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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Gin Fremidesgrnß ein Paul Heyse

seine Kunst imnier besser verstehn lernte, und immer neue Lichter darin glänzen
sah, sondern daß mir auch die edle und vornehme Persönlichkeit des Dichters
selbst immer klarer vor die Augen trat.

Die Stunde, wo ich ihm eine eigne Erzählung übersenden konnte, brachte
diesen mir so wertvollen und lieben Verkehr in große Gefahr. Hevse versteht
ja, wie er es in den: vorher erwähnten Spruch selbst ausspricht, in künstlerischen
Dingen keinen Spaß und kann recht scharf werden. Es lief indessen in diesen"
Fälle gut ab. Er schrieb mir sogar, noch ehe er die Novelle gelesen hatte,
ein freundliches Wort und meldete die Ankunft des Buches mit der Bemerkung,
er habe eine philosophische oder theologische Abhandlung erwartet und sei nun
froh überrascht worden, ein dichterisches Buch zu empfangen. Welch ein liebens¬
würdiger Zug seiner Natur sich mir in dieser Bemerkung offenbarte, das begriff
ich freilich erst später. Damals nahm: ich es als selbstverständlich an, daß
eineni Dichter nichts Lieberes passieren könne, als mit einem neuen Dichterwerk
beglückt und überrascht zu werden. Später dachte ich anders darüber. Es ist
zuweilen schmerzlich, wenn sich ein vorher harmloser Verehrer und Freund
plötzlich als Mitstrebender entpuppt. Zuweilen geht dabei eine lange und
schöne Freundschaft in die Brüche. Dichter, übrigens auch die Meister andrer
Künste und Wissenschaften, haben gewöhnlich wenig Zeit für ihresgleichen, an"
wenigsten natürlich für eben erstandne, ihnen vielleicht ganz unbekannte Talente.
Es wird ihnen aber auch saurer als gewöhnlichen Sterblichen, diesen unbefangen
und fröhlich entgegen zu treten, ihr eigner Schatten steht ihnen hindernd im
Wege, ihre ans Modellieren gewöhnte Hand beginnt sogleich an dem fertigen
Werk herumzuformen, und Menschen und Dinge nach dem eignen Bilde
unMschaffen, anstatt sie einfach hinzunehmen und in ihrem Rahmen ruhig zu
betrachte". Jedenfalls ist es ein peinliches Gefühl, möglicherweise einem freund¬
lichen Menschen unfreundlich antworten oder sich mit einigen diplomatischen
Worten durchhelfen zu müssen. Es wäre also wohl zu verstehn gewesen, wenn
Paul Hense, zu dem so viele Trostbedürftige hinpilgern, geschrieben hätte, er
hätte sich auf eine Schrift über irgendeine gelehrte Frage gefreut und sei nun
durch den Empfang einer Dichtung vorläufig recht erschreckt worden. Er ist
aber anders als die meisten Dichter, er hört so gern zu und kann so schön
zuhören. Wie vielen hat er mit warmem Herzen gelauscht, wie manchem den
Weg ins Leben hinaus gebahnt. Wenn es mich nicht selbst betrüfe, würde ich
seine Erlaubnis erbeten haben, den Brief, worin er sich über ein andres Buch aus¬
sprach, als Beweisstück seines liebevollen Versenkens hierhersetzen zu dürfen. Wie
er da jeden Klang, auch den leisesten, in sich vernimmt, wie er in die Falten
der Darstellung und des Geschehns so tief und so aufmerksam hineinschaut,
jeden Sprung und Fehler, aber auch alles, was er loben kann, bemerkt, und
sich darüber scharf und zugleich so mild und zart äußert! Bei solchen: teilnahms¬
vollen Betrachten eiues Werkes, worin, selbst wenn es voller Mängel wäre,
doch so viel ernste Arbeit steckt, so manche schwere Stunde und so manche


Gin Fremidesgrnß ein Paul Heyse

seine Kunst imnier besser verstehn lernte, und immer neue Lichter darin glänzen
sah, sondern daß mir auch die edle und vornehme Persönlichkeit des Dichters
selbst immer klarer vor die Augen trat.

Die Stunde, wo ich ihm eine eigne Erzählung übersenden konnte, brachte
diesen mir so wertvollen und lieben Verkehr in große Gefahr. Hevse versteht
ja, wie er es in den: vorher erwähnten Spruch selbst ausspricht, in künstlerischen
Dingen keinen Spaß und kann recht scharf werden. Es lief indessen in diesen«
Fälle gut ab. Er schrieb mir sogar, noch ehe er die Novelle gelesen hatte,
ein freundliches Wort und meldete die Ankunft des Buches mit der Bemerkung,
er habe eine philosophische oder theologische Abhandlung erwartet und sei nun
froh überrascht worden, ein dichterisches Buch zu empfangen. Welch ein liebens¬
würdiger Zug seiner Natur sich mir in dieser Bemerkung offenbarte, das begriff
ich freilich erst später. Damals nahm: ich es als selbstverständlich an, daß
eineni Dichter nichts Lieberes passieren könne, als mit einem neuen Dichterwerk
beglückt und überrascht zu werden. Später dachte ich anders darüber. Es ist
zuweilen schmerzlich, wenn sich ein vorher harmloser Verehrer und Freund
plötzlich als Mitstrebender entpuppt. Zuweilen geht dabei eine lange und
schöne Freundschaft in die Brüche. Dichter, übrigens auch die Meister andrer
Künste und Wissenschaften, haben gewöhnlich wenig Zeit für ihresgleichen, an«
wenigsten natürlich für eben erstandne, ihnen vielleicht ganz unbekannte Talente.
Es wird ihnen aber auch saurer als gewöhnlichen Sterblichen, diesen unbefangen
und fröhlich entgegen zu treten, ihr eigner Schatten steht ihnen hindernd im
Wege, ihre ans Modellieren gewöhnte Hand beginnt sogleich an dem fertigen
Werk herumzuformen, und Menschen und Dinge nach dem eignen Bilde
unMschaffen, anstatt sie einfach hinzunehmen und in ihrem Rahmen ruhig zu
betrachte«. Jedenfalls ist es ein peinliches Gefühl, möglicherweise einem freund¬
lichen Menschen unfreundlich antworten oder sich mit einigen diplomatischen
Worten durchhelfen zu müssen. Es wäre also wohl zu verstehn gewesen, wenn
Paul Hense, zu dem so viele Trostbedürftige hinpilgern, geschrieben hätte, er
hätte sich auf eine Schrift über irgendeine gelehrte Frage gefreut und sei nun
durch den Empfang einer Dichtung vorläufig recht erschreckt worden. Er ist
aber anders als die meisten Dichter, er hört so gern zu und kann so schön
zuhören. Wie vielen hat er mit warmem Herzen gelauscht, wie manchem den
Weg ins Leben hinaus gebahnt. Wenn es mich nicht selbst betrüfe, würde ich
seine Erlaubnis erbeten haben, den Brief, worin er sich über ein andres Buch aus¬
sprach, als Beweisstück seines liebevollen Versenkens hierhersetzen zu dürfen. Wie
er da jeden Klang, auch den leisesten, in sich vernimmt, wie er in die Falten
der Darstellung und des Geschehns so tief und so aufmerksam hineinschaut,
jeden Sprung und Fehler, aber auch alles, was er loben kann, bemerkt, und
sich darüber scharf und zugleich so mild und zart äußert! Bei solchen: teilnahms¬
vollen Betrachten eiues Werkes, worin, selbst wenn es voller Mängel wäre,
doch so viel ernste Arbeit steckt, so manche schwere Stunde und so manche


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[0458] Gin Fremidesgrnß ein Paul Heyse seine Kunst imnier besser verstehn lernte, und immer neue Lichter darin glänzen sah, sondern daß mir auch die edle und vornehme Persönlichkeit des Dichters selbst immer klarer vor die Augen trat. Die Stunde, wo ich ihm eine eigne Erzählung übersenden konnte, brachte diesen mir so wertvollen und lieben Verkehr in große Gefahr. Hevse versteht ja, wie er es in den: vorher erwähnten Spruch selbst ausspricht, in künstlerischen Dingen keinen Spaß und kann recht scharf werden. Es lief indessen in diesen« Fälle gut ab. Er schrieb mir sogar, noch ehe er die Novelle gelesen hatte, ein freundliches Wort und meldete die Ankunft des Buches mit der Bemerkung, er habe eine philosophische oder theologische Abhandlung erwartet und sei nun froh überrascht worden, ein dichterisches Buch zu empfangen. Welch ein liebens¬ würdiger Zug seiner Natur sich mir in dieser Bemerkung offenbarte, das begriff ich freilich erst später. Damals nahm: ich es als selbstverständlich an, daß eineni Dichter nichts Lieberes passieren könne, als mit einem neuen Dichterwerk beglückt und überrascht zu werden. Später dachte ich anders darüber. Es ist zuweilen schmerzlich, wenn sich ein vorher harmloser Verehrer und Freund plötzlich als Mitstrebender entpuppt. Zuweilen geht dabei eine lange und schöne Freundschaft in die Brüche. Dichter, übrigens auch die Meister andrer Künste und Wissenschaften, haben gewöhnlich wenig Zeit für ihresgleichen, an« wenigsten natürlich für eben erstandne, ihnen vielleicht ganz unbekannte Talente. Es wird ihnen aber auch saurer als gewöhnlichen Sterblichen, diesen unbefangen und fröhlich entgegen zu treten, ihr eigner Schatten steht ihnen hindernd im Wege, ihre ans Modellieren gewöhnte Hand beginnt sogleich an dem fertigen Werk herumzuformen, und Menschen und Dinge nach dem eignen Bilde unMschaffen, anstatt sie einfach hinzunehmen und in ihrem Rahmen ruhig zu betrachte«. Jedenfalls ist es ein peinliches Gefühl, möglicherweise einem freund¬ lichen Menschen unfreundlich antworten oder sich mit einigen diplomatischen Worten durchhelfen zu müssen. Es wäre also wohl zu verstehn gewesen, wenn Paul Hense, zu dem so viele Trostbedürftige hinpilgern, geschrieben hätte, er hätte sich auf eine Schrift über irgendeine gelehrte Frage gefreut und sei nun durch den Empfang einer Dichtung vorläufig recht erschreckt worden. Er ist aber anders als die meisten Dichter, er hört so gern zu und kann so schön zuhören. Wie vielen hat er mit warmem Herzen gelauscht, wie manchem den Weg ins Leben hinaus gebahnt. Wenn es mich nicht selbst betrüfe, würde ich seine Erlaubnis erbeten haben, den Brief, worin er sich über ein andres Buch aus¬ sprach, als Beweisstück seines liebevollen Versenkens hierhersetzen zu dürfen. Wie er da jeden Klang, auch den leisesten, in sich vernimmt, wie er in die Falten der Darstellung und des Geschehns so tief und so aufmerksam hineinschaut, jeden Sprung und Fehler, aber auch alles, was er loben kann, bemerkt, und sich darüber scharf und zugleich so mild und zart äußert! Bei solchen: teilnahms¬ vollen Betrachten eiues Werkes, worin, selbst wenn es voller Mängel wäre, doch so viel ernste Arbeit steckt, so manche schwere Stunde und so manche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/458>, abgerufen am 24.07.2024.