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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Das Elsaß

Zu diesem allen kommt nun noch ein letzter Punkt, der Unterschied zwischen
französischer und deutscher Kultur. In einem vielbemerkten Aufsatze der
"Deutschen Rundschau" hat Professor Steinhaufen kürzlich das Urteil des Aus¬
landes über die Deutschen behandelt; er führt darin aus, daß die romanischen
Völker, also auch die Franzosen, in Anlehnung an die altrömischen Verhält¬
nisse, die Deutschen noch immer für Barbaren hielten. Allerdings kann man
bei so manchen Äußerungen von Franzosen, z. B. Huret, das Gefühl nicht
unterdrücken, daß sie recht oft mit dem Gedanken nach Deutschland kommen,
hier Entdeckungen machen zu wollen, wie etwa ein gewiegter Reisender ins
Innere von Brasilien oder Asien geht. Daher mag die Grundstimmung jener
Nationen wohl richtig von Professor Steinhaufen getroffen sein. Daß unsere
Anschauung eine andere ist, ist zwar selbstverständlich, kommt hierfür aber nicht
in Betracht, da es eben gilt, die Meinung der Ausländer zu schildern, nicht
die unsere. Legt man also diesen französischen Maßstab der Stellung der
Elsässer zugrunde, und das tun sie selbst ohne Zweifel, so erhält man wieder
für die Aufnahme in das französische Reich eure wenn auch nur ideelle Ver¬
besserung, welcher durch die Vorgänge von 1870 eine entsprechende Ver¬
schlechterung folgte. Weiter auf diesen Gegenstand einzugehen, erübrigt sich;
seine Wichtigkeit ist aber zu groß, z. B. wenn man an die holde Weiblichkeit
denkt, als daß er ganz hätte übergangen werden können.

Die Elsässer empfinden die Wiedervereinigung mit ihren alten Stammesgenossen
als Verschlechterung, als Laviti8 diminutio, sie halten sich für deklassiert. Die Gemein¬
samkeit der Sprache und Abstammung ist nicht stark genug, um dieses Gefühl
zu überwinden. Diesem Gefühl nach haben die deutschen Staate" wenig getan,
um ihnen ihren Verlust zu ersetzen, und auch für die Zukunft sind die Aus¬
sichten gering; die Wunde klafft noch weit.

Die Einrichtung eines neuen Kleinstaats mußte das Vertrauen in die
Dauer des neuen Zustandes bedenklich auf beiden Seiten der Grenze stören,
vielmehr alle Hoffnungen auf Rückkehr des alten Zustandes wach erhalten, und
zwar um so mehr, als die alte Misere der deutschen Zersplitterung noch immer
fortdauert, ja sogar als Vorzug dargestellt wird. Die Deutschen haben noch
immer nicht die Einsicht in die Ursache ihrer Schwäche gewonnen. "Was voran¬
gehen müßte, damit Deutschland seine verlorenen schönen Grenzlande auch mit
Sicherheit um sich fesseln könnte, sagt sich wohl ein jeder selbst!"




Das Elsaß

Zu diesem allen kommt nun noch ein letzter Punkt, der Unterschied zwischen
französischer und deutscher Kultur. In einem vielbemerkten Aufsatze der
„Deutschen Rundschau" hat Professor Steinhaufen kürzlich das Urteil des Aus¬
landes über die Deutschen behandelt; er führt darin aus, daß die romanischen
Völker, also auch die Franzosen, in Anlehnung an die altrömischen Verhält¬
nisse, die Deutschen noch immer für Barbaren hielten. Allerdings kann man
bei so manchen Äußerungen von Franzosen, z. B. Huret, das Gefühl nicht
unterdrücken, daß sie recht oft mit dem Gedanken nach Deutschland kommen,
hier Entdeckungen machen zu wollen, wie etwa ein gewiegter Reisender ins
Innere von Brasilien oder Asien geht. Daher mag die Grundstimmung jener
Nationen wohl richtig von Professor Steinhaufen getroffen sein. Daß unsere
Anschauung eine andere ist, ist zwar selbstverständlich, kommt hierfür aber nicht
in Betracht, da es eben gilt, die Meinung der Ausländer zu schildern, nicht
die unsere. Legt man also diesen französischen Maßstab der Stellung der
Elsässer zugrunde, und das tun sie selbst ohne Zweifel, so erhält man wieder
für die Aufnahme in das französische Reich eure wenn auch nur ideelle Ver¬
besserung, welcher durch die Vorgänge von 1870 eine entsprechende Ver¬
schlechterung folgte. Weiter auf diesen Gegenstand einzugehen, erübrigt sich;
seine Wichtigkeit ist aber zu groß, z. B. wenn man an die holde Weiblichkeit
denkt, als daß er ganz hätte übergangen werden können.

Die Elsässer empfinden die Wiedervereinigung mit ihren alten Stammesgenossen
als Verschlechterung, als Laviti8 diminutio, sie halten sich für deklassiert. Die Gemein¬
samkeit der Sprache und Abstammung ist nicht stark genug, um dieses Gefühl
zu überwinden. Diesem Gefühl nach haben die deutschen Staate» wenig getan,
um ihnen ihren Verlust zu ersetzen, und auch für die Zukunft sind die Aus¬
sichten gering; die Wunde klafft noch weit.

Die Einrichtung eines neuen Kleinstaats mußte das Vertrauen in die
Dauer des neuen Zustandes bedenklich auf beiden Seiten der Grenze stören,
vielmehr alle Hoffnungen auf Rückkehr des alten Zustandes wach erhalten, und
zwar um so mehr, als die alte Misere der deutschen Zersplitterung noch immer
fortdauert, ja sogar als Vorzug dargestellt wird. Die Deutschen haben noch
immer nicht die Einsicht in die Ursache ihrer Schwäche gewonnen. „Was voran¬
gehen müßte, damit Deutschland seine verlorenen schönen Grenzlande auch mit
Sicherheit um sich fesseln könnte, sagt sich wohl ein jeder selbst!"




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[0468] Das Elsaß Zu diesem allen kommt nun noch ein letzter Punkt, der Unterschied zwischen französischer und deutscher Kultur. In einem vielbemerkten Aufsatze der „Deutschen Rundschau" hat Professor Steinhaufen kürzlich das Urteil des Aus¬ landes über die Deutschen behandelt; er führt darin aus, daß die romanischen Völker, also auch die Franzosen, in Anlehnung an die altrömischen Verhält¬ nisse, die Deutschen noch immer für Barbaren hielten. Allerdings kann man bei so manchen Äußerungen von Franzosen, z. B. Huret, das Gefühl nicht unterdrücken, daß sie recht oft mit dem Gedanken nach Deutschland kommen, hier Entdeckungen machen zu wollen, wie etwa ein gewiegter Reisender ins Innere von Brasilien oder Asien geht. Daher mag die Grundstimmung jener Nationen wohl richtig von Professor Steinhaufen getroffen sein. Daß unsere Anschauung eine andere ist, ist zwar selbstverständlich, kommt hierfür aber nicht in Betracht, da es eben gilt, die Meinung der Ausländer zu schildern, nicht die unsere. Legt man also diesen französischen Maßstab der Stellung der Elsässer zugrunde, und das tun sie selbst ohne Zweifel, so erhält man wieder für die Aufnahme in das französische Reich eure wenn auch nur ideelle Ver¬ besserung, welcher durch die Vorgänge von 1870 eine entsprechende Ver¬ schlechterung folgte. Weiter auf diesen Gegenstand einzugehen, erübrigt sich; seine Wichtigkeit ist aber zu groß, z. B. wenn man an die holde Weiblichkeit denkt, als daß er ganz hätte übergangen werden können. Die Elsässer empfinden die Wiedervereinigung mit ihren alten Stammesgenossen als Verschlechterung, als Laviti8 diminutio, sie halten sich für deklassiert. Die Gemein¬ samkeit der Sprache und Abstammung ist nicht stark genug, um dieses Gefühl zu überwinden. Diesem Gefühl nach haben die deutschen Staate» wenig getan, um ihnen ihren Verlust zu ersetzen, und auch für die Zukunft sind die Aus¬ sichten gering; die Wunde klafft noch weit. Die Einrichtung eines neuen Kleinstaats mußte das Vertrauen in die Dauer des neuen Zustandes bedenklich auf beiden Seiten der Grenze stören, vielmehr alle Hoffnungen auf Rückkehr des alten Zustandes wach erhalten, und zwar um so mehr, als die alte Misere der deutschen Zersplitterung noch immer fortdauert, ja sogar als Vorzug dargestellt wird. Die Deutschen haben noch immer nicht die Einsicht in die Ursache ihrer Schwäche gewonnen. „Was voran¬ gehen müßte, damit Deutschland seine verlorenen schönen Grenzlande auch mit Sicherheit um sich fesseln könnte, sagt sich wohl ein jeder selbst!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/468>, abgerufen am 24.07.2024.