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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Richard Dehmel

Schon dieses Gedicht ließ niemanden mehr spöttisch lächeln. Selbst ganz
leise lächelnd, las ich dann wohl gleich das folgende:

Sieg
Rum haben wir den schwersten Kampf gerungen
Im heiligen Krieg um unser Reich der Einheit,
Als heiß wir rangen mit der eignen Kleinheit,
Bis Seele ganz in Seele war gedrungen. Bis endlich von den Herzen uns gesprungen
DaS letzte Band selbstsüchtiger Alleinheit/
Bis meine Rauheit ganz von deiner Reinheit,
Dein blasser Trotz von meiner Kraft bezwungen. Und ob wir nur mit Mühe uns gefunden,
Und ob sich unsre Herzen blutig stießen
Im harten Zwiespalt dieser wilden Stundeiu So inniger dürfen wir des Siegs genießen,
Denn in der Tiefe sahn wir durch die Wunden
Die vollen Pulse unsrer Liebe fließen.

Der Eindruck des ersten Gedichts wächst sich hier zu schlichter Größe aus.
Der durch Irrungen und Kämpfe geschritten, schaut bewegt, doch ruhevoll,
zurück. Ihm öffnet sich die Tiefe wie der Horizont. Er beherrscht die Höhe.

Beide Gedichte geben uns die Gewähr, daß Dehmel sich in eindringender
Selbsterkenntnis über sich selbst erhebt, daß er sich aber auch in die Brust des
anderen hineinzudenken und hineinzufühlen vermag; mehr noch: daß er in dem
verwirrenden Neben-, Gegen- und Durcheinander der Menschen die in der
Tiefe wirkenden Kräfte ahnt. Wieviel unnützer Zwist, wieviel Leid würde
aus der Welt schwinden, wenn jeder sich immerdar von den wehen Einsichten
leiten ließe, die namentlich die nordischen Dichter der Gegenwart, vor allem
der zu früh fortgerissene Geyerstam, gepredigt haben und von denen Dehmel
eine "die alte Mühsal" nennt, "daß sich Menschen lieben und doch im eigenen
Kreis sich weiterdrehen". So lernen wir den Menschen Dehmel kennen. So
lernen wir den Mann verstehen, der uns manchmal vor den Kopf gestoßen.

Mit einem Gefühl des Triumphes über die Wirkung dieser Gedichte las
ich weiter etwa das herrliche

An meine Königin
Bin ich ein König? -- Als ich Knabe war.
Da träumte mir von einem goldnen Throne,
Von einem Boll in Heller Jubelschar,
Von einen? Purpurmantel, einer Krone. Ich wurde Jüngling, und der irdne Glanz
Verblich im Geisterlicht des Ewig-Schönen;
Da träumte mir von einem Strahlenkranz,
Mit dein ein andres Volk mich sollte krönen. Jetzt trauen' ich nicht mehr Kronen, nicht mehr Kränze,
Kein Ziel der Sehnsucht, das der Stolz gebar;
Mich lockt kein Voll, kein Reich mehr, keine Grenze,
Nur meiner Kraft glühn muß ich immerdar.

Richard Dehmel

Schon dieses Gedicht ließ niemanden mehr spöttisch lächeln. Selbst ganz
leise lächelnd, las ich dann wohl gleich das folgende:

Sieg
Rum haben wir den schwersten Kampf gerungen
Im heiligen Krieg um unser Reich der Einheit,
Als heiß wir rangen mit der eignen Kleinheit,
Bis Seele ganz in Seele war gedrungen. Bis endlich von den Herzen uns gesprungen
DaS letzte Band selbstsüchtiger Alleinheit/
Bis meine Rauheit ganz von deiner Reinheit,
Dein blasser Trotz von meiner Kraft bezwungen. Und ob wir nur mit Mühe uns gefunden,
Und ob sich unsre Herzen blutig stießen
Im harten Zwiespalt dieser wilden Stundeiu So inniger dürfen wir des Siegs genießen,
Denn in der Tiefe sahn wir durch die Wunden
Die vollen Pulse unsrer Liebe fließen.

Der Eindruck des ersten Gedichts wächst sich hier zu schlichter Größe aus.
Der durch Irrungen und Kämpfe geschritten, schaut bewegt, doch ruhevoll,
zurück. Ihm öffnet sich die Tiefe wie der Horizont. Er beherrscht die Höhe.

Beide Gedichte geben uns die Gewähr, daß Dehmel sich in eindringender
Selbsterkenntnis über sich selbst erhebt, daß er sich aber auch in die Brust des
anderen hineinzudenken und hineinzufühlen vermag; mehr noch: daß er in dem
verwirrenden Neben-, Gegen- und Durcheinander der Menschen die in der
Tiefe wirkenden Kräfte ahnt. Wieviel unnützer Zwist, wieviel Leid würde
aus der Welt schwinden, wenn jeder sich immerdar von den wehen Einsichten
leiten ließe, die namentlich die nordischen Dichter der Gegenwart, vor allem
der zu früh fortgerissene Geyerstam, gepredigt haben und von denen Dehmel
eine „die alte Mühsal" nennt, „daß sich Menschen lieben und doch im eigenen
Kreis sich weiterdrehen". So lernen wir den Menschen Dehmel kennen. So
lernen wir den Mann verstehen, der uns manchmal vor den Kopf gestoßen.

Mit einem Gefühl des Triumphes über die Wirkung dieser Gedichte las
ich weiter etwa das herrliche

An meine Königin
Bin ich ein König? — Als ich Knabe war.
Da träumte mir von einem goldnen Throne,
Von einem Boll in Heller Jubelschar,
Von einen? Purpurmantel, einer Krone. Ich wurde Jüngling, und der irdne Glanz
Verblich im Geisterlicht des Ewig-Schönen;
Da träumte mir von einem Strahlenkranz,
Mit dein ein andres Volk mich sollte krönen. Jetzt trauen' ich nicht mehr Kronen, nicht mehr Kränze,
Kein Ziel der Sehnsucht, das der Stolz gebar;
Mich lockt kein Voll, kein Reich mehr, keine Grenze,
Nur meiner Kraft glühn muß ich immerdar.

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[0404] Richard Dehmel Schon dieses Gedicht ließ niemanden mehr spöttisch lächeln. Selbst ganz leise lächelnd, las ich dann wohl gleich das folgende: Sieg Rum haben wir den schwersten Kampf gerungen Im heiligen Krieg um unser Reich der Einheit, Als heiß wir rangen mit der eignen Kleinheit, Bis Seele ganz in Seele war gedrungen. Bis endlich von den Herzen uns gesprungen DaS letzte Band selbstsüchtiger Alleinheit/ Bis meine Rauheit ganz von deiner Reinheit, Dein blasser Trotz von meiner Kraft bezwungen. Und ob wir nur mit Mühe uns gefunden, Und ob sich unsre Herzen blutig stießen Im harten Zwiespalt dieser wilden Stundeiu So inniger dürfen wir des Siegs genießen, Denn in der Tiefe sahn wir durch die Wunden Die vollen Pulse unsrer Liebe fließen. Der Eindruck des ersten Gedichts wächst sich hier zu schlichter Größe aus. Der durch Irrungen und Kämpfe geschritten, schaut bewegt, doch ruhevoll, zurück. Ihm öffnet sich die Tiefe wie der Horizont. Er beherrscht die Höhe. Beide Gedichte geben uns die Gewähr, daß Dehmel sich in eindringender Selbsterkenntnis über sich selbst erhebt, daß er sich aber auch in die Brust des anderen hineinzudenken und hineinzufühlen vermag; mehr noch: daß er in dem verwirrenden Neben-, Gegen- und Durcheinander der Menschen die in der Tiefe wirkenden Kräfte ahnt. Wieviel unnützer Zwist, wieviel Leid würde aus der Welt schwinden, wenn jeder sich immerdar von den wehen Einsichten leiten ließe, die namentlich die nordischen Dichter der Gegenwart, vor allem der zu früh fortgerissene Geyerstam, gepredigt haben und von denen Dehmel eine „die alte Mühsal" nennt, „daß sich Menschen lieben und doch im eigenen Kreis sich weiterdrehen". So lernen wir den Menschen Dehmel kennen. So lernen wir den Mann verstehen, der uns manchmal vor den Kopf gestoßen. Mit einem Gefühl des Triumphes über die Wirkung dieser Gedichte las ich weiter etwa das herrliche An meine Königin Bin ich ein König? — Als ich Knabe war. Da träumte mir von einem goldnen Throne, Von einem Boll in Heller Jubelschar, Von einen? Purpurmantel, einer Krone. Ich wurde Jüngling, und der irdne Glanz Verblich im Geisterlicht des Ewig-Schönen; Da träumte mir von einem Strahlenkranz, Mit dein ein andres Volk mich sollte krönen. Jetzt trauen' ich nicht mehr Kronen, nicht mehr Kränze, Kein Ziel der Sehnsucht, das der Stolz gebar; Mich lockt kein Voll, kein Reich mehr, keine Grenze, Nur meiner Kraft glühn muß ich immerdar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/404>, abgerufen am 24.07.2024.