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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Hellas und wilamowitz

lehnt schroff das weitestgespannte und tiefestgegründete Werk des Mystikers Plato
ab, das im Bilde Monotheismus, Pantheismus und Polytheismus bewältigt.
"Die Konstruktion des Weltalls und gar den Bau des menschlichen Körpers
in lauter Bildern und Metaphern zu beschreiben, war doch ein Mißbrauch."
(Timaios.) Erwin Rhode, bei dessen Animismus Wilamowitz sich nicht beruhigen
zu dürfen glaubte, nannte diesen Mißbrauch "sublime Mystik". Er muß wohl
ein recht unklarer Schwärmer gewesen sein!

Die Betrachtung der fachwissenschaftlichen Werke gehört nicht zum Thema.
Wir wollen sie aber billigerweise streifen, denn in ihnen lebt das, worin
Wilamowitz' Bedeutung liegt. Wenn der Kunstrichter schweigt, erscheint der
Meister der Historie: Es ist ein Genuß, seinen geistreichen Kombinationen zu
folgen und, was nach den Übersetzungen kaum glaublich scheint, er zeigt wirklich
Stil in seiner Rede, die trotz der Sachlichkeit persönlich und nicht trocken ist.
Man könnte von Wilamowitz sagen: Er ist nur dann ganz flach, wenn er
philosophiert; nur dann ganz banal, wenn er dichtet; und nur dann ganz
unkünstlerisch, wenn er nicht zu Gelehrten redet, sondern das unverdorbene
Publikum zur Kunst erziehen will. Dies Paradoxon ist leicht zu verstehen:
seine edelsten Kräfte verbraucht Wilamowitz -- wie es sein gutes Recht ist --
im Kreise reiner Gelehrsamkeit; aber wenn er aus diesem Kreise treten will
und auf das große Leben wirken, so glaubt er mit hingeworfenen Behauptungen
und stümperhaften Übersetzungen Dank zu verdienen. So anspruchslos sind
wir nicht! In der Wissenschaft ist jede Kraft nutzbar; wenn sie nur an die
rechte Stelle gesetzt wird. Wer aber als Meister die höchste Kunst und Lebens¬
weisheit verkünden will, muß berufen sein, und nur wer die ganze Seele hin¬
gibt, darf in den Seelen das Schöne zeugen. An der Pforte von Hellas stehe"
Winckelmann, Herder, Goethe, Jean Paul, Hölderlin: In ihnen wirkten Dionysos
und Apollo selbst, und darum sollen uns noch ihre Irrtümer heiliger sein als
unfromme Gelehrsamkeit.




Hellas und wilamowitz

lehnt schroff das weitestgespannte und tiefestgegründete Werk des Mystikers Plato
ab, das im Bilde Monotheismus, Pantheismus und Polytheismus bewältigt.
„Die Konstruktion des Weltalls und gar den Bau des menschlichen Körpers
in lauter Bildern und Metaphern zu beschreiben, war doch ein Mißbrauch."
(Timaios.) Erwin Rhode, bei dessen Animismus Wilamowitz sich nicht beruhigen
zu dürfen glaubte, nannte diesen Mißbrauch „sublime Mystik". Er muß wohl
ein recht unklarer Schwärmer gewesen sein!

Die Betrachtung der fachwissenschaftlichen Werke gehört nicht zum Thema.
Wir wollen sie aber billigerweise streifen, denn in ihnen lebt das, worin
Wilamowitz' Bedeutung liegt. Wenn der Kunstrichter schweigt, erscheint der
Meister der Historie: Es ist ein Genuß, seinen geistreichen Kombinationen zu
folgen und, was nach den Übersetzungen kaum glaublich scheint, er zeigt wirklich
Stil in seiner Rede, die trotz der Sachlichkeit persönlich und nicht trocken ist.
Man könnte von Wilamowitz sagen: Er ist nur dann ganz flach, wenn er
philosophiert; nur dann ganz banal, wenn er dichtet; und nur dann ganz
unkünstlerisch, wenn er nicht zu Gelehrten redet, sondern das unverdorbene
Publikum zur Kunst erziehen will. Dies Paradoxon ist leicht zu verstehen:
seine edelsten Kräfte verbraucht Wilamowitz — wie es sein gutes Recht ist —
im Kreise reiner Gelehrsamkeit; aber wenn er aus diesem Kreise treten will
und auf das große Leben wirken, so glaubt er mit hingeworfenen Behauptungen
und stümperhaften Übersetzungen Dank zu verdienen. So anspruchslos sind
wir nicht! In der Wissenschaft ist jede Kraft nutzbar; wenn sie nur an die
rechte Stelle gesetzt wird. Wer aber als Meister die höchste Kunst und Lebens¬
weisheit verkünden will, muß berufen sein, und nur wer die ganze Seele hin¬
gibt, darf in den Seelen das Schöne zeugen. An der Pforte von Hellas stehe»
Winckelmann, Herder, Goethe, Jean Paul, Hölderlin: In ihnen wirkten Dionysos
und Apollo selbst, und darum sollen uns noch ihre Irrtümer heiliger sein als
unfromme Gelehrsamkeit.




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[0433] Hellas und wilamowitz lehnt schroff das weitestgespannte und tiefestgegründete Werk des Mystikers Plato ab, das im Bilde Monotheismus, Pantheismus und Polytheismus bewältigt. „Die Konstruktion des Weltalls und gar den Bau des menschlichen Körpers in lauter Bildern und Metaphern zu beschreiben, war doch ein Mißbrauch." (Timaios.) Erwin Rhode, bei dessen Animismus Wilamowitz sich nicht beruhigen zu dürfen glaubte, nannte diesen Mißbrauch „sublime Mystik". Er muß wohl ein recht unklarer Schwärmer gewesen sein! Die Betrachtung der fachwissenschaftlichen Werke gehört nicht zum Thema. Wir wollen sie aber billigerweise streifen, denn in ihnen lebt das, worin Wilamowitz' Bedeutung liegt. Wenn der Kunstrichter schweigt, erscheint der Meister der Historie: Es ist ein Genuß, seinen geistreichen Kombinationen zu folgen und, was nach den Übersetzungen kaum glaublich scheint, er zeigt wirklich Stil in seiner Rede, die trotz der Sachlichkeit persönlich und nicht trocken ist. Man könnte von Wilamowitz sagen: Er ist nur dann ganz flach, wenn er philosophiert; nur dann ganz banal, wenn er dichtet; und nur dann ganz unkünstlerisch, wenn er nicht zu Gelehrten redet, sondern das unverdorbene Publikum zur Kunst erziehen will. Dies Paradoxon ist leicht zu verstehen: seine edelsten Kräfte verbraucht Wilamowitz — wie es sein gutes Recht ist — im Kreise reiner Gelehrsamkeit; aber wenn er aus diesem Kreise treten will und auf das große Leben wirken, so glaubt er mit hingeworfenen Behauptungen und stümperhaften Übersetzungen Dank zu verdienen. So anspruchslos sind wir nicht! In der Wissenschaft ist jede Kraft nutzbar; wenn sie nur an die rechte Stelle gesetzt wird. Wer aber als Meister die höchste Kunst und Lebens¬ weisheit verkünden will, muß berufen sein, und nur wer die ganze Seele hin¬ gibt, darf in den Seelen das Schöne zeugen. An der Pforte von Hellas stehe» Winckelmann, Herder, Goethe, Jean Paul, Hölderlin: In ihnen wirkten Dionysos und Apollo selbst, und darum sollen uns noch ihre Irrtümer heiliger sein als unfromme Gelehrsamkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/433>, abgerufen am 24.07.2024.