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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ein Fremidcsgrnß an Paul Heyse

aus dem Rhythmus der Wortfügung ganz von selbst leise, aber unüberhörbar
hervorklingt.

So lebte ich mich immer tiefer in des Dichters Seele hinein, und er wurde
mir bald ein lieber Freund, der mir manchen stillen Abend schön und golden
gemacht hat. Ihm auch persönlich näher zu treten, so wie es mich zu Wilhelm
Raabe hingezogen hatte, das kam mir jedoch nicht in den Sinn. Vielleicht
schreckte mich, was mich angezogen hatte, die vornehm-ästhetische Kultur, auch
wieder zurück, ich sah in ihm einen Grandmcutre oder Grandseigneur, zu dem
schwer hinzugelangen wäre. Außerdem wehte es mich doch auch zuweilen in
seinen Büchern kalt und fremd an, der Hauch einer Welt, die nicht die
meine war.

Schließlich lockte er mich aber doch eines Abends, an dem ich wieder
einmal über einen: seiner Bücher geträumt und geschwelgt hatte, aus meinem
Winkel heraus und zu sich hin. Ich mußte ihm einmal danken, und tat es
auch, ohne mich lange zu besinnen. Was ich ihm geschrieben habe, weiß ich
nicht mehr, nur das Gefühl ist nur geblieben, daß es ein sonderbarer Dankes¬
brief gewesen sein muß, denn, wie ich glaube, habe ich ihm vor allein das,
was nur da und dort unerfreulich gewesen war und mich im Genießen gestört
hatte, vorgehalten und habe dabei auch ganz tröstlich an das Allerzarteste, an
seine Weltanschauung, gerührt. Er mag wohl ein sehr erstauntes Gesicht gemacht
haben, als er diesen Herzenserguß durchlas, doch wird sein seines Ohr wohl
auch sogleich durch deu wunderlichen Dank einen Ton hindurchkliugen gehört
haben, der seinem Herzen sympathisch war, denn er antwortete mir mit einem
wundervollen Briefe, voll liebevollen Ernstes und Vertrauens, sowie man sich
wohl einmal in einer vertrauten Stunde über die innersten Gedanken mit einem
alten Freunde bespricht. Und in der Tat, wie schon in seiner ersten Novelle
die Umrisse seiner künftigen Dichtergestalt erscheinen, so offenbart sich auch
schon in diesem ersten Briefe der ganze teure Freund, der er mir nachher
geworden ist.

Das geschah im Jahre 1899. Ich habe seitdem mehrere hundert Briefe von
ihm erhalten, einen immer schöner als den andern, alle voll frischen Lebens,
voller Liebenswürdigkeit. Obwohl ja stets beschäftigt, ununterbrochen mit neuen
Gedanken und Plänen umgehend, war er immer bereit, ein Stück seiner Zeit
zu opfern und mir mit einem Brief oder einer Karte eine frohe Stunde zu
schenken. Als ich kürzlich seine Briefe ordnete, bewegte es mir das Herz, wie
ich da hier und dort einen Satz oder eine Seite wieder las und mich daran
erinnerte, an wie vielem er so warm und herzlich teilgenommen hatte, an per¬
sönlichen Erlebnissen und auch an meiner Tätigkeit als Geistlicher, die ihm
nach so manchem Urteil, das ich von verschiedenen Seiten über ihn gehört
hatte, eigentlich recht gleichgültig hätte sein müssen. Man hat ihn wohl einen
dezidierten Nichtchristen genannt und ihm auch jedes Bedürfnis der Andacht
abgesprochen. Ein hartes und ungerechtes Urteil, das er selbst schon in seinen


Ein Fremidcsgrnß an Paul Heyse

aus dem Rhythmus der Wortfügung ganz von selbst leise, aber unüberhörbar
hervorklingt.

So lebte ich mich immer tiefer in des Dichters Seele hinein, und er wurde
mir bald ein lieber Freund, der mir manchen stillen Abend schön und golden
gemacht hat. Ihm auch persönlich näher zu treten, so wie es mich zu Wilhelm
Raabe hingezogen hatte, das kam mir jedoch nicht in den Sinn. Vielleicht
schreckte mich, was mich angezogen hatte, die vornehm-ästhetische Kultur, auch
wieder zurück, ich sah in ihm einen Grandmcutre oder Grandseigneur, zu dem
schwer hinzugelangen wäre. Außerdem wehte es mich doch auch zuweilen in
seinen Büchern kalt und fremd an, der Hauch einer Welt, die nicht die
meine war.

Schließlich lockte er mich aber doch eines Abends, an dem ich wieder
einmal über einen: seiner Bücher geträumt und geschwelgt hatte, aus meinem
Winkel heraus und zu sich hin. Ich mußte ihm einmal danken, und tat es
auch, ohne mich lange zu besinnen. Was ich ihm geschrieben habe, weiß ich
nicht mehr, nur das Gefühl ist nur geblieben, daß es ein sonderbarer Dankes¬
brief gewesen sein muß, denn, wie ich glaube, habe ich ihm vor allein das,
was nur da und dort unerfreulich gewesen war und mich im Genießen gestört
hatte, vorgehalten und habe dabei auch ganz tröstlich an das Allerzarteste, an
seine Weltanschauung, gerührt. Er mag wohl ein sehr erstauntes Gesicht gemacht
haben, als er diesen Herzenserguß durchlas, doch wird sein seines Ohr wohl
auch sogleich durch deu wunderlichen Dank einen Ton hindurchkliugen gehört
haben, der seinem Herzen sympathisch war, denn er antwortete mir mit einem
wundervollen Briefe, voll liebevollen Ernstes und Vertrauens, sowie man sich
wohl einmal in einer vertrauten Stunde über die innersten Gedanken mit einem
alten Freunde bespricht. Und in der Tat, wie schon in seiner ersten Novelle
die Umrisse seiner künftigen Dichtergestalt erscheinen, so offenbart sich auch
schon in diesem ersten Briefe der ganze teure Freund, der er mir nachher
geworden ist.

Das geschah im Jahre 1899. Ich habe seitdem mehrere hundert Briefe von
ihm erhalten, einen immer schöner als den andern, alle voll frischen Lebens,
voller Liebenswürdigkeit. Obwohl ja stets beschäftigt, ununterbrochen mit neuen
Gedanken und Plänen umgehend, war er immer bereit, ein Stück seiner Zeit
zu opfern und mir mit einem Brief oder einer Karte eine frohe Stunde zu
schenken. Als ich kürzlich seine Briefe ordnete, bewegte es mir das Herz, wie
ich da hier und dort einen Satz oder eine Seite wieder las und mich daran
erinnerte, an wie vielem er so warm und herzlich teilgenommen hatte, an per¬
sönlichen Erlebnissen und auch an meiner Tätigkeit als Geistlicher, die ihm
nach so manchem Urteil, das ich von verschiedenen Seiten über ihn gehört
hatte, eigentlich recht gleichgültig hätte sein müssen. Man hat ihn wohl einen
dezidierten Nichtchristen genannt und ihm auch jedes Bedürfnis der Andacht
abgesprochen. Ein hartes und ungerechtes Urteil, das er selbst schon in seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/456>, abgerufen am 24.07.2024.