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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Berliner Salonlcben

Stadtleben hinübergesprungen zu sein und sich verlegen und scheu umzusehen,
als ob sie fragen wollte, weshalb die Menschen denn so ganz anders wie sie
sind. Sie sitzt in Frankfurt zu den Füßen von Goethes Mutter und bringt
dein Weisen von Weimar eine so glühende Leidenschaft entgegen, daß dieser
mit ernster Jupitermiene solchem Überschwang Einhalt gebieten und sich schließlich
sogar auf sein Hausrecht berufen muß. Um die Briefe und Gespräche, die sie
mit Goethe lose verbanden, läßt sie ein tropisches Ranken- und Blütenwerk
freier Phantasien in dem schönen Buch emporschießen, in dem sie sich, ob¬
wohl Gattin und Mutter, immer als Kind fühlt und dem Einzigen, Gewaltigen
als ihrem Erwecker, Befreier und Geliebten im Licht romantischer Verklärung
ein Denkmal errichtet. Und als Dritte Charlotte Stieglitz, die liebliche und
nach Liebe dürstende, stolze, unglückliche Frau, die aus dem mittelmäßigen
Dichtertalent ihres Mannes ein großes Schaffen hervorzaubern wollte, indem sie sich
in wahnwitzig rührender Überspanntheit selbst den Tod gab. In ihrem weißen
Schlafgewand im Bette liegend stieß sie sich eines Nachts mit schrecklich ruhiger
Überlegung einen Dolch, den sie sich als Braut gekauft hatte, mitten ins Herz.
Diese in romantischer überhitzung ausgeführte, furchtbare und völlig zwecklose
Opfertat ließ sie in den Augen der Zeitgenossen als eine moderne Alceste er¬
scheinen, die für ihren Gatten zum Hades hinabstieg. Der Berliner Salon
hatte sich plötzlich in den blutbefleckten Schauplatz einer Tragödie verwandelt,
wie man sie sich erschütternder nicht denken konnte. Slber ihre Spuren ver¬
wischen sich wieder, sobald wir an das Haus von Henriette Herz, der Frau
eines bekannten, philosophisch durchgebildeten Berliner Arztes denken, eine
saubere, klare Frauenseele, in der sich Geist und Leben rein widerspiegelten,
die Klugheit mit Güte vereint in ihrem lieben Gesicht ausdrückte, von Mirabeau
bis Schiller eine Schar der erlesensten Geisteshelden in ihrer Plauderecke ver¬
sammelte und Männern wie Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher und dem
jungen Börne eine über die Freundschaft hinausstürmende Zuneigung einflößte.

In diesen Kreisen haben viele Ausnahmemenschen für die Entwicklung
ihres Geistes und Charakters bleibenden Gewinn gezogen. Dankbar mußte
man zu solchen Bildungshöhen emporschauen, denn dem Leben Berlins haftete
damals in Meinungen und Sitten noch manches Beschränkte" an, so daß
Alexander von Humboldt von einer intellektuell verödeten, kleinen unliterarischen
und dabei überhämischen Stadt sprechen konnte. Lange hatte-sich Weimar zur
geistigen Hauptstadt Deutschlands aufgeschwungen. Goethe und Schiller sind
nur ein einziges Mal und auf kurze Zeit in Berlin gewesen, jener als jugendlicher
Dichter des "Werther", dieser ein Jahr vor seinem Tode. Aber schon begannen
sich einflußreiche Kreise für die Freunde von Kunst und Wissenschaft zu bilden wie
in dem Hause des reichen Bankiers Beer, dessen Söhne es später in der
Welt zu hohem Ansehen bringen sollten: Wilhelm Beer, der auf seiner kleinen
Privatsternwarte in Berlin wichtige Beobachtungen über die Beschaffenheit des
Mondes und des Mars anstellte, Michael Beer, der Bühnendichter, Verfasser des


Berliner Salonlcben

Stadtleben hinübergesprungen zu sein und sich verlegen und scheu umzusehen,
als ob sie fragen wollte, weshalb die Menschen denn so ganz anders wie sie
sind. Sie sitzt in Frankfurt zu den Füßen von Goethes Mutter und bringt
dein Weisen von Weimar eine so glühende Leidenschaft entgegen, daß dieser
mit ernster Jupitermiene solchem Überschwang Einhalt gebieten und sich schließlich
sogar auf sein Hausrecht berufen muß. Um die Briefe und Gespräche, die sie
mit Goethe lose verbanden, läßt sie ein tropisches Ranken- und Blütenwerk
freier Phantasien in dem schönen Buch emporschießen, in dem sie sich, ob¬
wohl Gattin und Mutter, immer als Kind fühlt und dem Einzigen, Gewaltigen
als ihrem Erwecker, Befreier und Geliebten im Licht romantischer Verklärung
ein Denkmal errichtet. Und als Dritte Charlotte Stieglitz, die liebliche und
nach Liebe dürstende, stolze, unglückliche Frau, die aus dem mittelmäßigen
Dichtertalent ihres Mannes ein großes Schaffen hervorzaubern wollte, indem sie sich
in wahnwitzig rührender Überspanntheit selbst den Tod gab. In ihrem weißen
Schlafgewand im Bette liegend stieß sie sich eines Nachts mit schrecklich ruhiger
Überlegung einen Dolch, den sie sich als Braut gekauft hatte, mitten ins Herz.
Diese in romantischer überhitzung ausgeführte, furchtbare und völlig zwecklose
Opfertat ließ sie in den Augen der Zeitgenossen als eine moderne Alceste er¬
scheinen, die für ihren Gatten zum Hades hinabstieg. Der Berliner Salon
hatte sich plötzlich in den blutbefleckten Schauplatz einer Tragödie verwandelt,
wie man sie sich erschütternder nicht denken konnte. Slber ihre Spuren ver¬
wischen sich wieder, sobald wir an das Haus von Henriette Herz, der Frau
eines bekannten, philosophisch durchgebildeten Berliner Arztes denken, eine
saubere, klare Frauenseele, in der sich Geist und Leben rein widerspiegelten,
die Klugheit mit Güte vereint in ihrem lieben Gesicht ausdrückte, von Mirabeau
bis Schiller eine Schar der erlesensten Geisteshelden in ihrer Plauderecke ver¬
sammelte und Männern wie Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher und dem
jungen Börne eine über die Freundschaft hinausstürmende Zuneigung einflößte.

In diesen Kreisen haben viele Ausnahmemenschen für die Entwicklung
ihres Geistes und Charakters bleibenden Gewinn gezogen. Dankbar mußte
man zu solchen Bildungshöhen emporschauen, denn dem Leben Berlins haftete
damals in Meinungen und Sitten noch manches Beschränkte" an, so daß
Alexander von Humboldt von einer intellektuell verödeten, kleinen unliterarischen
und dabei überhämischen Stadt sprechen konnte. Lange hatte-sich Weimar zur
geistigen Hauptstadt Deutschlands aufgeschwungen. Goethe und Schiller sind
nur ein einziges Mal und auf kurze Zeit in Berlin gewesen, jener als jugendlicher
Dichter des „Werther", dieser ein Jahr vor seinem Tode. Aber schon begannen
sich einflußreiche Kreise für die Freunde von Kunst und Wissenschaft zu bilden wie
in dem Hause des reichen Bankiers Beer, dessen Söhne es später in der
Welt zu hohem Ansehen bringen sollten: Wilhelm Beer, der auf seiner kleinen
Privatsternwarte in Berlin wichtige Beobachtungen über die Beschaffenheit des
Mondes und des Mars anstellte, Michael Beer, der Bühnendichter, Verfasser des


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[0473] Berliner Salonlcben Stadtleben hinübergesprungen zu sein und sich verlegen und scheu umzusehen, als ob sie fragen wollte, weshalb die Menschen denn so ganz anders wie sie sind. Sie sitzt in Frankfurt zu den Füßen von Goethes Mutter und bringt dein Weisen von Weimar eine so glühende Leidenschaft entgegen, daß dieser mit ernster Jupitermiene solchem Überschwang Einhalt gebieten und sich schließlich sogar auf sein Hausrecht berufen muß. Um die Briefe und Gespräche, die sie mit Goethe lose verbanden, läßt sie ein tropisches Ranken- und Blütenwerk freier Phantasien in dem schönen Buch emporschießen, in dem sie sich, ob¬ wohl Gattin und Mutter, immer als Kind fühlt und dem Einzigen, Gewaltigen als ihrem Erwecker, Befreier und Geliebten im Licht romantischer Verklärung ein Denkmal errichtet. Und als Dritte Charlotte Stieglitz, die liebliche und nach Liebe dürstende, stolze, unglückliche Frau, die aus dem mittelmäßigen Dichtertalent ihres Mannes ein großes Schaffen hervorzaubern wollte, indem sie sich in wahnwitzig rührender Überspanntheit selbst den Tod gab. In ihrem weißen Schlafgewand im Bette liegend stieß sie sich eines Nachts mit schrecklich ruhiger Überlegung einen Dolch, den sie sich als Braut gekauft hatte, mitten ins Herz. Diese in romantischer überhitzung ausgeführte, furchtbare und völlig zwecklose Opfertat ließ sie in den Augen der Zeitgenossen als eine moderne Alceste er¬ scheinen, die für ihren Gatten zum Hades hinabstieg. Der Berliner Salon hatte sich plötzlich in den blutbefleckten Schauplatz einer Tragödie verwandelt, wie man sie sich erschütternder nicht denken konnte. Slber ihre Spuren ver¬ wischen sich wieder, sobald wir an das Haus von Henriette Herz, der Frau eines bekannten, philosophisch durchgebildeten Berliner Arztes denken, eine saubere, klare Frauenseele, in der sich Geist und Leben rein widerspiegelten, die Klugheit mit Güte vereint in ihrem lieben Gesicht ausdrückte, von Mirabeau bis Schiller eine Schar der erlesensten Geisteshelden in ihrer Plauderecke ver¬ sammelte und Männern wie Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher und dem jungen Börne eine über die Freundschaft hinausstürmende Zuneigung einflößte. In diesen Kreisen haben viele Ausnahmemenschen für die Entwicklung ihres Geistes und Charakters bleibenden Gewinn gezogen. Dankbar mußte man zu solchen Bildungshöhen emporschauen, denn dem Leben Berlins haftete damals in Meinungen und Sitten noch manches Beschränkte" an, so daß Alexander von Humboldt von einer intellektuell verödeten, kleinen unliterarischen und dabei überhämischen Stadt sprechen konnte. Lange hatte-sich Weimar zur geistigen Hauptstadt Deutschlands aufgeschwungen. Goethe und Schiller sind nur ein einziges Mal und auf kurze Zeit in Berlin gewesen, jener als jugendlicher Dichter des „Werther", dieser ein Jahr vor seinem Tode. Aber schon begannen sich einflußreiche Kreise für die Freunde von Kunst und Wissenschaft zu bilden wie in dem Hause des reichen Bankiers Beer, dessen Söhne es später in der Welt zu hohem Ansehen bringen sollten: Wilhelm Beer, der auf seiner kleinen Privatsternwarte in Berlin wichtige Beobachtungen über die Beschaffenheit des Mondes und des Mars anstellte, Michael Beer, der Bühnendichter, Verfasser des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/473>, abgerufen am 24.07.2024.