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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die große Politik und der Instand Indiens

Hindus. Da sie so wenig Vertreter zu wählen hatten und diese noch meist ans
erlesenen Wählerschaften hervorzugehen hatten, so blieb das Volk an dem ganzen
Vorgang so gut wie unbeteiligt. Die Reform hat keinen Eindruck gemacht.

England schritt nun zu neuen Maßregeln. Es verband solche der Milde
und des Versöhnungsversuchs mit Zeichen der Strenge und Kraft. Ähnlich war
es im Dezember 1908 gewesen. Damals gab die eine Hand die Reformen,
die doch immerhin ein Fortschritt waren, die andere griff fest zu und verschickte
eine Anzahl verdächtiger Brahminen kurzerhand nach Landesteilen, wo sie kein
Unheil anrichten können. Meist blieb der neue Aufenthaltsort unbekannt, doch
ist es sicher, daß einige der Verhafteten nach Hinterindien verbannt waren, wo
statt des Brahmanismus der Buddhismus herrscht. Man hatte so recht in die
geistig leitenden Kreise des Brahminentums gegriffen: Priester, Universitätslehrer,
Advokaten, Redakteure wurden betroffen. Unter diesen manche, die als Träger
höchster religiöser Ehrenstellungen eine fast abergläubische Achtung genießen.
Damals berichteten auch englische Korrespondenten, daß die Stimmung sehr
erbittert sei. Es scheint, daß der Zorn in das allgemeine Reservoir des
Anarchismus geflossen ist, denn im einzelnen hat man kaum von Folgen jener
Maßregel gehört.

Jetzt sind diese Leute sämtlich freigelassen worden; man hat ihnen die Rück¬
kehr in ihre Heimat erlaubt. Gleichzeitig schreitet die auglo-indische Regierung
gegen die Hindupresse ein. Sie hat den dem Angelsachsen so tief im Blute
sitzenden Grundsatz der Preßfreiheit verlassen. Vor einem halben Jahrhundert
hat sie das Aufkommen einer Eingeborenen-Presse ja selbst begünstigt. Im
Gefühl ihrer Macht hat sie sie ruhig schimpfen lassen, vertrauend darauf, daß
sie ein Gegengewicht finden würde. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen, und
gerade in den letzten Jahren hat die um sich greifende anarchistische Verschwörung
sich immer mehr der Presse bemächtigt. Man muß uicht denken, daß diese in
einem Lande, wo die Schulbildung noch so rückständig ist, nicht viel zu bedeuten
habe. Wer die Kunst des Lesens versteht, bildet um sich Gruppen von Zuhörern,
die seinen Worten lauschen. Die Dinge gehen dann von Mund zu Mund
weiter. So ist die Wirksamkeit der Hetzarbeit durch die Zeitungen gar nicht zu
bestreiten. Es ist nun bemerkenswert, daß unter dem jetzigen liberalen Regiment
die Axt an die indische Preßfreiheit gelegt wird. Wenn auch das Parlament
zu Westminster nicht selbst entscheidet, so geht doch der Minister für Indien.
Lord Morley, nicht vor, ohne der Zustimmung seiner Partei sicher zu sein.
Und ebenso ist gewiß, daß der Vizekönig Lord Minto vorher bei seinem Minister
angefragt hat, ehe er die Maßregel dein großen indischen Rat unterbreitet hat.
Dieser wird sie unstreitig genehmigen. Das Preßgesetz sieht vor, daß neu zu
gründende Zeitungen eine Gcldbürgschaft hinterlegen; anfänglich wurden
5000 Rupien genannt, jetzt scheint man die Summe auf 2000 ermäßigen zu
wollen. Dies dient zur Sicherheit des Wohlverhaltens. Läßt sich das Blatt
eine Herabsetzung der Regierung oder eingeborener Fürsten, oder eine Unter-


Die große Politik und der Instand Indiens

Hindus. Da sie so wenig Vertreter zu wählen hatten und diese noch meist ans
erlesenen Wählerschaften hervorzugehen hatten, so blieb das Volk an dem ganzen
Vorgang so gut wie unbeteiligt. Die Reform hat keinen Eindruck gemacht.

England schritt nun zu neuen Maßregeln. Es verband solche der Milde
und des Versöhnungsversuchs mit Zeichen der Strenge und Kraft. Ähnlich war
es im Dezember 1908 gewesen. Damals gab die eine Hand die Reformen,
die doch immerhin ein Fortschritt waren, die andere griff fest zu und verschickte
eine Anzahl verdächtiger Brahminen kurzerhand nach Landesteilen, wo sie kein
Unheil anrichten können. Meist blieb der neue Aufenthaltsort unbekannt, doch
ist es sicher, daß einige der Verhafteten nach Hinterindien verbannt waren, wo
statt des Brahmanismus der Buddhismus herrscht. Man hatte so recht in die
geistig leitenden Kreise des Brahminentums gegriffen: Priester, Universitätslehrer,
Advokaten, Redakteure wurden betroffen. Unter diesen manche, die als Träger
höchster religiöser Ehrenstellungen eine fast abergläubische Achtung genießen.
Damals berichteten auch englische Korrespondenten, daß die Stimmung sehr
erbittert sei. Es scheint, daß der Zorn in das allgemeine Reservoir des
Anarchismus geflossen ist, denn im einzelnen hat man kaum von Folgen jener
Maßregel gehört.

Jetzt sind diese Leute sämtlich freigelassen worden; man hat ihnen die Rück¬
kehr in ihre Heimat erlaubt. Gleichzeitig schreitet die auglo-indische Regierung
gegen die Hindupresse ein. Sie hat den dem Angelsachsen so tief im Blute
sitzenden Grundsatz der Preßfreiheit verlassen. Vor einem halben Jahrhundert
hat sie das Aufkommen einer Eingeborenen-Presse ja selbst begünstigt. Im
Gefühl ihrer Macht hat sie sie ruhig schimpfen lassen, vertrauend darauf, daß
sie ein Gegengewicht finden würde. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen, und
gerade in den letzten Jahren hat die um sich greifende anarchistische Verschwörung
sich immer mehr der Presse bemächtigt. Man muß uicht denken, daß diese in
einem Lande, wo die Schulbildung noch so rückständig ist, nicht viel zu bedeuten
habe. Wer die Kunst des Lesens versteht, bildet um sich Gruppen von Zuhörern,
die seinen Worten lauschen. Die Dinge gehen dann von Mund zu Mund
weiter. So ist die Wirksamkeit der Hetzarbeit durch die Zeitungen gar nicht zu
bestreiten. Es ist nun bemerkenswert, daß unter dem jetzigen liberalen Regiment
die Axt an die indische Preßfreiheit gelegt wird. Wenn auch das Parlament
zu Westminster nicht selbst entscheidet, so geht doch der Minister für Indien.
Lord Morley, nicht vor, ohne der Zustimmung seiner Partei sicher zu sein.
Und ebenso ist gewiß, daß der Vizekönig Lord Minto vorher bei seinem Minister
angefragt hat, ehe er die Maßregel dein großen indischen Rat unterbreitet hat.
Dieser wird sie unstreitig genehmigen. Das Preßgesetz sieht vor, daß neu zu
gründende Zeitungen eine Gcldbürgschaft hinterlegen; anfänglich wurden
5000 Rupien genannt, jetzt scheint man die Summe auf 2000 ermäßigen zu
wollen. Dies dient zur Sicherheit des Wohlverhaltens. Läßt sich das Blatt
eine Herabsetzung der Regierung oder eingeborener Fürsten, oder eine Unter-


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[0451] Die große Politik und der Instand Indiens Hindus. Da sie so wenig Vertreter zu wählen hatten und diese noch meist ans erlesenen Wählerschaften hervorzugehen hatten, so blieb das Volk an dem ganzen Vorgang so gut wie unbeteiligt. Die Reform hat keinen Eindruck gemacht. England schritt nun zu neuen Maßregeln. Es verband solche der Milde und des Versöhnungsversuchs mit Zeichen der Strenge und Kraft. Ähnlich war es im Dezember 1908 gewesen. Damals gab die eine Hand die Reformen, die doch immerhin ein Fortschritt waren, die andere griff fest zu und verschickte eine Anzahl verdächtiger Brahminen kurzerhand nach Landesteilen, wo sie kein Unheil anrichten können. Meist blieb der neue Aufenthaltsort unbekannt, doch ist es sicher, daß einige der Verhafteten nach Hinterindien verbannt waren, wo statt des Brahmanismus der Buddhismus herrscht. Man hatte so recht in die geistig leitenden Kreise des Brahminentums gegriffen: Priester, Universitätslehrer, Advokaten, Redakteure wurden betroffen. Unter diesen manche, die als Träger höchster religiöser Ehrenstellungen eine fast abergläubische Achtung genießen. Damals berichteten auch englische Korrespondenten, daß die Stimmung sehr erbittert sei. Es scheint, daß der Zorn in das allgemeine Reservoir des Anarchismus geflossen ist, denn im einzelnen hat man kaum von Folgen jener Maßregel gehört. Jetzt sind diese Leute sämtlich freigelassen worden; man hat ihnen die Rück¬ kehr in ihre Heimat erlaubt. Gleichzeitig schreitet die auglo-indische Regierung gegen die Hindupresse ein. Sie hat den dem Angelsachsen so tief im Blute sitzenden Grundsatz der Preßfreiheit verlassen. Vor einem halben Jahrhundert hat sie das Aufkommen einer Eingeborenen-Presse ja selbst begünstigt. Im Gefühl ihrer Macht hat sie sie ruhig schimpfen lassen, vertrauend darauf, daß sie ein Gegengewicht finden würde. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen, und gerade in den letzten Jahren hat die um sich greifende anarchistische Verschwörung sich immer mehr der Presse bemächtigt. Man muß uicht denken, daß diese in einem Lande, wo die Schulbildung noch so rückständig ist, nicht viel zu bedeuten habe. Wer die Kunst des Lesens versteht, bildet um sich Gruppen von Zuhörern, die seinen Worten lauschen. Die Dinge gehen dann von Mund zu Mund weiter. So ist die Wirksamkeit der Hetzarbeit durch die Zeitungen gar nicht zu bestreiten. Es ist nun bemerkenswert, daß unter dem jetzigen liberalen Regiment die Axt an die indische Preßfreiheit gelegt wird. Wenn auch das Parlament zu Westminster nicht selbst entscheidet, so geht doch der Minister für Indien. Lord Morley, nicht vor, ohne der Zustimmung seiner Partei sicher zu sein. Und ebenso ist gewiß, daß der Vizekönig Lord Minto vorher bei seinem Minister angefragt hat, ehe er die Maßregel dein großen indischen Rat unterbreitet hat. Dieser wird sie unstreitig genehmigen. Das Preßgesetz sieht vor, daß neu zu gründende Zeitungen eine Gcldbürgschaft hinterlegen; anfänglich wurden 5000 Rupien genannt, jetzt scheint man die Summe auf 2000 ermäßigen zu wollen. Dies dient zur Sicherheit des Wohlverhaltens. Läßt sich das Blatt eine Herabsetzung der Regierung oder eingeborener Fürsten, oder eine Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/451>, abgerufen am 22.12.2024.