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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Deutschtum und Schweiz

sagen, auch heute uoch "siud sie die Schweiz". Man hat dies so recht deutlich
gesehen, als vor drei Jahren das Schweizervolk, über ein neues Wehrgesetz
abzustimmen hatte; die deutschen Kantone stimmten in der Hauptsache dafür,
die welschen dagegen. Der Deutschschweizer ist eben bereit, Opfer für sein Land
zu bringen, Zeit, Geld, Arbeit, wenn's verlangt wird, auch seiue deutsche
Sprache. Und es wird verlangt, wenigstens scheint es ihn: so. Die fran¬
zösischen Schweizer hängen nicht ganz so fest an dem schweizerischen Staat wie
ihre deutscheu Eidgenossen; dafür hängen sie aber viel fester an ihrer fran¬
zösischen Sprache als die Deutschschweizer an der deutschen, eine Tatsache, der
man nicht bloß bei Deutschschweizern und Welschschweizern, sondern bei Deutschen
und Franzosen überhaupt begegnet. Die Folge ist, daß die Welschen alle
Augenblicke Grund zu haben glauben, sich über Benachteiligung ihrer Sprache
oder ihrer Stellensucher zu beklagen; und da die Deutschschweizer unter allen
Umstünden einen Sprachenstreit vermeiden wollen, so ^beeilen sie sich dann, die
Wünsche ihrer welschen Eidgenossen zu erfüllen.

Ob jemals eine der welschen Klagen gerechtfertigt gewesen ist, vermag ich
nicht zu sagen. Aber daß im großen und ganzen die französische Sprache in
der Schweiz nicht nur nicht benachteiligt wird, sondern sogar eine Vorzugs¬
stellung genießt, das kann einen: Menschen, der mit offenem Ange durch das
Land geht, gar nicht verborgen bleiben. Schon der äußere Anstrich des Landes,
die Inschriften der Post und Eisenbahnen und die Ladenschilder zeigen die
französische Schweiz als einsprachiges, die deutsche als zweisprachiges Land.
Und diese Zweisprachigkeit der deutschen Schweiz scheint langsam, aber stetig
zuzunehmen. Übrigens hat ein französischer Schweizer, Prof. Seippel aus Genf
(jetzt in Zürich), selber dies Urteil gefällt*). Wenigstens gibt er ausdrücklich
zu, daß die französische Sprache sich in einer "bevorzugten" Stellung befinde
und er läßt zwischen den Zeilen lesen, daß es unklug vou den Welschen gehandelt
wäre, wenn sie einen Sprachenkampf herbeiführten; denn der müsse ja zu einer
genauen Abwägung und zu wirklich gleicher Behandlung der beiden Sprachen
führen, und dabei würde dann die französische die leidtragende sein.

Vielleicht ist es aber noch überzeugender, wenn ich statt dieses oder jenes
Urteiles einige Tatsachen erzähle und den Leser dann selber seine Schlüsse
daraus ziehen lasse.

In Neuenburg erscheint, natürlich in französischer Sprache, ein Tages¬
anzeiger. Da kam der Besitzer auf den Einfall, den Kopf der Zeitung in beiden
Sprachen drucken zu lassen, aus Rücksicht auf die Deutschen Neuenburgs, die
beinahe ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Nun, das war doch
offenbare "Germanisation" der Westschweiz! Also wurde ein Straßenauflauf
veranstaltet, dem Tagesanzeiger wurden die Fenster eingeworfen und von Stund
an war der Kopf der Zeitung wieder rein französisch.



") "Journal de Genöve", 19, und 25,. Janin- 1908.
Deutschtum und Schweiz

sagen, auch heute uoch „siud sie die Schweiz". Man hat dies so recht deutlich
gesehen, als vor drei Jahren das Schweizervolk, über ein neues Wehrgesetz
abzustimmen hatte; die deutschen Kantone stimmten in der Hauptsache dafür,
die welschen dagegen. Der Deutschschweizer ist eben bereit, Opfer für sein Land
zu bringen, Zeit, Geld, Arbeit, wenn's verlangt wird, auch seiue deutsche
Sprache. Und es wird verlangt, wenigstens scheint es ihn: so. Die fran¬
zösischen Schweizer hängen nicht ganz so fest an dem schweizerischen Staat wie
ihre deutscheu Eidgenossen; dafür hängen sie aber viel fester an ihrer fran¬
zösischen Sprache als die Deutschschweizer an der deutschen, eine Tatsache, der
man nicht bloß bei Deutschschweizern und Welschschweizern, sondern bei Deutschen
und Franzosen überhaupt begegnet. Die Folge ist, daß die Welschen alle
Augenblicke Grund zu haben glauben, sich über Benachteiligung ihrer Sprache
oder ihrer Stellensucher zu beklagen; und da die Deutschschweizer unter allen
Umstünden einen Sprachenstreit vermeiden wollen, so ^beeilen sie sich dann, die
Wünsche ihrer welschen Eidgenossen zu erfüllen.

Ob jemals eine der welschen Klagen gerechtfertigt gewesen ist, vermag ich
nicht zu sagen. Aber daß im großen und ganzen die französische Sprache in
der Schweiz nicht nur nicht benachteiligt wird, sondern sogar eine Vorzugs¬
stellung genießt, das kann einen: Menschen, der mit offenem Ange durch das
Land geht, gar nicht verborgen bleiben. Schon der äußere Anstrich des Landes,
die Inschriften der Post und Eisenbahnen und die Ladenschilder zeigen die
französische Schweiz als einsprachiges, die deutsche als zweisprachiges Land.
Und diese Zweisprachigkeit der deutschen Schweiz scheint langsam, aber stetig
zuzunehmen. Übrigens hat ein französischer Schweizer, Prof. Seippel aus Genf
(jetzt in Zürich), selber dies Urteil gefällt*). Wenigstens gibt er ausdrücklich
zu, daß die französische Sprache sich in einer „bevorzugten" Stellung befinde
und er läßt zwischen den Zeilen lesen, daß es unklug vou den Welschen gehandelt
wäre, wenn sie einen Sprachenkampf herbeiführten; denn der müsse ja zu einer
genauen Abwägung und zu wirklich gleicher Behandlung der beiden Sprachen
führen, und dabei würde dann die französische die leidtragende sein.

Vielleicht ist es aber noch überzeugender, wenn ich statt dieses oder jenes
Urteiles einige Tatsachen erzähle und den Leser dann selber seine Schlüsse
daraus ziehen lasse.

In Neuenburg erscheint, natürlich in französischer Sprache, ein Tages¬
anzeiger. Da kam der Besitzer auf den Einfall, den Kopf der Zeitung in beiden
Sprachen drucken zu lassen, aus Rücksicht auf die Deutschen Neuenburgs, die
beinahe ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Nun, das war doch
offenbare „Germanisation" der Westschweiz! Also wurde ein Straßenauflauf
veranstaltet, dem Tagesanzeiger wurden die Fenster eingeworfen und von Stund
an war der Kopf der Zeitung wieder rein französisch.



") „Journal de Genöve", 19, und 25,. Janin- 1908.
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[0514] Deutschtum und Schweiz sagen, auch heute uoch „siud sie die Schweiz". Man hat dies so recht deutlich gesehen, als vor drei Jahren das Schweizervolk, über ein neues Wehrgesetz abzustimmen hatte; die deutschen Kantone stimmten in der Hauptsache dafür, die welschen dagegen. Der Deutschschweizer ist eben bereit, Opfer für sein Land zu bringen, Zeit, Geld, Arbeit, wenn's verlangt wird, auch seiue deutsche Sprache. Und es wird verlangt, wenigstens scheint es ihn: so. Die fran¬ zösischen Schweizer hängen nicht ganz so fest an dem schweizerischen Staat wie ihre deutscheu Eidgenossen; dafür hängen sie aber viel fester an ihrer fran¬ zösischen Sprache als die Deutschschweizer an der deutschen, eine Tatsache, der man nicht bloß bei Deutschschweizern und Welschschweizern, sondern bei Deutschen und Franzosen überhaupt begegnet. Die Folge ist, daß die Welschen alle Augenblicke Grund zu haben glauben, sich über Benachteiligung ihrer Sprache oder ihrer Stellensucher zu beklagen; und da die Deutschschweizer unter allen Umstünden einen Sprachenstreit vermeiden wollen, so ^beeilen sie sich dann, die Wünsche ihrer welschen Eidgenossen zu erfüllen. Ob jemals eine der welschen Klagen gerechtfertigt gewesen ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber daß im großen und ganzen die französische Sprache in der Schweiz nicht nur nicht benachteiligt wird, sondern sogar eine Vorzugs¬ stellung genießt, das kann einen: Menschen, der mit offenem Ange durch das Land geht, gar nicht verborgen bleiben. Schon der äußere Anstrich des Landes, die Inschriften der Post und Eisenbahnen und die Ladenschilder zeigen die französische Schweiz als einsprachiges, die deutsche als zweisprachiges Land. Und diese Zweisprachigkeit der deutschen Schweiz scheint langsam, aber stetig zuzunehmen. Übrigens hat ein französischer Schweizer, Prof. Seippel aus Genf (jetzt in Zürich), selber dies Urteil gefällt*). Wenigstens gibt er ausdrücklich zu, daß die französische Sprache sich in einer „bevorzugten" Stellung befinde und er läßt zwischen den Zeilen lesen, daß es unklug vou den Welschen gehandelt wäre, wenn sie einen Sprachenkampf herbeiführten; denn der müsse ja zu einer genauen Abwägung und zu wirklich gleicher Behandlung der beiden Sprachen führen, und dabei würde dann die französische die leidtragende sein. Vielleicht ist es aber noch überzeugender, wenn ich statt dieses oder jenes Urteiles einige Tatsachen erzähle und den Leser dann selber seine Schlüsse daraus ziehen lasse. In Neuenburg erscheint, natürlich in französischer Sprache, ein Tages¬ anzeiger. Da kam der Besitzer auf den Einfall, den Kopf der Zeitung in beiden Sprachen drucken zu lassen, aus Rücksicht auf die Deutschen Neuenburgs, die beinahe ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Nun, das war doch offenbare „Germanisation" der Westschweiz! Also wurde ein Straßenauflauf veranstaltet, dem Tagesanzeiger wurden die Fenster eingeworfen und von Stund an war der Kopf der Zeitung wieder rein französisch. ") „Journal de Genöve", 19, und 25,. Janin- 1908.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/514>, abgerufen am 24.07.2024.