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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Lharlotto von Stein und Sophie von Löwenthal

vollste Gruß, den ihn: Gott gesandt hat. Er muß glauben, daß sie ein Lieblings-
geschöps eines persönlichen, liebenden Gottes ist; denn starre und herzlose
Naturkräfte können nicht ein solches Wesen wie sie zustande bringen. Sie führt
ihn wieder zu Gott zurück und lehrt ihn wieder an ein ewiges Leben glauben;
denn das Unglück seiner Liebe verliert dadurch seinen Stachel, daß es eine
Stärkung und Übung für die Ewigkeit ist. Diese Liebe ist ihm immer die
heiligste Stätte seines Lebens. Alles, was er Teures und Liebes hat ans der
Welt, das hat er in diese heimliche Kapelle zusammengetragen, und wie ein
frommer Mönch alles im Namen Gottes tut, so tut er alles in ihrem Andenken,
ihrer Liebe. Goethe wickelt gleich den Juden, die beim Gebete sich die Arme
mit Schnüren umwickeln, der Liebsten holdes Band um den Arm, wenn er an
sie sein Gebet richtet.

Daß in beiden der stille Wunsch rege ist, für immer auch hier auf Erden -
mit der Geliebten verbunden zu sein, ist selbstverständlich. Lenau mag keinen
eigenen Herd, wenn sie nicht seine Hausfrau ist, und Goethe wünscht, daß es
irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, das ihn ihr auch sichtlich und gesetzlich
zu eigen machte. Sie sind stets von der Tiefe ihrer Liebe überzeugt und
beteuern, daß nichts sie scheiden kann. Lenau spielt gern mit dein Gedanken,
daß seiner Sophie Tod ihn nachziehen würde; Goethe kann nicht Leben und
Tod von seiner Lotte trennen.

Und doch ist neben dem vielen hellstrahlenden Licht in dieser Liebe auch
tiefer Schatten. Das Verhältnis der beiden Dichter zu deu Frauen erleidet
durch die Welt manche Störungen. "Die Welt, die mir nichts sein kann, will
auch nicht, daß du mir etwas sein sollst!" ruft Goethe schmerzvoll aus, und
Lenau verlangt, daß die Welt ihnen ihr schmerzliches Glück gönne. Er tröstet
sich damit, daß man ihr Gefühl nicht beschränken könne, selbst wenn man ihnen
den Umgang beschränke. Er verwünscht alle Verbindungen, die sie von ihm
abziehen, ebenso wie es für Goethe ohne Lotte keine Gesellschaft gibt und mit
ihr alle gesellige Freude hinweggeht. Anderseits sind es auch bald die Dichter,
bald die Frauen selbst, die Anlaß zu Mißklängen in der schönen Liebesharmonie
geben. So wirft Lenau seiner Sophie vor, daß sie neben ihrer Liebe noch deu
Wunsch nach sieghafter Geltung in Gesellschaften habe, daß andere statt seiner
an der lieben Quelle säßen. Goethe kommt sich eifersüchtig und dummsinnig
wie ein kleiner Junge vor, wenn Lotte anderen freundlich begegnet; es macht
ihm üblen Humor, daß sie eine kleine Lust ohne ihn genießt. Beide sind in
gleicher Weise von dem einzigen Wert ihrer Liebe überzeugt. Goethe meint
stolz, trotz aller Vettern würde Lotte niemand finden, der sie mehr liebte; Lenau
fordert Sophie auf, sich im weiten Kreise ihrer Bekanntschaften umzuschauen,
ob sie einen finde, der sich an Herzenskraft mit ihm messen könne. Lotte und
Sophie geben auch in ähnlicher Weise durch ihre Zurückhaltung, ihre Gleich¬
gültigkeit, ja Kälte und ihre Hinwendung zu geselligen Freuden den Dichtern
°se genug Anlaß zum Unmut, dem Lenau in seiner gewohnten, schroffen Weise.


Lharlotto von Stein und Sophie von Löwenthal

vollste Gruß, den ihn: Gott gesandt hat. Er muß glauben, daß sie ein Lieblings-
geschöps eines persönlichen, liebenden Gottes ist; denn starre und herzlose
Naturkräfte können nicht ein solches Wesen wie sie zustande bringen. Sie führt
ihn wieder zu Gott zurück und lehrt ihn wieder an ein ewiges Leben glauben;
denn das Unglück seiner Liebe verliert dadurch seinen Stachel, daß es eine
Stärkung und Übung für die Ewigkeit ist. Diese Liebe ist ihm immer die
heiligste Stätte seines Lebens. Alles, was er Teures und Liebes hat ans der
Welt, das hat er in diese heimliche Kapelle zusammengetragen, und wie ein
frommer Mönch alles im Namen Gottes tut, so tut er alles in ihrem Andenken,
ihrer Liebe. Goethe wickelt gleich den Juden, die beim Gebete sich die Arme
mit Schnüren umwickeln, der Liebsten holdes Band um den Arm, wenn er an
sie sein Gebet richtet.

Daß in beiden der stille Wunsch rege ist, für immer auch hier auf Erden -
mit der Geliebten verbunden zu sein, ist selbstverständlich. Lenau mag keinen
eigenen Herd, wenn sie nicht seine Hausfrau ist, und Goethe wünscht, daß es
irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, das ihn ihr auch sichtlich und gesetzlich
zu eigen machte. Sie sind stets von der Tiefe ihrer Liebe überzeugt und
beteuern, daß nichts sie scheiden kann. Lenau spielt gern mit dein Gedanken,
daß seiner Sophie Tod ihn nachziehen würde; Goethe kann nicht Leben und
Tod von seiner Lotte trennen.

Und doch ist neben dem vielen hellstrahlenden Licht in dieser Liebe auch
tiefer Schatten. Das Verhältnis der beiden Dichter zu deu Frauen erleidet
durch die Welt manche Störungen. „Die Welt, die mir nichts sein kann, will
auch nicht, daß du mir etwas sein sollst!" ruft Goethe schmerzvoll aus, und
Lenau verlangt, daß die Welt ihnen ihr schmerzliches Glück gönne. Er tröstet
sich damit, daß man ihr Gefühl nicht beschränken könne, selbst wenn man ihnen
den Umgang beschränke. Er verwünscht alle Verbindungen, die sie von ihm
abziehen, ebenso wie es für Goethe ohne Lotte keine Gesellschaft gibt und mit
ihr alle gesellige Freude hinweggeht. Anderseits sind es auch bald die Dichter,
bald die Frauen selbst, die Anlaß zu Mißklängen in der schönen Liebesharmonie
geben. So wirft Lenau seiner Sophie vor, daß sie neben ihrer Liebe noch deu
Wunsch nach sieghafter Geltung in Gesellschaften habe, daß andere statt seiner
an der lieben Quelle säßen. Goethe kommt sich eifersüchtig und dummsinnig
wie ein kleiner Junge vor, wenn Lotte anderen freundlich begegnet; es macht
ihm üblen Humor, daß sie eine kleine Lust ohne ihn genießt. Beide sind in
gleicher Weise von dem einzigen Wert ihrer Liebe überzeugt. Goethe meint
stolz, trotz aller Vettern würde Lotte niemand finden, der sie mehr liebte; Lenau
fordert Sophie auf, sich im weiten Kreise ihrer Bekanntschaften umzuschauen,
ob sie einen finde, der sich an Herzenskraft mit ihm messen könne. Lotte und
Sophie geben auch in ähnlicher Weise durch ihre Zurückhaltung, ihre Gleich¬
gültigkeit, ja Kälte und ihre Hinwendung zu geselligen Freuden den Dichtern
°se genug Anlaß zum Unmut, dem Lenau in seiner gewohnten, schroffen Weise.


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[0505] Lharlotto von Stein und Sophie von Löwenthal vollste Gruß, den ihn: Gott gesandt hat. Er muß glauben, daß sie ein Lieblings- geschöps eines persönlichen, liebenden Gottes ist; denn starre und herzlose Naturkräfte können nicht ein solches Wesen wie sie zustande bringen. Sie führt ihn wieder zu Gott zurück und lehrt ihn wieder an ein ewiges Leben glauben; denn das Unglück seiner Liebe verliert dadurch seinen Stachel, daß es eine Stärkung und Übung für die Ewigkeit ist. Diese Liebe ist ihm immer die heiligste Stätte seines Lebens. Alles, was er Teures und Liebes hat ans der Welt, das hat er in diese heimliche Kapelle zusammengetragen, und wie ein frommer Mönch alles im Namen Gottes tut, so tut er alles in ihrem Andenken, ihrer Liebe. Goethe wickelt gleich den Juden, die beim Gebete sich die Arme mit Schnüren umwickeln, der Liebsten holdes Band um den Arm, wenn er an sie sein Gebet richtet. Daß in beiden der stille Wunsch rege ist, für immer auch hier auf Erden - mit der Geliebten verbunden zu sein, ist selbstverständlich. Lenau mag keinen eigenen Herd, wenn sie nicht seine Hausfrau ist, und Goethe wünscht, daß es irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, das ihn ihr auch sichtlich und gesetzlich zu eigen machte. Sie sind stets von der Tiefe ihrer Liebe überzeugt und beteuern, daß nichts sie scheiden kann. Lenau spielt gern mit dein Gedanken, daß seiner Sophie Tod ihn nachziehen würde; Goethe kann nicht Leben und Tod von seiner Lotte trennen. Und doch ist neben dem vielen hellstrahlenden Licht in dieser Liebe auch tiefer Schatten. Das Verhältnis der beiden Dichter zu deu Frauen erleidet durch die Welt manche Störungen. „Die Welt, die mir nichts sein kann, will auch nicht, daß du mir etwas sein sollst!" ruft Goethe schmerzvoll aus, und Lenau verlangt, daß die Welt ihnen ihr schmerzliches Glück gönne. Er tröstet sich damit, daß man ihr Gefühl nicht beschränken könne, selbst wenn man ihnen den Umgang beschränke. Er verwünscht alle Verbindungen, die sie von ihm abziehen, ebenso wie es für Goethe ohne Lotte keine Gesellschaft gibt und mit ihr alle gesellige Freude hinweggeht. Anderseits sind es auch bald die Dichter, bald die Frauen selbst, die Anlaß zu Mißklängen in der schönen Liebesharmonie geben. So wirft Lenau seiner Sophie vor, daß sie neben ihrer Liebe noch deu Wunsch nach sieghafter Geltung in Gesellschaften habe, daß andere statt seiner an der lieben Quelle säßen. Goethe kommt sich eifersüchtig und dummsinnig wie ein kleiner Junge vor, wenn Lotte anderen freundlich begegnet; es macht ihm üblen Humor, daß sie eine kleine Lust ohne ihn genießt. Beide sind in gleicher Weise von dem einzigen Wert ihrer Liebe überzeugt. Goethe meint stolz, trotz aller Vettern würde Lotte niemand finden, der sie mehr liebte; Lenau fordert Sophie auf, sich im weiten Kreise ihrer Bekanntschaften umzuschauen, ob sie einen finde, der sich an Herzenskraft mit ihm messen könne. Lotte und Sophie geben auch in ähnlicher Weise durch ihre Zurückhaltung, ihre Gleich¬ gültigkeit, ja Kälte und ihre Hinwendung zu geselligen Freuden den Dichtern °se genug Anlaß zum Unmut, dem Lenau in seiner gewohnten, schroffen Weise.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/505>, abgerufen am 04.07.2024.