Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Mehr Achtung vor Frankreich I wir es letzten Endes zu tun haben, trotz allein, trotzdem sie resigniert sind und über¬ Noch ein anderes. Das heutige materielle und technische Deutschland hat Wir sollen sie mit unserer Freundschaft möglichst schonen, in Ruhe lassen, Mehr Achtung vor Frankreich I wir es letzten Endes zu tun haben, trotz allein, trotzdem sie resigniert sind und über¬ Noch ein anderes. Das heutige materielle und technische Deutschland hat Wir sollen sie mit unserer Freundschaft möglichst schonen, in Ruhe lassen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315397"/> <fw type="header" place="top"> Mehr Achtung vor Frankreich I</fw><lb/> <p xml:id="ID_1760" prev="#ID_1759"> wir es letzten Endes zu tun haben, trotz allein, trotzdem sie resigniert sind und über¬<lb/> haupt von der Politik nicht viel hören mögen. Oder es sind die aktiven<lb/> Nationalisten. Jene und diese — wir sollten die gutgemeinten Finger von<lb/> ihren Wunden lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1761"> Noch ein anderes. Das heutige materielle und technische Deutschland hat<lb/> mit etlicher Verspätung den Sinn der Weltentfaltung auf englische Manier<lb/> gefunden, der gewinnbringenden Verbreitung des Fortschritts. Nur nicht mit<lb/> englischer Ruhe. Wir verkünden voreilig, wir möchten Luftschiffstationeu in<lb/> Skagen an Jütlands Spitze anlegen, allerhand anderes auf Madeira, das<lb/> Kapital sucht auf einmal eine nervöse Weltbeteiligung, offen und anonym.<lb/> Frankreich aber wünscht sich Invasionen dieser Art am letzten, es möchte über¬<lb/> haupt keine kqnsequenzenvollen Ausdrängnngen des Nurdeutschen, der nirgends<lb/> recht beliebt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1762"> Wir sollen sie mit unserer Freundschaft möglichst schonen, in Ruhe lassen,<lb/> sollen gelassen und stark unseren Weg gehen. Dann haben wir dort echtere<lb/> Achtung, wird man uns eher einmal suchen; dann kann die Lage, wie sie ist,<lb/> am ungestörtesten zur Auswirkung kommen und noch herbeiführen, was wir<lb/> redlich wünschen. Schöne rettende Hilfen, wie damals bei dem nordfranzösischen<lb/> Grubenunglück, siud eine Sache für sich, sie vermeiden den politischen Bitter¬<lb/> geschmack — falls man nicht hinterher noch plump wird. Sonst genügen<lb/> gelegentliche sinnbildliche Handlungen, wie die Spende des Kaisers jüngst,<lb/> vollauf. Sie sind insofern gut, als sie Gesinnung, Beruhigung ausdrücken.<lb/> Denn man kann nicht Großherziges tun, wenn man Böses im Schilde führt.<lb/> Alles übrige aber ist vom Übel, weil es in entbehrliche Realitäten hinunter¬<lb/> steigt, weil es peinlich empfunden wird und das nationale Selbstgenügen von<lb/> ungewünschter Berührung zusammenzuckt. Es muß doch auch in Deutschland<lb/> diejenigen geben, die dies nachverstehen. Um so mehr, wenn jedes Echo von<lb/> drüben nun seit Jahren bald höflich, mühsam, rücksichtsvoll, bald ungeduldig<lb/> das gleiche uns erwidert.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Mehr Achtung vor Frankreich I
wir es letzten Endes zu tun haben, trotz allein, trotzdem sie resigniert sind und über¬
haupt von der Politik nicht viel hören mögen. Oder es sind die aktiven
Nationalisten. Jene und diese — wir sollten die gutgemeinten Finger von
ihren Wunden lassen.
Noch ein anderes. Das heutige materielle und technische Deutschland hat
mit etlicher Verspätung den Sinn der Weltentfaltung auf englische Manier
gefunden, der gewinnbringenden Verbreitung des Fortschritts. Nur nicht mit
englischer Ruhe. Wir verkünden voreilig, wir möchten Luftschiffstationeu in
Skagen an Jütlands Spitze anlegen, allerhand anderes auf Madeira, das
Kapital sucht auf einmal eine nervöse Weltbeteiligung, offen und anonym.
Frankreich aber wünscht sich Invasionen dieser Art am letzten, es möchte über¬
haupt keine kqnsequenzenvollen Ausdrängnngen des Nurdeutschen, der nirgends
recht beliebt ist.
Wir sollen sie mit unserer Freundschaft möglichst schonen, in Ruhe lassen,
sollen gelassen und stark unseren Weg gehen. Dann haben wir dort echtere
Achtung, wird man uns eher einmal suchen; dann kann die Lage, wie sie ist,
am ungestörtesten zur Auswirkung kommen und noch herbeiführen, was wir
redlich wünschen. Schöne rettende Hilfen, wie damals bei dem nordfranzösischen
Grubenunglück, siud eine Sache für sich, sie vermeiden den politischen Bitter¬
geschmack — falls man nicht hinterher noch plump wird. Sonst genügen
gelegentliche sinnbildliche Handlungen, wie die Spende des Kaisers jüngst,
vollauf. Sie sind insofern gut, als sie Gesinnung, Beruhigung ausdrücken.
Denn man kann nicht Großherziges tun, wenn man Böses im Schilde führt.
Alles übrige aber ist vom Übel, weil es in entbehrliche Realitäten hinunter¬
steigt, weil es peinlich empfunden wird und das nationale Selbstgenügen von
ungewünschter Berührung zusammenzuckt. Es muß doch auch in Deutschland
diejenigen geben, die dies nachverstehen. Um so mehr, wenn jedes Echo von
drüben nun seit Jahren bald höflich, mühsam, rücksichtsvoll, bald ungeduldig
das gleiche uns erwidert.
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