man schwerlich heraushören, daß er zu Freudentränen ergriffen ist. Wörtlich heißt es: "Wie sagst du? Vor Zweifel entging mir dein Wort." Der Ton auf dem Areopag ist eher einer modernen Schöffengerichtssitzung als Göttern und Heroen angemessen. Dike klingt schon zu göttlich, darum wird "M<; "v en x"^-so<u<z"7> 8^ so wiedergegeben: "Daß die Verhandlung zu sichrer Urteilsfinduug führt." Orestes sagt: "Rechtsbelehrung gib, Apollon." "Doch ob berechtigt oder nicht der Totschlag war, gib dein Gutachten."
"Der gefallnen Größe gibt die menschliche Gemeinheit gern noch einen Tritt" sagt Klytaimnestra, als sie den rückkehrenden König in feierlicher Rede begrüßt. ^u'sxvXXw-; in den Choephoren (V. 542) ist ein ungewöhnlicher, nur in der Poesie gebräuchlicher Ausdruck. Aber auf solche Wesenswcrte nimmt Wilamowitz nie Rücksicht; hier sagt er: "Paßt aufs Haar genau." Später: "Mach' ich ihn zur Leiche." Die Eumeniden sind "Ekelscheusale" und haben von "Schenkerhänden" "manchen Guß geschlürft". Ihr abscheulicher Gesang klingt so:
Die Antithese von "heiß" und "kalt mache::" ist zwar voll einer lustigen Roheit, aber mit dem griechischen Text hat sie nichts zu tun. Unerträglich banal ist auch die Konduite, die der Priester den: König Ödipus ausstellt (V. 33). Er erachtet ihn: "doch für der Männer ersten unbedingt, gewachsen jeder Lage, wie das Leben sie mit sich bringt". Wilamowitz gestattet ihm auch nicht die prunkvolle Anrede des Sophokles: "v"5. ep.vo x^Se^", um U-pinx-"i; (Fürst, mein Verschwägerter, Sohn des Menoikeus), sondern läßt ihn bürgerlich behaglich sagen: "Nun, lieber Schwager Kreon." Dann wird er ganz grob: "Mensch, du unterstehst dich noch?" "Du hast es ihm gesteckt." Er schnupft nicht umsonst, Kreon "macht ihm die Rechnung aus".
Schon diese kleine Auswahl beweist, daß es sich nicht um Entgleisungen, sondern um Methode handelt. Für den, der zur Kunst eine innere Beziehung hat, sind damit die Übersetzungen erledigt. Aber ich will auch denen, die an eine Kunst des Inhaltes glauben und in der Form nur ein zufälliges Gewand sehen, beweisen, daß Wilamowitz selbst inhaltlich kein Verhältnis zu Aischylos und Sophokles hat. Er hat nichts von der treibenden Sehnsucht unserer größten Geister gespürt, die immer wieder strebte, durch die Trümmer des Hellenismus zu dem so schwer zugänglichen Hochgebirge des alten Hellas zu gelangen. Er sieht im Gegenteil den modernen Normalmenschen als Ziel der Antike an und findet daher in der einzigartigen hellenischen Kultur nichts weiter als die Vorstufen unserer Moral und Wissenschaft. So bringt er freilich dem großen Publikum das Griechentum nahe, und wie wohlig geht es dem Philister ein, wenn ^man ihm sagt, daß auch die stolzen Griechen Menschen waren, von allen Trivialitäten des Tages gequält wie wir, nur noch nicht ganz so erleuchtet wie wir. Taub für den großen Gesang der Kunst bemüht sich Wilamowitz einzelne Worte auf-
Hellas und lvilmnowitz
man schwerlich heraushören, daß er zu Freudentränen ergriffen ist. Wörtlich heißt es: „Wie sagst du? Vor Zweifel entging mir dein Wort." Der Ton auf dem Areopag ist eher einer modernen Schöffengerichtssitzung als Göttern und Heroen angemessen. Dike klingt schon zu göttlich, darum wird «M<; «v en x«^-so<u<z»7> 8^ so wiedergegeben: „Daß die Verhandlung zu sichrer Urteilsfinduug führt." Orestes sagt: „Rechtsbelehrung gib, Apollon." „Doch ob berechtigt oder nicht der Totschlag war, gib dein Gutachten."
„Der gefallnen Größe gibt die menschliche Gemeinheit gern noch einen Tritt" sagt Klytaimnestra, als sie den rückkehrenden König in feierlicher Rede begrüßt. ^u'sxvXXw-; in den Choephoren (V. 542) ist ein ungewöhnlicher, nur in der Poesie gebräuchlicher Ausdruck. Aber auf solche Wesenswcrte nimmt Wilamowitz nie Rücksicht; hier sagt er: „Paßt aufs Haar genau." Später: „Mach' ich ihn zur Leiche." Die Eumeniden sind „Ekelscheusale" und haben von „Schenkerhänden" „manchen Guß geschlürft". Ihr abscheulicher Gesang klingt so:
Die Antithese von „heiß" und „kalt mache::" ist zwar voll einer lustigen Roheit, aber mit dem griechischen Text hat sie nichts zu tun. Unerträglich banal ist auch die Konduite, die der Priester den: König Ödipus ausstellt (V. 33). Er erachtet ihn: „doch für der Männer ersten unbedingt, gewachsen jeder Lage, wie das Leben sie mit sich bringt". Wilamowitz gestattet ihm auch nicht die prunkvolle Anrede des Sophokles: «v«5. ep.vo x^Se^«, um U-pinx-»i; (Fürst, mein Verschwägerter, Sohn des Menoikeus), sondern läßt ihn bürgerlich behaglich sagen: „Nun, lieber Schwager Kreon." Dann wird er ganz grob: „Mensch, du unterstehst dich noch?" „Du hast es ihm gesteckt." Er schnupft nicht umsonst, Kreon „macht ihm die Rechnung aus".
Schon diese kleine Auswahl beweist, daß es sich nicht um Entgleisungen, sondern um Methode handelt. Für den, der zur Kunst eine innere Beziehung hat, sind damit die Übersetzungen erledigt. Aber ich will auch denen, die an eine Kunst des Inhaltes glauben und in der Form nur ein zufälliges Gewand sehen, beweisen, daß Wilamowitz selbst inhaltlich kein Verhältnis zu Aischylos und Sophokles hat. Er hat nichts von der treibenden Sehnsucht unserer größten Geister gespürt, die immer wieder strebte, durch die Trümmer des Hellenismus zu dem so schwer zugänglichen Hochgebirge des alten Hellas zu gelangen. Er sieht im Gegenteil den modernen Normalmenschen als Ziel der Antike an und findet daher in der einzigartigen hellenischen Kultur nichts weiter als die Vorstufen unserer Moral und Wissenschaft. So bringt er freilich dem großen Publikum das Griechentum nahe, und wie wohlig geht es dem Philister ein, wenn ^man ihm sagt, daß auch die stolzen Griechen Menschen waren, von allen Trivialitäten des Tages gequält wie wir, nur noch nicht ganz so erleuchtet wie wir. Taub für den großen Gesang der Kunst bemüht sich Wilamowitz einzelne Worte auf-
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0426"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315423"/><fwtype="header"place="top"> Hellas und lvilmnowitz</fw><lb/><pxml:id="ID_1858"prev="#ID_1857"> man schwerlich heraushören, daß er zu Freudentränen ergriffen ist. Wörtlich<lb/>
heißt es: „Wie sagst du? Vor Zweifel entging mir dein Wort." Der<lb/>
Ton auf dem Areopag ist eher einer modernen Schöffengerichtssitzung als<lb/>
Göttern und Heroen angemessen. Dike klingt schon zu göttlich, darum wird<lb/>
«M<; «v en x«^-so<u<z»7> 8^ so wiedergegeben: „Daß die Verhandlung zu sichrer<lb/>
Urteilsfinduug führt." Orestes sagt: „Rechtsbelehrung gib, Apollon." „Doch<lb/>
ob berechtigt oder nicht der Totschlag war, gib dein Gutachten."</p><lb/><pxml:id="ID_1859">„Der gefallnen Größe gibt die menschliche Gemeinheit gern noch einen<lb/>
Tritt" sagt Klytaimnestra, als sie den rückkehrenden König in feierlicher Rede<lb/>
begrüßt. ^u'sxvXXw-; in den Choephoren (V. 542) ist ein ungewöhnlicher, nur<lb/>
in der Poesie gebräuchlicher Ausdruck. Aber auf solche Wesenswcrte nimmt<lb/>
Wilamowitz nie Rücksicht; hier sagt er: „Paßt aufs Haar genau." Später:<lb/>„Mach' ich ihn zur Leiche." Die Eumeniden sind „Ekelscheusale" und haben von<lb/>„Schenkerhänden" „manchen Guß geschlürft". Ihr abscheulicher Gesang klingt so:</p><lb/><lgxml:id="POEMID_79"type="poem"><l/></lg><lb/><pxml:id="ID_1860"> Die Antithese von „heiß" und „kalt mache::" ist zwar voll einer lustigen<lb/>
Roheit, aber mit dem griechischen Text hat sie nichts zu tun. Unerträglich<lb/>
banal ist auch die Konduite, die der Priester den: König Ödipus ausstellt (V. 33).<lb/>
Er erachtet ihn: „doch für der Männer ersten unbedingt, gewachsen jeder Lage,<lb/>
wie das Leben sie mit sich bringt". Wilamowitz gestattet ihm auch nicht die<lb/>
prunkvolle Anrede des Sophokles: «v«5. ep.vo x^Se^«, um U-pinx-»i; (Fürst, mein<lb/>
Verschwägerter, Sohn des Menoikeus), sondern läßt ihn bürgerlich behaglich<lb/>
sagen: „Nun, lieber Schwager Kreon." Dann wird er ganz grob: „Mensch,<lb/>
du unterstehst dich noch?" „Du hast es ihm gesteckt." Er schnupft nicht umsonst,<lb/>
Kreon „macht ihm die Rechnung aus".</p><lb/><pxml:id="ID_1861"next="#ID_1862"> Schon diese kleine Auswahl beweist, daß es sich nicht um Entgleisungen,<lb/>
sondern um Methode handelt. Für den, der zur Kunst eine innere Beziehung<lb/>
hat, sind damit die Übersetzungen erledigt. Aber ich will auch denen, die an<lb/>
eine Kunst des Inhaltes glauben und in der Form nur ein zufälliges Gewand<lb/>
sehen, beweisen, daß Wilamowitz selbst inhaltlich kein Verhältnis zu Aischylos und<lb/>
Sophokles hat. Er hat nichts von der treibenden Sehnsucht unserer größten Geister<lb/>
gespürt, die immer wieder strebte, durch die Trümmer des Hellenismus zu dem<lb/>
so schwer zugänglichen Hochgebirge des alten Hellas zu gelangen. Er sieht im<lb/>
Gegenteil den modernen Normalmenschen als Ziel der Antike an und findet<lb/>
daher in der einzigartigen hellenischen Kultur nichts weiter als die Vorstufen<lb/>
unserer Moral und Wissenschaft. So bringt er freilich dem großen Publikum<lb/>
das Griechentum nahe, und wie wohlig geht es dem Philister ein, wenn ^man<lb/>
ihm sagt, daß auch die stolzen Griechen Menschen waren, von allen Trivialitäten<lb/>
des Tages gequält wie wir, nur noch nicht ganz so erleuchtet wie wir. Taub<lb/>
für den großen Gesang der Kunst bemüht sich Wilamowitz einzelne Worte auf-</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0426]
Hellas und lvilmnowitz
man schwerlich heraushören, daß er zu Freudentränen ergriffen ist. Wörtlich
heißt es: „Wie sagst du? Vor Zweifel entging mir dein Wort." Der
Ton auf dem Areopag ist eher einer modernen Schöffengerichtssitzung als
Göttern und Heroen angemessen. Dike klingt schon zu göttlich, darum wird
«M<; «v en x«^-so<u<z»7> 8^ so wiedergegeben: „Daß die Verhandlung zu sichrer
Urteilsfinduug führt." Orestes sagt: „Rechtsbelehrung gib, Apollon." „Doch
ob berechtigt oder nicht der Totschlag war, gib dein Gutachten."
„Der gefallnen Größe gibt die menschliche Gemeinheit gern noch einen
Tritt" sagt Klytaimnestra, als sie den rückkehrenden König in feierlicher Rede
begrüßt. ^u'sxvXXw-; in den Choephoren (V. 542) ist ein ungewöhnlicher, nur
in der Poesie gebräuchlicher Ausdruck. Aber auf solche Wesenswcrte nimmt
Wilamowitz nie Rücksicht; hier sagt er: „Paßt aufs Haar genau." Später:
„Mach' ich ihn zur Leiche." Die Eumeniden sind „Ekelscheusale" und haben von
„Schenkerhänden" „manchen Guß geschlürft". Ihr abscheulicher Gesang klingt so:
Die Antithese von „heiß" und „kalt mache::" ist zwar voll einer lustigen
Roheit, aber mit dem griechischen Text hat sie nichts zu tun. Unerträglich
banal ist auch die Konduite, die der Priester den: König Ödipus ausstellt (V. 33).
Er erachtet ihn: „doch für der Männer ersten unbedingt, gewachsen jeder Lage,
wie das Leben sie mit sich bringt". Wilamowitz gestattet ihm auch nicht die
prunkvolle Anrede des Sophokles: «v«5. ep.vo x^Se^«, um U-pinx-»i; (Fürst, mein
Verschwägerter, Sohn des Menoikeus), sondern läßt ihn bürgerlich behaglich
sagen: „Nun, lieber Schwager Kreon." Dann wird er ganz grob: „Mensch,
du unterstehst dich noch?" „Du hast es ihm gesteckt." Er schnupft nicht umsonst,
Kreon „macht ihm die Rechnung aus".
Schon diese kleine Auswahl beweist, daß es sich nicht um Entgleisungen,
sondern um Methode handelt. Für den, der zur Kunst eine innere Beziehung
hat, sind damit die Übersetzungen erledigt. Aber ich will auch denen, die an
eine Kunst des Inhaltes glauben und in der Form nur ein zufälliges Gewand
sehen, beweisen, daß Wilamowitz selbst inhaltlich kein Verhältnis zu Aischylos und
Sophokles hat. Er hat nichts von der treibenden Sehnsucht unserer größten Geister
gespürt, die immer wieder strebte, durch die Trümmer des Hellenismus zu dem
so schwer zugänglichen Hochgebirge des alten Hellas zu gelangen. Er sieht im
Gegenteil den modernen Normalmenschen als Ziel der Antike an und findet
daher in der einzigartigen hellenischen Kultur nichts weiter als die Vorstufen
unserer Moral und Wissenschaft. So bringt er freilich dem großen Publikum
das Griechentum nahe, und wie wohlig geht es dem Philister ein, wenn ^man
ihm sagt, daß auch die stolzen Griechen Menschen waren, von allen Trivialitäten
des Tages gequält wie wir, nur noch nicht ganz so erleuchtet wie wir. Taub
für den großen Gesang der Kunst bemüht sich Wilamowitz einzelne Worte auf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/426>, abgerufen am 06.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.