Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Die große Politik und der zustand Indiens wühlung des Gehorsams in Heer und Flotte, eine Aufreizung zur Geroalttat, Gleichzeitig mit dem Preßgesetz-Entwurf ist noch ein anderer Gedanke auf¬ Die große Politik und der zustand Indiens wühlung des Gehorsams in Heer und Flotte, eine Aufreizung zur Geroalttat, Gleichzeitig mit dem Preßgesetz-Entwurf ist noch ein anderer Gedanke auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315449"/> <fw type="header" place="top"> Die große Politik und der zustand Indiens</fw><lb/> <p xml:id="ID_1971" prev="#ID_1970"> wühlung des Gehorsams in Heer und Flotte, eine Aufreizung zur Geroalttat,<lb/> eine Bovkottdrohung oder dergleichen zuschulden kommen, so ist das hinterlegte<lb/> Geld verfallen und die Zeitung wird unterdrückt, wenn sie nicht eine entsprechend<lb/> höhere Bürgschaft stellen kann. Beim zweiten Vergehen verfällt auch diese und<lb/> das Blatt wird endgültig unterdrückt. Zugunsten bereits bestehender Zeitungen<lb/> ist bestimmt, daß die erste Bürgschaft wegfallen kann. Die Maßregel ist streng<lb/> und durchgreifend. Kein Land der weißen Rasse würde sie sich gefallen lassen.<lb/> In Europa und Amerika beruht das ganze politische Leben heutzutage auf der<lb/> Preßfreiheit. Das indische Volk läßt sich die Unterdrückung seiner Zeitungen<lb/> wahrscheinlich gefallen. Auf einem andern Blatt stehen die dauernden Wirkungen,<lb/> die dadurch hervorgerufen werden. Die Engländer halten diese für günstig,<lb/> und da sie die größte Autorität haben, so kann man ihnen nicht ohne weiteres<lb/> widersprechen. Ausgemacht ist ein Erfolg jedoch noch nicht. Die Druckerpresse<lb/> stellt sich auch in den Dienst der geheimen Gesellschaften. Mit Flugblättern<lb/> kann auch viel geleistet werden, zumal wenn diese von dem Nimbus des Gefähr¬<lb/> lichen umgeben sind. Der Mustizismus spielt ohnehin eine außerordentliche Rolle<lb/> in der ganzen terroristischen Bewegung Indiens. Die Brahminen sorgen dafür,<lb/> daß die Götter sich in dem ihnen genehmen Sinn betätigen, und die fanatisierte<lb/> Menge kann solchem Humbug keinen Widerstand leisten. Da wird es unaus¬<lb/> bleiblich sein, daß die Unterdrückung der den Indern jetzt zu einem Volksbesitztum<lb/> gewordenen nationalen Presse wieder als ein neuer Ausfluß der Fremdherrschaft<lb/> erscheint und neuen Stoff zur Agitation gegen diese liefert. Die Engländer<lb/> werden wenig davon erfahren, was in der geheimen Literatur gegen sie gesprochen<lb/> wird; die Gelegenheit zur Widerlegung wird verringert sein. Daß es vergeblich<lb/> ist, den Geheimdruckereien nachzuspüren, haben die Dinge in Rußland gezeigt.<lb/> In den großen Städten wie Bombay und Kalkutta werden sie ffich leicht ver¬<lb/> bergen können, noch leichter in den entlegenen Dörfern, am leichtesten in den<lb/> Tempeln, die kein fremder Fuß betreten darf. Religiöse Heiligtümer zu schonen,<lb/> ist immer englische Politik gewesen: aus nur zu guten Gründen. Wenn man<lb/> das Feuer des Fanatismus anfachen will, so muß man hohe indische Tempel<lb/> entweihen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1972" next="#ID_1973"> Gleichzeitig mit dem Preßgesetz-Entwurf ist noch ein anderer Gedanke auf¬<lb/> getaucht, ebenfalls ein Vorschlag vom Charakter der starken Hand: die Ernennung<lb/> Lord Kitcheners zum Gouverneur von Indien. Vollzogen ist sie im Augenblick,<lb/> da wir diese Zeilen niederschreiben, noch nicht. Lord Kitchener weilt in Australien.<lb/> Natürlich kann man nach den Zeitungsmeldungen der Sache noch nicht ganz<lb/> aus den Grund sehen. Aber eben das Echo in der englischen und indischen<lb/> Presse läßt erkennen, daß man es mit einem ernsten Vorschlag zu tun hat und<lb/> welcher Tendenz dieser ist. Lord Kitchener ist der angesehenste und verehrteste<lb/> General des Königs von England nächst Lord Roberts, dem Bezwinger Afgha¬<lb/> nistans und Oberbefehlshaber im Burenkriege. Dieser hat aber das siebenund¬<lb/> siebzigste Jahr vollendet und kommt für den als dauernd anzusehenden Posten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Die große Politik und der zustand Indiens
wühlung des Gehorsams in Heer und Flotte, eine Aufreizung zur Geroalttat,
eine Bovkottdrohung oder dergleichen zuschulden kommen, so ist das hinterlegte
Geld verfallen und die Zeitung wird unterdrückt, wenn sie nicht eine entsprechend
höhere Bürgschaft stellen kann. Beim zweiten Vergehen verfällt auch diese und
das Blatt wird endgültig unterdrückt. Zugunsten bereits bestehender Zeitungen
ist bestimmt, daß die erste Bürgschaft wegfallen kann. Die Maßregel ist streng
und durchgreifend. Kein Land der weißen Rasse würde sie sich gefallen lassen.
In Europa und Amerika beruht das ganze politische Leben heutzutage auf der
Preßfreiheit. Das indische Volk läßt sich die Unterdrückung seiner Zeitungen
wahrscheinlich gefallen. Auf einem andern Blatt stehen die dauernden Wirkungen,
die dadurch hervorgerufen werden. Die Engländer halten diese für günstig,
und da sie die größte Autorität haben, so kann man ihnen nicht ohne weiteres
widersprechen. Ausgemacht ist ein Erfolg jedoch noch nicht. Die Druckerpresse
stellt sich auch in den Dienst der geheimen Gesellschaften. Mit Flugblättern
kann auch viel geleistet werden, zumal wenn diese von dem Nimbus des Gefähr¬
lichen umgeben sind. Der Mustizismus spielt ohnehin eine außerordentliche Rolle
in der ganzen terroristischen Bewegung Indiens. Die Brahminen sorgen dafür,
daß die Götter sich in dem ihnen genehmen Sinn betätigen, und die fanatisierte
Menge kann solchem Humbug keinen Widerstand leisten. Da wird es unaus¬
bleiblich sein, daß die Unterdrückung der den Indern jetzt zu einem Volksbesitztum
gewordenen nationalen Presse wieder als ein neuer Ausfluß der Fremdherrschaft
erscheint und neuen Stoff zur Agitation gegen diese liefert. Die Engländer
werden wenig davon erfahren, was in der geheimen Literatur gegen sie gesprochen
wird; die Gelegenheit zur Widerlegung wird verringert sein. Daß es vergeblich
ist, den Geheimdruckereien nachzuspüren, haben die Dinge in Rußland gezeigt.
In den großen Städten wie Bombay und Kalkutta werden sie ffich leicht ver¬
bergen können, noch leichter in den entlegenen Dörfern, am leichtesten in den
Tempeln, die kein fremder Fuß betreten darf. Religiöse Heiligtümer zu schonen,
ist immer englische Politik gewesen: aus nur zu guten Gründen. Wenn man
das Feuer des Fanatismus anfachen will, so muß man hohe indische Tempel
entweihen.
Gleichzeitig mit dem Preßgesetz-Entwurf ist noch ein anderer Gedanke auf¬
getaucht, ebenfalls ein Vorschlag vom Charakter der starken Hand: die Ernennung
Lord Kitcheners zum Gouverneur von Indien. Vollzogen ist sie im Augenblick,
da wir diese Zeilen niederschreiben, noch nicht. Lord Kitchener weilt in Australien.
Natürlich kann man nach den Zeitungsmeldungen der Sache noch nicht ganz
aus den Grund sehen. Aber eben das Echo in der englischen und indischen
Presse läßt erkennen, daß man es mit einem ernsten Vorschlag zu tun hat und
welcher Tendenz dieser ist. Lord Kitchener ist der angesehenste und verehrteste
General des Königs von England nächst Lord Roberts, dem Bezwinger Afgha¬
nistans und Oberbefehlshaber im Burenkriege. Dieser hat aber das siebenund¬
siebzigste Jahr vollendet und kommt für den als dauernd anzusehenden Posten
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