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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Weltanschauung, Politik und politische Parteien

Eine scheinbare Ausnahme unter unseren Parteien macht die Zentrums¬
partei. Dort sehen wir wohl all diese Gegensätze praktisch zu einer unbedingt
geschlossenen Partei vereinigt. Dort erhebt sich eben über den politisch-praktischen
Idealen eines, das sie alle beherrscht: das Konfessionsinteresse mit allen seinen
Folgerungen. Wäre die Partei wirklich für ihre einheitliche Geschlossenheit
allein auf die christliche Weltanschauung, wie man jetzt gern euphemistisch sich
ausdrückt, angewiesen, so müßte sie bei der Verschiedenheit der in ihr vereinigten
Interessen und politischen Ideale ratlos der großen Mehrzahl der politischen
Probleme gegenüber stehen. Denn wie von Hertling richtig sagt: "es führt
keine gradlinig verlaufende Schlutzkette vou den Vorschriften des Evangeliums
zu bestimmten staatlichen Einrichtungen oder Maßnahmen hinüber". Tatsächlich
hat sie aber einerseits das richtunggebende Ideal des mittelalterlich eil Kirchen-
staatstums, das ihren Mitgliedern mehr oder weniger deutlich als angebliche
"katholische Staatslehre" vor Augen steht, anderseits den die Disziplin
erzwingenden Schluß: die Interessen der katholischen Kirche und des katholischen
Volksteils bedürfen einer starken, geschlossenen politisch-parlamentarischen Partei,
darum ist die Einheit und Geschlossenheit der Partei oberstes politisches Gesetz!

Die Betonung der "christlichen Weltanschauung" als beherrschendes politisches
Sammelzeichen hat also für die Konfessionspartei, die der politisch ziemlich
leeren Form einen konkreten konfessionell katholischen Inhalt zu geben weiß,
einen guten Sinn. Und als eines der abgrenzenden Merkmale werden auch
andere Parteien, die entschlossen sind, den christlichen Charakter unseres Staates
zu wahren und antichristliche Tendenzen dort abzuwehren, die Betonung des
"Christlichen" nicht entbehren können. Dagegen ist die dem Zentrum not¬
wendige Überspannung des in ganz ihm eigentümlichem Sinne verstandenen
Prinzips für andere Parteien, die diesen Weg nicht zu beschreiten gewillt sind,
irreführend und gefährlich. Sie führt zu einer rein taktischen Bewertung
politischerZiele.die eig en enWertbesitzeilsollten, sie verleitet zu sachlich unbegründeter
politischer Gemeinschaft und Gegnerschaft, sie kann nicht leben, ohne den Namen
Gottes gröblich zu mißbrauchen und damit unnötige Verbitterung des politischen
Kampfes, ja Vergiftung des sozialen Zusammenseins zu erzeugen. Freilich hat
Freiherr von Hertling vorsichtig und mahnend auf die Schranken dieses politischen
Prinzips hingewiesen. Aber es steht zu befürchten, daß von diesem Golde
abwägender Mäßigung des Gelehrten, wenn es der politische Agitator als
Scheidemünze in den Verkehr bringt, nichts mehr zu bemerken sein wird. Da
werden, wie wir alltäglich sehen, die poWschen Dinge grob zufahrend auf den
einfachsten Nenner zurückgeführt und rasch die Brücken geschlagen zu dem seiner
Wirkung stets sicherm Schlagwort: "Hie Christentum, hie Atheismus". Wahrlich
zum Schaden der politischen Bildung unseres Volkes und eiues gedeihlichen
friedlichen Zusammenwirkens I

Freilich sind Ausnahmezustände im politischen Leben möglich, die sogar
den Zusammenschluß der Konfessionsangehörigen nahelegen: wenn z. B. die


Weltanschauung, Politik und politische Parteien

Eine scheinbare Ausnahme unter unseren Parteien macht die Zentrums¬
partei. Dort sehen wir wohl all diese Gegensätze praktisch zu einer unbedingt
geschlossenen Partei vereinigt. Dort erhebt sich eben über den politisch-praktischen
Idealen eines, das sie alle beherrscht: das Konfessionsinteresse mit allen seinen
Folgerungen. Wäre die Partei wirklich für ihre einheitliche Geschlossenheit
allein auf die christliche Weltanschauung, wie man jetzt gern euphemistisch sich
ausdrückt, angewiesen, so müßte sie bei der Verschiedenheit der in ihr vereinigten
Interessen und politischen Ideale ratlos der großen Mehrzahl der politischen
Probleme gegenüber stehen. Denn wie von Hertling richtig sagt: „es führt
keine gradlinig verlaufende Schlutzkette vou den Vorschriften des Evangeliums
zu bestimmten staatlichen Einrichtungen oder Maßnahmen hinüber". Tatsächlich
hat sie aber einerseits das richtunggebende Ideal des mittelalterlich eil Kirchen-
staatstums, das ihren Mitgliedern mehr oder weniger deutlich als angebliche
„katholische Staatslehre" vor Augen steht, anderseits den die Disziplin
erzwingenden Schluß: die Interessen der katholischen Kirche und des katholischen
Volksteils bedürfen einer starken, geschlossenen politisch-parlamentarischen Partei,
darum ist die Einheit und Geschlossenheit der Partei oberstes politisches Gesetz!

Die Betonung der „christlichen Weltanschauung" als beherrschendes politisches
Sammelzeichen hat also für die Konfessionspartei, die der politisch ziemlich
leeren Form einen konkreten konfessionell katholischen Inhalt zu geben weiß,
einen guten Sinn. Und als eines der abgrenzenden Merkmale werden auch
andere Parteien, die entschlossen sind, den christlichen Charakter unseres Staates
zu wahren und antichristliche Tendenzen dort abzuwehren, die Betonung des
„Christlichen" nicht entbehren können. Dagegen ist die dem Zentrum not¬
wendige Überspannung des in ganz ihm eigentümlichem Sinne verstandenen
Prinzips für andere Parteien, die diesen Weg nicht zu beschreiten gewillt sind,
irreführend und gefährlich. Sie führt zu einer rein taktischen Bewertung
politischerZiele.die eig en enWertbesitzeilsollten, sie verleitet zu sachlich unbegründeter
politischer Gemeinschaft und Gegnerschaft, sie kann nicht leben, ohne den Namen
Gottes gröblich zu mißbrauchen und damit unnötige Verbitterung des politischen
Kampfes, ja Vergiftung des sozialen Zusammenseins zu erzeugen. Freilich hat
Freiherr von Hertling vorsichtig und mahnend auf die Schranken dieses politischen
Prinzips hingewiesen. Aber es steht zu befürchten, daß von diesem Golde
abwägender Mäßigung des Gelehrten, wenn es der politische Agitator als
Scheidemünze in den Verkehr bringt, nichts mehr zu bemerken sein wird. Da
werden, wie wir alltäglich sehen, die poWschen Dinge grob zufahrend auf den
einfachsten Nenner zurückgeführt und rasch die Brücken geschlagen zu dem seiner
Wirkung stets sicherm Schlagwort: „Hie Christentum, hie Atheismus". Wahrlich
zum Schaden der politischen Bildung unseres Volkes und eiues gedeihlichen
friedlichen Zusammenwirkens I

Freilich sind Ausnahmezustände im politischen Leben möglich, die sogar
den Zusammenschluß der Konfessionsangehörigen nahelegen: wenn z. B. die


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[0498] Weltanschauung, Politik und politische Parteien Eine scheinbare Ausnahme unter unseren Parteien macht die Zentrums¬ partei. Dort sehen wir wohl all diese Gegensätze praktisch zu einer unbedingt geschlossenen Partei vereinigt. Dort erhebt sich eben über den politisch-praktischen Idealen eines, das sie alle beherrscht: das Konfessionsinteresse mit allen seinen Folgerungen. Wäre die Partei wirklich für ihre einheitliche Geschlossenheit allein auf die christliche Weltanschauung, wie man jetzt gern euphemistisch sich ausdrückt, angewiesen, so müßte sie bei der Verschiedenheit der in ihr vereinigten Interessen und politischen Ideale ratlos der großen Mehrzahl der politischen Probleme gegenüber stehen. Denn wie von Hertling richtig sagt: „es führt keine gradlinig verlaufende Schlutzkette vou den Vorschriften des Evangeliums zu bestimmten staatlichen Einrichtungen oder Maßnahmen hinüber". Tatsächlich hat sie aber einerseits das richtunggebende Ideal des mittelalterlich eil Kirchen- staatstums, das ihren Mitgliedern mehr oder weniger deutlich als angebliche „katholische Staatslehre" vor Augen steht, anderseits den die Disziplin erzwingenden Schluß: die Interessen der katholischen Kirche und des katholischen Volksteils bedürfen einer starken, geschlossenen politisch-parlamentarischen Partei, darum ist die Einheit und Geschlossenheit der Partei oberstes politisches Gesetz! Die Betonung der „christlichen Weltanschauung" als beherrschendes politisches Sammelzeichen hat also für die Konfessionspartei, die der politisch ziemlich leeren Form einen konkreten konfessionell katholischen Inhalt zu geben weiß, einen guten Sinn. Und als eines der abgrenzenden Merkmale werden auch andere Parteien, die entschlossen sind, den christlichen Charakter unseres Staates zu wahren und antichristliche Tendenzen dort abzuwehren, die Betonung des „Christlichen" nicht entbehren können. Dagegen ist die dem Zentrum not¬ wendige Überspannung des in ganz ihm eigentümlichem Sinne verstandenen Prinzips für andere Parteien, die diesen Weg nicht zu beschreiten gewillt sind, irreführend und gefährlich. Sie führt zu einer rein taktischen Bewertung politischerZiele.die eig en enWertbesitzeilsollten, sie verleitet zu sachlich unbegründeter politischer Gemeinschaft und Gegnerschaft, sie kann nicht leben, ohne den Namen Gottes gröblich zu mißbrauchen und damit unnötige Verbitterung des politischen Kampfes, ja Vergiftung des sozialen Zusammenseins zu erzeugen. Freilich hat Freiherr von Hertling vorsichtig und mahnend auf die Schranken dieses politischen Prinzips hingewiesen. Aber es steht zu befürchten, daß von diesem Golde abwägender Mäßigung des Gelehrten, wenn es der politische Agitator als Scheidemünze in den Verkehr bringt, nichts mehr zu bemerken sein wird. Da werden, wie wir alltäglich sehen, die poWschen Dinge grob zufahrend auf den einfachsten Nenner zurückgeführt und rasch die Brücken geschlagen zu dem seiner Wirkung stets sicherm Schlagwort: „Hie Christentum, hie Atheismus". Wahrlich zum Schaden der politischen Bildung unseres Volkes und eiues gedeihlichen friedlichen Zusammenwirkens I Freilich sind Ausnahmezustände im politischen Leben möglich, die sogar den Zusammenschluß der Konfessionsangehörigen nahelegen: wenn z. B. die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/498>, abgerufen am 04.07.2024.