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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ein Lrenndcsgrnß an Paul Heyse

ermutigen, das Unzulängliche vor Schaden zu bewahren. Es erzählte mir einmal
einer, der mit seinen Geistesschätzen auch zu dem Dichter gepilgert war, mit
glänzenden Augen von seinem Besuch, obwohl er anders beschieden worden war,
als er es gehofft hatte, nämlich daß ihn die Art seines Talents darauf hinweise,
nicht ein Täter zu werden, sondern ein guter Hörer, was auch nichts Geringes
bedeutet.

Heyse sagt selbst einmal: "Mit problematischen Talenten hab' ich viel Zeit
vertan." Vertan, nicht verloren. Mitlebend mit der Zeit und allem, was in
ihr an neuem Leben erstand und sich darin entfaltete, sich freuend an allein,
worin echtes Dichterblut oder doch wenigstens "ein Tropfen Herzblut" floß, ist
er selber jung geblieben. Seine Jugend zeigt sich in seiner erstaunlichen Fähig¬
keit, noch immer Neues und Fremdes in sich auszunehmen, sich noch immer so
warm zu begeistern. Und wenn er bis ins achtzigste Jahr hinein des schonen
Amtes gewaltet hat, "dieser Welt verworrnes Bild leise deutend zu gestalten",
und wenn er sich auch bis zuletzt immer wieder einmal mit Problemen beschäftigt
hat, für die das höhere Alter gewöhnlich erkaltet, so folgte er nicht dem Gesetz
alter Gewohnheiten, sondern dem Drang der Jugend, von der noch immer so
viel in ihm steckt.

Das Haus, das er sich erbauen wollte, steht ja nun fertig da, und ihm
selber wird zumute sein, als habe er nun nichts mehr zu tun. Aber wenn ein
Haus fertig geworden ist, dann ist noch immer vieles zu bessern und einzufügen.
Man errichtet zwar keine neuen Mauern mehr, pflanzt aber etwa einen schönen
Baum in den Garten, setzt einen Rosenstock an die Mauerwand und baut auch
wohl noch ein leichtes Sommerhaus neben das eigentliche Haus. So wird
Paul Heyse auch jetzt nicht das Arbeiten aufgeben. Möge er sich und uns alle
noch lange damit erfreuen. Möge sich auch das erfüllen, was ich ihm in einem
andern gereimten Geburtstagsgruß als Wunsch zugerufen habe:





*) Auch ein den "Grenzboten"-Lesern wohlbekannter Schriftsteller, Dr. Heinrich Spiero.
hat Paul Heyse als Angebinde ein schönes, feines Büchlein auf den Geburtstagstisch gelegt,
Es ist mir eine Freude, darauf hinzuweisen und es zu empfehlen: "Paul Heyse, der Dichter
und seine Werke." (Cotta, Stuttgart.)
Ein Lrenndcsgrnß an Paul Heyse

ermutigen, das Unzulängliche vor Schaden zu bewahren. Es erzählte mir einmal
einer, der mit seinen Geistesschätzen auch zu dem Dichter gepilgert war, mit
glänzenden Augen von seinem Besuch, obwohl er anders beschieden worden war,
als er es gehofft hatte, nämlich daß ihn die Art seines Talents darauf hinweise,
nicht ein Täter zu werden, sondern ein guter Hörer, was auch nichts Geringes
bedeutet.

Heyse sagt selbst einmal: „Mit problematischen Talenten hab' ich viel Zeit
vertan." Vertan, nicht verloren. Mitlebend mit der Zeit und allem, was in
ihr an neuem Leben erstand und sich darin entfaltete, sich freuend an allein,
worin echtes Dichterblut oder doch wenigstens „ein Tropfen Herzblut" floß, ist
er selber jung geblieben. Seine Jugend zeigt sich in seiner erstaunlichen Fähig¬
keit, noch immer Neues und Fremdes in sich auszunehmen, sich noch immer so
warm zu begeistern. Und wenn er bis ins achtzigste Jahr hinein des schonen
Amtes gewaltet hat, „dieser Welt verworrnes Bild leise deutend zu gestalten",
und wenn er sich auch bis zuletzt immer wieder einmal mit Problemen beschäftigt
hat, für die das höhere Alter gewöhnlich erkaltet, so folgte er nicht dem Gesetz
alter Gewohnheiten, sondern dem Drang der Jugend, von der noch immer so
viel in ihm steckt.

Das Haus, das er sich erbauen wollte, steht ja nun fertig da, und ihm
selber wird zumute sein, als habe er nun nichts mehr zu tun. Aber wenn ein
Haus fertig geworden ist, dann ist noch immer vieles zu bessern und einzufügen.
Man errichtet zwar keine neuen Mauern mehr, pflanzt aber etwa einen schönen
Baum in den Garten, setzt einen Rosenstock an die Mauerwand und baut auch
wohl noch ein leichtes Sommerhaus neben das eigentliche Haus. So wird
Paul Heyse auch jetzt nicht das Arbeiten aufgeben. Möge er sich und uns alle
noch lange damit erfreuen. Möge sich auch das erfüllen, was ich ihm in einem
andern gereimten Geburtstagsgruß als Wunsch zugerufen habe:





*) Auch ein den „Grenzboten"-Lesern wohlbekannter Schriftsteller, Dr. Heinrich Spiero.
hat Paul Heyse als Angebinde ein schönes, feines Büchlein auf den Geburtstagstisch gelegt,
Es ist mir eine Freude, darauf hinzuweisen und es zu empfehlen: „Paul Heyse, der Dichter
und seine Werke." (Cotta, Stuttgart.)
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[0460] Ein Lrenndcsgrnß an Paul Heyse ermutigen, das Unzulängliche vor Schaden zu bewahren. Es erzählte mir einmal einer, der mit seinen Geistesschätzen auch zu dem Dichter gepilgert war, mit glänzenden Augen von seinem Besuch, obwohl er anders beschieden worden war, als er es gehofft hatte, nämlich daß ihn die Art seines Talents darauf hinweise, nicht ein Täter zu werden, sondern ein guter Hörer, was auch nichts Geringes bedeutet. Heyse sagt selbst einmal: „Mit problematischen Talenten hab' ich viel Zeit vertan." Vertan, nicht verloren. Mitlebend mit der Zeit und allem, was in ihr an neuem Leben erstand und sich darin entfaltete, sich freuend an allein, worin echtes Dichterblut oder doch wenigstens „ein Tropfen Herzblut" floß, ist er selber jung geblieben. Seine Jugend zeigt sich in seiner erstaunlichen Fähig¬ keit, noch immer Neues und Fremdes in sich auszunehmen, sich noch immer so warm zu begeistern. Und wenn er bis ins achtzigste Jahr hinein des schonen Amtes gewaltet hat, „dieser Welt verworrnes Bild leise deutend zu gestalten", und wenn er sich auch bis zuletzt immer wieder einmal mit Problemen beschäftigt hat, für die das höhere Alter gewöhnlich erkaltet, so folgte er nicht dem Gesetz alter Gewohnheiten, sondern dem Drang der Jugend, von der noch immer so viel in ihm steckt. Das Haus, das er sich erbauen wollte, steht ja nun fertig da, und ihm selber wird zumute sein, als habe er nun nichts mehr zu tun. Aber wenn ein Haus fertig geworden ist, dann ist noch immer vieles zu bessern und einzufügen. Man errichtet zwar keine neuen Mauern mehr, pflanzt aber etwa einen schönen Baum in den Garten, setzt einen Rosenstock an die Mauerwand und baut auch wohl noch ein leichtes Sommerhaus neben das eigentliche Haus. So wird Paul Heyse auch jetzt nicht das Arbeiten aufgeben. Möge er sich und uns alle noch lange damit erfreuen. Möge sich auch das erfüllen, was ich ihm in einem andern gereimten Geburtstagsgruß als Wunsch zugerufen habe: *) Auch ein den „Grenzboten"-Lesern wohlbekannter Schriftsteller, Dr. Heinrich Spiero. hat Paul Heyse als Angebinde ein schönes, feines Büchlein auf den Geburtstagstisch gelegt, Es ist mir eine Freude, darauf hinzuweisen und es zu empfehlen: „Paul Heyse, der Dichter und seine Werke." (Cotta, Stuttgart.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/460>, abgerufen am 24.07.2024.