Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Charlotte von Stein und Sophie von Löwenthal

Gedanke der Liebe hilft ihm diese Stunden ertragen. Ja, er vermag es sogar
als ein Glück zu betrachten, daß sich des Tags über so viele Haufen Geschäfte
Zwischen sie und ihn legen, sonst wäre er den ganzen Tag bei ihr und wäre
unglücklich, sie nicht zu sehen. Die Grazien geben auf seine Bitte seiner
Leidenschaft eben die innere Güte, aus der allein die Schönheit entspringt.
Wenn auch sein Herz anfangs viel unter dem Druck der übermächtigen Liebe
leidet, so hat er doch stets neuen Mut zu leben, es wird ihm allmählich ruhig
und recht wohl in seiner Seele, ja so still wie in einem Kästchen voll allerlei
Schmucks, Geldes und Papieren, das in einem Brunnen versinkt. Auf Lenen
anderseits übt diese Liebe letzten Endes eine entgegengesetzte Wirkung aus, auch
wenn er selber meint, sie sei mit den Jahren immer größer und tiefer geworden.
Sie ist immer leidenschaftlicher und verzehrender geworden und treibt rettungslos,
wie er es selbst einmal empfindet, ins Tragische hinaus. Leider hat er wirklich
recht, wenn er sich einen der schlechthin unglücklichen Dichter nennt, die weder
ihrer selbst noch ihrer Werke froh werden. Sein Los war kein leichtes. Unter
einem ungünstigen Stern geboren, erhält er von Vater und Mutter als doppeltes
Erbteil die Leidenschaft, das Schicksal führt ihm in Sophie ein ähnlich veranlagtes
Wesen in den Weg. Sie ist ebenso wie er ein träumerischer Gefühlsmensch
mit dem Mangel an Willensenergie; so wird diese Liebe sein Glück, aber auch
seine Wunde. Er vermag es nicht, sein Verhältnis zu ihr zu lösen. Mit
einer schrillen Dissonanz endet es, die Nacht des Wahnsinns bricht über ihn
herein. "Ich bin dem Schicksal zu viel schuldig, als daß ich klagen sollte"
kann Goethe dagegen von sich sagen. Er ist ordentlich beschämt, daß er vor
den vielen Tausenden der Menschen, deren Leben doch kümmerlich sei. so
begünstigt ist. Die Loslösung von seiner Geliebten führt auch nicht zur
Katastrophe, seine gesunde Natur besteht die Krise, und als ein anderer Mensch
geht er aus ihr hervor, bestimmt, das meiste, dessen er persönlich fähig ist, aus
den Gipfel des Glückes zu bringen und der Welt noch manches unsterbliche
Werk seines Geistes zu schenken.

Eine erstaunliche Fülle von Ähnlichkeiten! Die Ähnlichkeit ist selbst in einzelnen
Empfindungen und Ausdrücken so überraschend, daß der Anschein entstehen könnte,
der jüngere Dichter habe sich den älteren zum Vorbild gewählt. Bei beiden war
eben die Liebe zu einer Lebensnacht geworden, beide waren imstande, vermöge
ihrer schöpferischen Phantasie sie zu idealisieren. Ähnliche Gedanken und Gefühle
fanden drum einen ganz verwandten Ausdruck. Es braucht uns nicht zu
kümmern, was man über das wirkliche Bild der beiden Frauen gesagt hat.
Wir brauchen nur zu wissen, was sie den Dichtern waren und damit der
Menschheit. Aber trotz aller Ähnlichkeiten darf man die durchgreifenden
Unterschiede nicht vergessen, die zwischen den Frauen einerseits und den
Dichtern anderseits bestehen. Wie scharf hebt sich von dem gemäßigten und
Zurückhaltenden Charakter Lottes, die zu Goethes Mängeln ein freundliches
Befiehl zu machen geneigt ist, der Charakter Sophiens ab. wie er uns


Grenzboten IM10 63
Charlotte von Stein und Sophie von Löwenthal

Gedanke der Liebe hilft ihm diese Stunden ertragen. Ja, er vermag es sogar
als ein Glück zu betrachten, daß sich des Tags über so viele Haufen Geschäfte
Zwischen sie und ihn legen, sonst wäre er den ganzen Tag bei ihr und wäre
unglücklich, sie nicht zu sehen. Die Grazien geben auf seine Bitte seiner
Leidenschaft eben die innere Güte, aus der allein die Schönheit entspringt.
Wenn auch sein Herz anfangs viel unter dem Druck der übermächtigen Liebe
leidet, so hat er doch stets neuen Mut zu leben, es wird ihm allmählich ruhig
und recht wohl in seiner Seele, ja so still wie in einem Kästchen voll allerlei
Schmucks, Geldes und Papieren, das in einem Brunnen versinkt. Auf Lenen
anderseits übt diese Liebe letzten Endes eine entgegengesetzte Wirkung aus, auch
wenn er selber meint, sie sei mit den Jahren immer größer und tiefer geworden.
Sie ist immer leidenschaftlicher und verzehrender geworden und treibt rettungslos,
wie er es selbst einmal empfindet, ins Tragische hinaus. Leider hat er wirklich
recht, wenn er sich einen der schlechthin unglücklichen Dichter nennt, die weder
ihrer selbst noch ihrer Werke froh werden. Sein Los war kein leichtes. Unter
einem ungünstigen Stern geboren, erhält er von Vater und Mutter als doppeltes
Erbteil die Leidenschaft, das Schicksal führt ihm in Sophie ein ähnlich veranlagtes
Wesen in den Weg. Sie ist ebenso wie er ein träumerischer Gefühlsmensch
mit dem Mangel an Willensenergie; so wird diese Liebe sein Glück, aber auch
seine Wunde. Er vermag es nicht, sein Verhältnis zu ihr zu lösen. Mit
einer schrillen Dissonanz endet es, die Nacht des Wahnsinns bricht über ihn
herein. „Ich bin dem Schicksal zu viel schuldig, als daß ich klagen sollte"
kann Goethe dagegen von sich sagen. Er ist ordentlich beschämt, daß er vor
den vielen Tausenden der Menschen, deren Leben doch kümmerlich sei. so
begünstigt ist. Die Loslösung von seiner Geliebten führt auch nicht zur
Katastrophe, seine gesunde Natur besteht die Krise, und als ein anderer Mensch
geht er aus ihr hervor, bestimmt, das meiste, dessen er persönlich fähig ist, aus
den Gipfel des Glückes zu bringen und der Welt noch manches unsterbliche
Werk seines Geistes zu schenken.

Eine erstaunliche Fülle von Ähnlichkeiten! Die Ähnlichkeit ist selbst in einzelnen
Empfindungen und Ausdrücken so überraschend, daß der Anschein entstehen könnte,
der jüngere Dichter habe sich den älteren zum Vorbild gewählt. Bei beiden war
eben die Liebe zu einer Lebensnacht geworden, beide waren imstande, vermöge
ihrer schöpferischen Phantasie sie zu idealisieren. Ähnliche Gedanken und Gefühle
fanden drum einen ganz verwandten Ausdruck. Es braucht uns nicht zu
kümmern, was man über das wirkliche Bild der beiden Frauen gesagt hat.
Wir brauchen nur zu wissen, was sie den Dichtern waren und damit der
Menschheit. Aber trotz aller Ähnlichkeiten darf man die durchgreifenden
Unterschiede nicht vergessen, die zwischen den Frauen einerseits und den
Dichtern anderseits bestehen. Wie scharf hebt sich von dem gemäßigten und
Zurückhaltenden Charakter Lottes, die zu Goethes Mängeln ein freundliches
Befiehl zu machen geneigt ist, der Charakter Sophiens ab. wie er uns


Grenzboten IM10 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315506"/>
          <fw type="header" place="top"> Charlotte von Stein und Sophie von Löwenthal</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2210" prev="#ID_2209"> Gedanke der Liebe hilft ihm diese Stunden ertragen. Ja, er vermag es sogar<lb/>
als ein Glück zu betrachten, daß sich des Tags über so viele Haufen Geschäfte<lb/>
Zwischen sie und ihn legen, sonst wäre er den ganzen Tag bei ihr und wäre<lb/>
unglücklich, sie nicht zu sehen. Die Grazien geben auf seine Bitte seiner<lb/>
Leidenschaft eben die innere Güte, aus der allein die Schönheit entspringt.<lb/>
Wenn auch sein Herz anfangs viel unter dem Druck der übermächtigen Liebe<lb/>
leidet, so hat er doch stets neuen Mut zu leben, es wird ihm allmählich ruhig<lb/>
und recht wohl in seiner Seele, ja so still wie in einem Kästchen voll allerlei<lb/>
Schmucks, Geldes und Papieren, das in einem Brunnen versinkt. Auf Lenen<lb/>
anderseits übt diese Liebe letzten Endes eine entgegengesetzte Wirkung aus, auch<lb/>
wenn er selber meint, sie sei mit den Jahren immer größer und tiefer geworden.<lb/>
Sie ist immer leidenschaftlicher und verzehrender geworden und treibt rettungslos,<lb/>
wie er es selbst einmal empfindet, ins Tragische hinaus. Leider hat er wirklich<lb/>
recht, wenn er sich einen der schlechthin unglücklichen Dichter nennt, die weder<lb/>
ihrer selbst noch ihrer Werke froh werden. Sein Los war kein leichtes. Unter<lb/>
einem ungünstigen Stern geboren, erhält er von Vater und Mutter als doppeltes<lb/>
Erbteil die Leidenschaft, das Schicksal führt ihm in Sophie ein ähnlich veranlagtes<lb/>
Wesen in den Weg. Sie ist ebenso wie er ein träumerischer Gefühlsmensch<lb/>
mit dem Mangel an Willensenergie; so wird diese Liebe sein Glück, aber auch<lb/>
seine Wunde. Er vermag es nicht, sein Verhältnis zu ihr zu lösen. Mit<lb/>
einer schrillen Dissonanz endet es, die Nacht des Wahnsinns bricht über ihn<lb/>
herein. &#x201E;Ich bin dem Schicksal zu viel schuldig, als daß ich klagen sollte"<lb/>
kann Goethe dagegen von sich sagen. Er ist ordentlich beschämt, daß er vor<lb/>
den vielen Tausenden der Menschen, deren Leben doch kümmerlich sei. so<lb/>
begünstigt ist. Die Loslösung von seiner Geliebten führt auch nicht zur<lb/>
Katastrophe, seine gesunde Natur besteht die Krise, und als ein anderer Mensch<lb/>
geht er aus ihr hervor, bestimmt, das meiste, dessen er persönlich fähig ist, aus<lb/>
den Gipfel des Glückes zu bringen und der Welt noch manches unsterbliche<lb/>
Werk seines Geistes zu schenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2211" next="#ID_2212"> Eine erstaunliche Fülle von Ähnlichkeiten! Die Ähnlichkeit ist selbst in einzelnen<lb/>
Empfindungen und Ausdrücken so überraschend, daß der Anschein entstehen könnte,<lb/>
der jüngere Dichter habe sich den älteren zum Vorbild gewählt. Bei beiden war<lb/>
eben die Liebe zu einer Lebensnacht geworden, beide waren imstande, vermöge<lb/>
ihrer schöpferischen Phantasie sie zu idealisieren. Ähnliche Gedanken und Gefühle<lb/>
fanden drum einen ganz verwandten Ausdruck. Es braucht uns nicht zu<lb/>
kümmern, was man über das wirkliche Bild der beiden Frauen gesagt hat.<lb/>
Wir brauchen nur zu wissen, was sie den Dichtern waren und damit der<lb/>
Menschheit. Aber trotz aller Ähnlichkeiten darf man die durchgreifenden<lb/>
Unterschiede nicht vergessen, die zwischen den Frauen einerseits und den<lb/>
Dichtern anderseits bestehen. Wie scharf hebt sich von dem gemäßigten und<lb/>
Zurückhaltenden Charakter Lottes, die zu Goethes Mängeln ein freundliches<lb/>
Befiehl zu machen geneigt ist, der Charakter Sophiens ab. wie er uns</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IM10 63</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] Charlotte von Stein und Sophie von Löwenthal Gedanke der Liebe hilft ihm diese Stunden ertragen. Ja, er vermag es sogar als ein Glück zu betrachten, daß sich des Tags über so viele Haufen Geschäfte Zwischen sie und ihn legen, sonst wäre er den ganzen Tag bei ihr und wäre unglücklich, sie nicht zu sehen. Die Grazien geben auf seine Bitte seiner Leidenschaft eben die innere Güte, aus der allein die Schönheit entspringt. Wenn auch sein Herz anfangs viel unter dem Druck der übermächtigen Liebe leidet, so hat er doch stets neuen Mut zu leben, es wird ihm allmählich ruhig und recht wohl in seiner Seele, ja so still wie in einem Kästchen voll allerlei Schmucks, Geldes und Papieren, das in einem Brunnen versinkt. Auf Lenen anderseits übt diese Liebe letzten Endes eine entgegengesetzte Wirkung aus, auch wenn er selber meint, sie sei mit den Jahren immer größer und tiefer geworden. Sie ist immer leidenschaftlicher und verzehrender geworden und treibt rettungslos, wie er es selbst einmal empfindet, ins Tragische hinaus. Leider hat er wirklich recht, wenn er sich einen der schlechthin unglücklichen Dichter nennt, die weder ihrer selbst noch ihrer Werke froh werden. Sein Los war kein leichtes. Unter einem ungünstigen Stern geboren, erhält er von Vater und Mutter als doppeltes Erbteil die Leidenschaft, das Schicksal führt ihm in Sophie ein ähnlich veranlagtes Wesen in den Weg. Sie ist ebenso wie er ein träumerischer Gefühlsmensch mit dem Mangel an Willensenergie; so wird diese Liebe sein Glück, aber auch seine Wunde. Er vermag es nicht, sein Verhältnis zu ihr zu lösen. Mit einer schrillen Dissonanz endet es, die Nacht des Wahnsinns bricht über ihn herein. „Ich bin dem Schicksal zu viel schuldig, als daß ich klagen sollte" kann Goethe dagegen von sich sagen. Er ist ordentlich beschämt, daß er vor den vielen Tausenden der Menschen, deren Leben doch kümmerlich sei. so begünstigt ist. Die Loslösung von seiner Geliebten führt auch nicht zur Katastrophe, seine gesunde Natur besteht die Krise, und als ein anderer Mensch geht er aus ihr hervor, bestimmt, das meiste, dessen er persönlich fähig ist, aus den Gipfel des Glückes zu bringen und der Welt noch manches unsterbliche Werk seines Geistes zu schenken. Eine erstaunliche Fülle von Ähnlichkeiten! Die Ähnlichkeit ist selbst in einzelnen Empfindungen und Ausdrücken so überraschend, daß der Anschein entstehen könnte, der jüngere Dichter habe sich den älteren zum Vorbild gewählt. Bei beiden war eben die Liebe zu einer Lebensnacht geworden, beide waren imstande, vermöge ihrer schöpferischen Phantasie sie zu idealisieren. Ähnliche Gedanken und Gefühle fanden drum einen ganz verwandten Ausdruck. Es braucht uns nicht zu kümmern, was man über das wirkliche Bild der beiden Frauen gesagt hat. Wir brauchen nur zu wissen, was sie den Dichtern waren und damit der Menschheit. Aber trotz aller Ähnlichkeiten darf man die durchgreifenden Unterschiede nicht vergessen, die zwischen den Frauen einerseits und den Dichtern anderseits bestehen. Wie scharf hebt sich von dem gemäßigten und Zurückhaltenden Charakter Lottes, die zu Goethes Mängeln ein freundliches Befiehl zu machen geneigt ist, der Charakter Sophiens ab. wie er uns Grenzboten IM10 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/509>, abgerufen am 22.12.2024.