlichen Skandal. Die neuesten
Erfahrungen im Fall Mannesmann geben Veranlassung, auf solche Vorgänge
deutlich hinzuweisen. Diese Art, Reichstagsmitglieder als Vorspann für private
Interessen zu benutzen und sie wie Rechtsanwälte in einem Zivilprozeß vom Vor¬
zimmer aus direkt zu instruieren, nutz verstimmend wirken und hat auch, wie
wir zur Ehre der Budgetkommission hervorheben müssen, verstimmend gewirkt.
Hoffentlich erinnert man sich aus diesem Anlaß überhaupt wieder der alten, strengen,
nur allzu berechtigten parlamentarischen Sitte.







Maßgebliches und Unmaßgebliches

der von Hause aus zwar uoch viel eigensinniger und starrer ist als die größten
Dickköpfe unter uns, der aber vor einem ihm wirklich einleuchtenden Beweis gleich¬
mütig seinen Irrtum bekennt; bei uns gilt Rechthaberei auch nach eingesehenem
Irrtum für politische Tugend und ein Zeichen von Charakter. Das nutz man
sich klar machen, wenn man verstehen will, warum die Budgetkommission eine den
Fall wirklich abschließende Erklärung vermied, obwohl ihre Mehrheit durchblicken
ließ, daß sie das Verhalten des Auswärtigen Amts richtig würdigte. Wenigstens
war dies der eine Grund, warum keine abschließende und klärende Resolution
angenommen wurde; der andre Grund, der als triftig anerkannt werden muß,
war das Bedenken, daß die Budgetkommission gewissermaßen als Tribunal in
einem Meinungsstreit zwischen dem Reich und privaten Interessen angerufen
werden sollte. Das eine aber hat sich bei diesen Verhandlungen klar herausgestellt,
daß die von der Mannesmannpresse festgehaltene Behauptung, das Auswärtige
Amt wolle die Interessen der Brüder Mannesmann preisgeben oder habe es
bereits aus Willkür oder Ungeschick getan, falsch und irreführend ist. Das Aus¬
wärtige Amt will tatsächlich für diese Interessen nachdrücklich eintreten, es lehnt
nur mit Recht ab, sich dabei Mittel und Wege vorschreiben zu lassen, die
mit übernommenen politischen Verpflichtungen nicht in Einklang stehen. Das führt
zu einer andern Seite des Falles hinüber, die von grundsätzlicher Bedeutung
ist. Die Brüder Mannesmann haben als energische und umsichtige Kaufleute jeden
Vorteil wahrgenommen, der sich ihnen bot; das verübelt ihnen niemand. Aber
die übergroße Bereitwilligkeit unsrer angesehenen Presse, die sich auf recht ober¬
flächliche Kenntnis hin sogleich zu einem leidenschaftlichen Parteigängertum hin¬
reißen ließ, hat die Herren Mannesmann doch zu recht bedenklichen Schritten
verleitet. Wir rechnen dazu nicht einmal die juristischen und staatsrechtlichen
Naivitäten, die in der Verwertung der Gutachten und in der Anrufung des Reichs¬
tags als entscheidender Instanz zum Ausdruck kommen. Bedenklich erscheint uns
vielmehr die Art, wie sie mit den Mitgliedern der Budgetkommission im Reichs¬
tage verkehrten und sie zu beeinflussen suchten. Schon früher hat die Zudring¬
lichkeit der Tabaks- und Spiritusinteressenten bei Steuerberatungen mit Recht
Anstoß erregt; die Sache grenzte hart an öffentlichen Skandal. Die neuesten
Erfahrungen im Fall Mannesmann geben Veranlassung, auf solche Vorgänge
deutlich hinzuweisen. Diese Art, Reichstagsmitglieder als Vorspann für private
Interessen zu benutzen und sie wie Rechtsanwälte in einem Zivilprozeß vom Vor¬
zimmer aus direkt zu instruieren, nutz verstimmend wirken und hat auch, wie
wir zur Ehre der Budgetkommission hervorheben müssen, verstimmend gewirkt.
Hoffentlich erinnert man sich aus diesem Anlaß überhaupt wieder der alten, strengen,
nur allzu berechtigten parlamentarischen Sitte.







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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/536>, abgerufen am 22.12.2024.