Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lüi Freundesgruß ein Paul l-ieyse

schöne Hoffnung, wird auch ein schlimmes Urteil immer noch erträglich sein,
und wenn das Urteil ein wirkliches Talent trifft, wird es dieses fördern und
zu neuen Anstrengungen anspornen.

Nach so langem freundlichen Verkehr hatte es seine Bedenken, dem Dichter
nun auch noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Es war aber
natürlich meine Sehnsucht, ihn einmal aufzusuchen, und ich fuhr, als die Zeit
dazu gekommen war, auch ganz glücklich und in den frohesten Gedanken nach
München. Dort erst dachte ich daran, daß es immer ein verlegenes Stück ist,
mit jemand erst persönlich Bekanntschaft zu schließen, nachdem man schon lange
mit ihm in Freundschaft verkehrt hatte, daß die Gefahr aber, einander fremder,
statt bekannter zu werden, in meinem Falle besonders groß sei. Ich empfand
die Notwendigkeit, mich anzustrengen, um den Freund nicht allzusehr zu enttäuschen,
und sah ihn, zu dem ich aus der Ferne immer traulich hinübergesehn hatte,
nun in der Würde seines Alters und seiner Kunst. Da war ich denn glücklich
wieder bei dem lange verloren gegangenen Bilde eines Grandseigneurs, wie man
ihn mir einmal genannt hatte, angelangt. In dieser Not kam mir jedoch das
Schicksal freundlich zu Hilfe, indem es mir gerade eine Stunde vor dem Besuch
ein verzweifeltes Zahnweh auf den Hals schickte. Als mich dann der Zahnarzt
notdürftig hergestellt und mit einer Arznei für alle Fälle versehn hatte, waren
mir alle törichten Gedanken vergangen, ich wollte nicht mehr geben, sondern nur
noch empfangen. Wie nur darauf der Dichter auf der Schwelle seines Zimmers
still und freundlich entgegentrat, griff das Schicksal zum andern Mal helfend
ein, indem es just in diesem Augenblick von dem Jodfläschchen in meiner Tasche
den Verschluß löste und meine rasch zugreifende Hand schön gelb und braun
übermalte. Es war uicht gerade nett, aber nützlich, denn während ich die
unerwünschte Färbung abwusch, verschwand auch meine Befangenheit, und ich
konnte mich mit Paul Heyse, der inzwischen das unheilvolle Fläschchen auss
kunstvollste verschnürte, nun sogleich ohne jedes fremde Gefühl unterhalten.
Über einem zweiten Besuch leuchtete vou Anfang an ein freundlicher Stern.
Ich fand den Dichter in einer goldnen Dümmmngsstuude vor seinem englischen
Shakespeare und er trat nur mit dem Glanz der großen Dichtersonne in den
Augen entgegen. Über dieser Stunde schimmert in meiner Erinnerung der Glanz
der Poesie, die Paul Heyse und die auch mir eine Heimat der Gedanken ist.

AIs mir der Dichter im vorigen Jahre und der Zueignung seines letzten
Novellenbandes eine rührende Freundlichkeit erwies, da dachte ich daran, daß
gerade zehn Jahre um waren, seit ich zuerst an seine Tür geklopft hatte, und
daß er mir wohl mit der Widmung sagen wolle, die Spanne, Zeit, die mir
Köstliches gebracht hatte, bedeute auch ihm eine gute und liebe Erinnerung.

Ich habe von diesem allen nur erzählt, um an meinem Erlebnis zu schildern,
was viele andre auch erlebt und erfahren haben. Es ist Paul Heyse immer
eine liebe Pflicht und eine Herzensfreude gewesen, andern "Zeit und Muße"
zu weihn, sich aufstrebender Talente treulich anzunehmen, das Tüchtige zu


Lüi Freundesgruß ein Paul l-ieyse

schöne Hoffnung, wird auch ein schlimmes Urteil immer noch erträglich sein,
und wenn das Urteil ein wirkliches Talent trifft, wird es dieses fördern und
zu neuen Anstrengungen anspornen.

Nach so langem freundlichen Verkehr hatte es seine Bedenken, dem Dichter
nun auch noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Es war aber
natürlich meine Sehnsucht, ihn einmal aufzusuchen, und ich fuhr, als die Zeit
dazu gekommen war, auch ganz glücklich und in den frohesten Gedanken nach
München. Dort erst dachte ich daran, daß es immer ein verlegenes Stück ist,
mit jemand erst persönlich Bekanntschaft zu schließen, nachdem man schon lange
mit ihm in Freundschaft verkehrt hatte, daß die Gefahr aber, einander fremder,
statt bekannter zu werden, in meinem Falle besonders groß sei. Ich empfand
die Notwendigkeit, mich anzustrengen, um den Freund nicht allzusehr zu enttäuschen,
und sah ihn, zu dem ich aus der Ferne immer traulich hinübergesehn hatte,
nun in der Würde seines Alters und seiner Kunst. Da war ich denn glücklich
wieder bei dem lange verloren gegangenen Bilde eines Grandseigneurs, wie man
ihn mir einmal genannt hatte, angelangt. In dieser Not kam mir jedoch das
Schicksal freundlich zu Hilfe, indem es mir gerade eine Stunde vor dem Besuch
ein verzweifeltes Zahnweh auf den Hals schickte. Als mich dann der Zahnarzt
notdürftig hergestellt und mit einer Arznei für alle Fälle versehn hatte, waren
mir alle törichten Gedanken vergangen, ich wollte nicht mehr geben, sondern nur
noch empfangen. Wie nur darauf der Dichter auf der Schwelle seines Zimmers
still und freundlich entgegentrat, griff das Schicksal zum andern Mal helfend
ein, indem es just in diesem Augenblick von dem Jodfläschchen in meiner Tasche
den Verschluß löste und meine rasch zugreifende Hand schön gelb und braun
übermalte. Es war uicht gerade nett, aber nützlich, denn während ich die
unerwünschte Färbung abwusch, verschwand auch meine Befangenheit, und ich
konnte mich mit Paul Heyse, der inzwischen das unheilvolle Fläschchen auss
kunstvollste verschnürte, nun sogleich ohne jedes fremde Gefühl unterhalten.
Über einem zweiten Besuch leuchtete vou Anfang an ein freundlicher Stern.
Ich fand den Dichter in einer goldnen Dümmmngsstuude vor seinem englischen
Shakespeare und er trat nur mit dem Glanz der großen Dichtersonne in den
Augen entgegen. Über dieser Stunde schimmert in meiner Erinnerung der Glanz
der Poesie, die Paul Heyse und die auch mir eine Heimat der Gedanken ist.

AIs mir der Dichter im vorigen Jahre und der Zueignung seines letzten
Novellenbandes eine rührende Freundlichkeit erwies, da dachte ich daran, daß
gerade zehn Jahre um waren, seit ich zuerst an seine Tür geklopft hatte, und
daß er mir wohl mit der Widmung sagen wolle, die Spanne, Zeit, die mir
Köstliches gebracht hatte, bedeute auch ihm eine gute und liebe Erinnerung.

Ich habe von diesem allen nur erzählt, um an meinem Erlebnis zu schildern,
was viele andre auch erlebt und erfahren haben. Es ist Paul Heyse immer
eine liebe Pflicht und eine Herzensfreude gewesen, andern „Zeit und Muße"
zu weihn, sich aufstrebender Talente treulich anzunehmen, das Tüchtige zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315456"/>
          <fw type="header" place="top"> Lüi Freundesgruß ein Paul l-ieyse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1992" prev="#ID_1991"> schöne Hoffnung, wird auch ein schlimmes Urteil immer noch erträglich sein,<lb/>
und wenn das Urteil ein wirkliches Talent trifft, wird es dieses fördern und<lb/>
zu neuen Anstrengungen anspornen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1993"> Nach so langem freundlichen Verkehr hatte es seine Bedenken, dem Dichter<lb/>
nun auch noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.  Es war aber<lb/>
natürlich meine Sehnsucht, ihn einmal aufzusuchen, und ich fuhr, als die Zeit<lb/>
dazu gekommen war, auch ganz glücklich und in den frohesten Gedanken nach<lb/>
München.  Dort erst dachte ich daran, daß es immer ein verlegenes Stück ist,<lb/>
mit jemand erst persönlich Bekanntschaft zu schließen, nachdem man schon lange<lb/>
mit ihm in Freundschaft verkehrt hatte, daß die Gefahr aber, einander fremder,<lb/>
statt bekannter zu werden, in meinem Falle besonders groß sei.  Ich empfand<lb/>
die Notwendigkeit, mich anzustrengen, um den Freund nicht allzusehr zu enttäuschen,<lb/>
und sah ihn, zu dem ich aus der Ferne immer traulich hinübergesehn hatte,<lb/>
nun in der Würde seines Alters und seiner Kunst. Da war ich denn glücklich<lb/>
wieder bei dem lange verloren gegangenen Bilde eines Grandseigneurs, wie man<lb/>
ihn mir einmal genannt hatte, angelangt.  In dieser Not kam mir jedoch das<lb/>
Schicksal freundlich zu Hilfe, indem es mir gerade eine Stunde vor dem Besuch<lb/>
ein verzweifeltes Zahnweh auf den Hals schickte. Als mich dann der Zahnarzt<lb/>
notdürftig hergestellt und mit einer Arznei für alle Fälle versehn hatte, waren<lb/>
mir alle törichten Gedanken vergangen, ich wollte nicht mehr geben, sondern nur<lb/>
noch empfangen. Wie nur darauf der Dichter auf der Schwelle seines Zimmers<lb/>
still und freundlich entgegentrat, griff das Schicksal zum andern Mal helfend<lb/>
ein, indem es just in diesem Augenblick von dem Jodfläschchen in meiner Tasche<lb/>
den Verschluß löste und meine rasch zugreifende Hand schön gelb und braun<lb/>
übermalte.  Es war uicht gerade nett, aber nützlich, denn während ich die<lb/>
unerwünschte Färbung abwusch, verschwand auch meine Befangenheit, und ich<lb/>
konnte mich mit Paul Heyse, der inzwischen das unheilvolle Fläschchen auss<lb/>
kunstvollste verschnürte, nun sogleich ohne jedes fremde Gefühl unterhalten.<lb/>
Über einem zweiten Besuch leuchtete vou Anfang an ein freundlicher Stern.<lb/>
Ich fand den Dichter in einer goldnen Dümmmngsstuude vor seinem englischen<lb/>
Shakespeare und er trat nur mit dem Glanz der großen Dichtersonne in den<lb/>
Augen entgegen. Über dieser Stunde schimmert in meiner Erinnerung der Glanz<lb/>
der Poesie, die Paul Heyse und die auch mir eine Heimat der Gedanken ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1994"> AIs mir der Dichter im vorigen Jahre und der Zueignung seines letzten<lb/>
Novellenbandes eine rührende Freundlichkeit erwies, da dachte ich daran, daß<lb/>
gerade zehn Jahre um waren, seit ich zuerst an seine Tür geklopft hatte, und<lb/>
daß er mir wohl mit der Widmung sagen wolle, die Spanne, Zeit, die mir<lb/>
Köstliches gebracht hatte, bedeute auch ihm eine gute und liebe Erinnerung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1995" next="#ID_1996"> Ich habe von diesem allen nur erzählt, um an meinem Erlebnis zu schildern,<lb/>
was viele andre auch erlebt und erfahren haben. Es ist Paul Heyse immer<lb/>
eine liebe Pflicht und eine Herzensfreude gewesen, andern &#x201E;Zeit und Muße"<lb/>
zu weihn, sich aufstrebender Talente treulich anzunehmen, das Tüchtige zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] Lüi Freundesgruß ein Paul l-ieyse schöne Hoffnung, wird auch ein schlimmes Urteil immer noch erträglich sein, und wenn das Urteil ein wirkliches Talent trifft, wird es dieses fördern und zu neuen Anstrengungen anspornen. Nach so langem freundlichen Verkehr hatte es seine Bedenken, dem Dichter nun auch noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Es war aber natürlich meine Sehnsucht, ihn einmal aufzusuchen, und ich fuhr, als die Zeit dazu gekommen war, auch ganz glücklich und in den frohesten Gedanken nach München. Dort erst dachte ich daran, daß es immer ein verlegenes Stück ist, mit jemand erst persönlich Bekanntschaft zu schließen, nachdem man schon lange mit ihm in Freundschaft verkehrt hatte, daß die Gefahr aber, einander fremder, statt bekannter zu werden, in meinem Falle besonders groß sei. Ich empfand die Notwendigkeit, mich anzustrengen, um den Freund nicht allzusehr zu enttäuschen, und sah ihn, zu dem ich aus der Ferne immer traulich hinübergesehn hatte, nun in der Würde seines Alters und seiner Kunst. Da war ich denn glücklich wieder bei dem lange verloren gegangenen Bilde eines Grandseigneurs, wie man ihn mir einmal genannt hatte, angelangt. In dieser Not kam mir jedoch das Schicksal freundlich zu Hilfe, indem es mir gerade eine Stunde vor dem Besuch ein verzweifeltes Zahnweh auf den Hals schickte. Als mich dann der Zahnarzt notdürftig hergestellt und mit einer Arznei für alle Fälle versehn hatte, waren mir alle törichten Gedanken vergangen, ich wollte nicht mehr geben, sondern nur noch empfangen. Wie nur darauf der Dichter auf der Schwelle seines Zimmers still und freundlich entgegentrat, griff das Schicksal zum andern Mal helfend ein, indem es just in diesem Augenblick von dem Jodfläschchen in meiner Tasche den Verschluß löste und meine rasch zugreifende Hand schön gelb und braun übermalte. Es war uicht gerade nett, aber nützlich, denn während ich die unerwünschte Färbung abwusch, verschwand auch meine Befangenheit, und ich konnte mich mit Paul Heyse, der inzwischen das unheilvolle Fläschchen auss kunstvollste verschnürte, nun sogleich ohne jedes fremde Gefühl unterhalten. Über einem zweiten Besuch leuchtete vou Anfang an ein freundlicher Stern. Ich fand den Dichter in einer goldnen Dümmmngsstuude vor seinem englischen Shakespeare und er trat nur mit dem Glanz der großen Dichtersonne in den Augen entgegen. Über dieser Stunde schimmert in meiner Erinnerung der Glanz der Poesie, die Paul Heyse und die auch mir eine Heimat der Gedanken ist. AIs mir der Dichter im vorigen Jahre und der Zueignung seines letzten Novellenbandes eine rührende Freundlichkeit erwies, da dachte ich daran, daß gerade zehn Jahre um waren, seit ich zuerst an seine Tür geklopft hatte, und daß er mir wohl mit der Widmung sagen wolle, die Spanne, Zeit, die mir Köstliches gebracht hatte, bedeute auch ihm eine gute und liebe Erinnerung. Ich habe von diesem allen nur erzählt, um an meinem Erlebnis zu schildern, was viele andre auch erlebt und erfahren haben. Es ist Paul Heyse immer eine liebe Pflicht und eine Herzensfreude gewesen, andern „Zeit und Muße" zu weihn, sich aufstrebender Talente treulich anzunehmen, das Tüchtige zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/459>, abgerufen am 24.07.2024.