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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

Und als sie an dein Pfarrer vorüberkam, forderte sie ihn lustig auf, mit Hand
anzulegen.

In der Haustür stand Madame Steenbuk und sah zu. Und als er schnell
an ihr vorüberkam, sagte sie mit unverhohlener Bewunderung:

"Ja, diese Thorborg I Wenn die erst dahinterkommt, so geht alles hier auf
dem Hofe!"

Er hatte sich nicht wenig darüber geärgert, daß sie ihn -- in Gegenwart aller
Leute -- auf eine so unpassende Weise angerufen hatte, ohne jeglichen Respekt vor
seiner Amtskleidung. Aber er wurde diesmal, wie immer bei ähnlichen Gelegen¬
heiten, dadurch entwaffnet, daß sie offenbar keine Ahnung hatte, etwas Ungehöriges
getan zu haben. . .!

Es hatte vom ersten Abend an seine Aufmerksamkeit erregt, daß sie so
unVorbehalten Wert auf Schiffer Jens Rasinussens Courmacherei zu legen schien.
Freilich war er ein flotter und schöner Bursche, -- aber er war doch eine nach jeder
Richtung hin viel zu ungebildete und obendrein eine viel zu flegelhafte Persön¬
lichkeit, um eine so offenbare Anziehung auf eine Dame mit Jungfer Thorborgs
Voraussetzungen auszuüben!

Und gerade hier quälte ihn eine Erinnerung, über die er in dem späteren
Verkehr mit ihr -- selbst lange nach der Abreise des jungen Schiffers -- gar nicht
wieder hinwegkommen konnte.

Bei Tische vor einem Abschiedsfest für die Lofotenfahrer hatte ihn Jungfer
Thorborg aufgefordert, mit in die Gesindestube zu kommen und sich die Lustbarkeit
mit anzuschauen. Herr Willatz lachte und meinte, es könne ganz artig sein, das zu sehen.

Aber die Madame hatte ihrem Mann und Thorborg sehr bestimmt wider¬
sprochen und -- unter deutlicher, wenn auch stillschweigender energischer Zustimmung
der beiden alten Damen -- erklärt, dort habe der Pfarrer wirklich nichts zu
suchen! Am Nachmittage, als er über den Hofplatz ging, kam auf einmal Jungfer
Thorborg aus der Gesindestube auf ihn zugestürzt, packte ihn beim Arm und führte
ihn fast mit Gewalt hinauf. Sie war ausgelassen lustig, heiß vom Tanz und
Freude -- und ihm blieb keine andere Wahl, als sich ihr zu fügen und mit ihr
zu gehen.

Die Gesindestube bot einen ganz entsetzlichen Anblick. In einem undurch¬
dringlich heißen Qualm, in einem erstickenden Gestank von Transtiefeln, Flausch¬
röcken, Menschenausdünstung und Talglichtern tummelten sich die Tanzenden mit
dröhnenden Schritten zu der kaum hörbaren Musik herum. Die Burschen waren
angetrunken, die rohesten Bemerkungen wurden ungeniert laut durch den Raum
geschrien, begleitet von schallenden Lachsalven-, die Mägde kreischten und lachten
unter allerlei offenbar unanständigen Benehmen der Tänzer.

Sören Römer wollte sich sofort zurückziehen, -- um so mehr, als Thorborg
sofort bei ihrem Erscheinen von ihrem Kavalier, dem Schiffer, ergriffen und in die
dichte Masse des Tanzes hineingeführt wurde. Aber er wurde von ein paar
älteren Männern zurückgehalten, die ihm die Hand schüttelten und ihm dann ihre
Hände auf die Schultern legten, ja, ihn halb umarmten, indem sie ihrer über¬
strömenden Freude Ausdruck verliehen, den neuen Pfarrer so an dem Vergnügen
des kleinen Mannes teilnehmen zu sehen. Einer von ihnen bahnte sich mit dem
Ellbogen einen Weg bis zu ihm mit einer halbgefüllten Bierbowle, und er hatte
alle Mühe, sie sich von: Leibe zu halten.

Er wurde jedoch gegen die Wand gedrängt und mußte stehen bleiben. Und
er sah nicht nur Jungfer Thorborg tanzen -- mit funkelnden Augen und glühendem
Gesicht --, sondern sie rief ihm auch während des Tanzes zu:


Im Kampf gegen die Übermacht

Und als sie an dein Pfarrer vorüberkam, forderte sie ihn lustig auf, mit Hand
anzulegen.

In der Haustür stand Madame Steenbuk und sah zu. Und als er schnell
an ihr vorüberkam, sagte sie mit unverhohlener Bewunderung:

„Ja, diese Thorborg I Wenn die erst dahinterkommt, so geht alles hier auf
dem Hofe!"

Er hatte sich nicht wenig darüber geärgert, daß sie ihn — in Gegenwart aller
Leute — auf eine so unpassende Weise angerufen hatte, ohne jeglichen Respekt vor
seiner Amtskleidung. Aber er wurde diesmal, wie immer bei ähnlichen Gelegen¬
heiten, dadurch entwaffnet, daß sie offenbar keine Ahnung hatte, etwas Ungehöriges
getan zu haben. . .!

Es hatte vom ersten Abend an seine Aufmerksamkeit erregt, daß sie so
unVorbehalten Wert auf Schiffer Jens Rasinussens Courmacherei zu legen schien.
Freilich war er ein flotter und schöner Bursche, — aber er war doch eine nach jeder
Richtung hin viel zu ungebildete und obendrein eine viel zu flegelhafte Persön¬
lichkeit, um eine so offenbare Anziehung auf eine Dame mit Jungfer Thorborgs
Voraussetzungen auszuüben!

Und gerade hier quälte ihn eine Erinnerung, über die er in dem späteren
Verkehr mit ihr — selbst lange nach der Abreise des jungen Schiffers — gar nicht
wieder hinwegkommen konnte.

Bei Tische vor einem Abschiedsfest für die Lofotenfahrer hatte ihn Jungfer
Thorborg aufgefordert, mit in die Gesindestube zu kommen und sich die Lustbarkeit
mit anzuschauen. Herr Willatz lachte und meinte, es könne ganz artig sein, das zu sehen.

Aber die Madame hatte ihrem Mann und Thorborg sehr bestimmt wider¬
sprochen und — unter deutlicher, wenn auch stillschweigender energischer Zustimmung
der beiden alten Damen — erklärt, dort habe der Pfarrer wirklich nichts zu
suchen! Am Nachmittage, als er über den Hofplatz ging, kam auf einmal Jungfer
Thorborg aus der Gesindestube auf ihn zugestürzt, packte ihn beim Arm und führte
ihn fast mit Gewalt hinauf. Sie war ausgelassen lustig, heiß vom Tanz und
Freude — und ihm blieb keine andere Wahl, als sich ihr zu fügen und mit ihr
zu gehen.

Die Gesindestube bot einen ganz entsetzlichen Anblick. In einem undurch¬
dringlich heißen Qualm, in einem erstickenden Gestank von Transtiefeln, Flausch¬
röcken, Menschenausdünstung und Talglichtern tummelten sich die Tanzenden mit
dröhnenden Schritten zu der kaum hörbaren Musik herum. Die Burschen waren
angetrunken, die rohesten Bemerkungen wurden ungeniert laut durch den Raum
geschrien, begleitet von schallenden Lachsalven-, die Mägde kreischten und lachten
unter allerlei offenbar unanständigen Benehmen der Tänzer.

Sören Römer wollte sich sofort zurückziehen, — um so mehr, als Thorborg
sofort bei ihrem Erscheinen von ihrem Kavalier, dem Schiffer, ergriffen und in die
dichte Masse des Tanzes hineingeführt wurde. Aber er wurde von ein paar
älteren Männern zurückgehalten, die ihm die Hand schüttelten und ihm dann ihre
Hände auf die Schultern legten, ja, ihn halb umarmten, indem sie ihrer über¬
strömenden Freude Ausdruck verliehen, den neuen Pfarrer so an dem Vergnügen
des kleinen Mannes teilnehmen zu sehen. Einer von ihnen bahnte sich mit dem
Ellbogen einen Weg bis zu ihm mit einer halbgefüllten Bierbowle, und er hatte
alle Mühe, sie sich von: Leibe zu halten.

Er wurde jedoch gegen die Wand gedrängt und mußte stehen bleiben. Und
er sah nicht nur Jungfer Thorborg tanzen — mit funkelnden Augen und glühendem
Gesicht —, sondern sie rief ihm auch während des Tanzes zu:


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[0384] Im Kampf gegen die Übermacht Und als sie an dein Pfarrer vorüberkam, forderte sie ihn lustig auf, mit Hand anzulegen. In der Haustür stand Madame Steenbuk und sah zu. Und als er schnell an ihr vorüberkam, sagte sie mit unverhohlener Bewunderung: „Ja, diese Thorborg I Wenn die erst dahinterkommt, so geht alles hier auf dem Hofe!" Er hatte sich nicht wenig darüber geärgert, daß sie ihn — in Gegenwart aller Leute — auf eine so unpassende Weise angerufen hatte, ohne jeglichen Respekt vor seiner Amtskleidung. Aber er wurde diesmal, wie immer bei ähnlichen Gelegen¬ heiten, dadurch entwaffnet, daß sie offenbar keine Ahnung hatte, etwas Ungehöriges getan zu haben. . .! Es hatte vom ersten Abend an seine Aufmerksamkeit erregt, daß sie so unVorbehalten Wert auf Schiffer Jens Rasinussens Courmacherei zu legen schien. Freilich war er ein flotter und schöner Bursche, — aber er war doch eine nach jeder Richtung hin viel zu ungebildete und obendrein eine viel zu flegelhafte Persön¬ lichkeit, um eine so offenbare Anziehung auf eine Dame mit Jungfer Thorborgs Voraussetzungen auszuüben! Und gerade hier quälte ihn eine Erinnerung, über die er in dem späteren Verkehr mit ihr — selbst lange nach der Abreise des jungen Schiffers — gar nicht wieder hinwegkommen konnte. Bei Tische vor einem Abschiedsfest für die Lofotenfahrer hatte ihn Jungfer Thorborg aufgefordert, mit in die Gesindestube zu kommen und sich die Lustbarkeit mit anzuschauen. Herr Willatz lachte und meinte, es könne ganz artig sein, das zu sehen. Aber die Madame hatte ihrem Mann und Thorborg sehr bestimmt wider¬ sprochen und — unter deutlicher, wenn auch stillschweigender energischer Zustimmung der beiden alten Damen — erklärt, dort habe der Pfarrer wirklich nichts zu suchen! Am Nachmittage, als er über den Hofplatz ging, kam auf einmal Jungfer Thorborg aus der Gesindestube auf ihn zugestürzt, packte ihn beim Arm und führte ihn fast mit Gewalt hinauf. Sie war ausgelassen lustig, heiß vom Tanz und Freude — und ihm blieb keine andere Wahl, als sich ihr zu fügen und mit ihr zu gehen. Die Gesindestube bot einen ganz entsetzlichen Anblick. In einem undurch¬ dringlich heißen Qualm, in einem erstickenden Gestank von Transtiefeln, Flausch¬ röcken, Menschenausdünstung und Talglichtern tummelten sich die Tanzenden mit dröhnenden Schritten zu der kaum hörbaren Musik herum. Die Burschen waren angetrunken, die rohesten Bemerkungen wurden ungeniert laut durch den Raum geschrien, begleitet von schallenden Lachsalven-, die Mägde kreischten und lachten unter allerlei offenbar unanständigen Benehmen der Tänzer. Sören Römer wollte sich sofort zurückziehen, — um so mehr, als Thorborg sofort bei ihrem Erscheinen von ihrem Kavalier, dem Schiffer, ergriffen und in die dichte Masse des Tanzes hineingeführt wurde. Aber er wurde von ein paar älteren Männern zurückgehalten, die ihm die Hand schüttelten und ihm dann ihre Hände auf die Schultern legten, ja, ihn halb umarmten, indem sie ihrer über¬ strömenden Freude Ausdruck verliehen, den neuen Pfarrer so an dem Vergnügen des kleinen Mannes teilnehmen zu sehen. Einer von ihnen bahnte sich mit dem Ellbogen einen Weg bis zu ihm mit einer halbgefüllten Bierbowle, und er hatte alle Mühe, sie sich von: Leibe zu halten. Er wurde jedoch gegen die Wand gedrängt und mußte stehen bleiben. Und er sah nicht nur Jungfer Thorborg tanzen — mit funkelnden Augen und glühendem Gesicht —, sondern sie rief ihm auch während des Tanzes zu:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/384>, abgerufen am 22.12.2024.