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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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preußcnbuch
Doch mehr noch hegt ein tiefer Sinn
Und vieles wird noch neu,
Auf das; ein schöner Glück uns blüh'
Und jeder dem Gedanken glüh',
Das; er ein Preusze sei.
Zu siegen so wie Friederich
Ist freilich auch kein Spott;
Des Volkes Bürden abzutun
Läßt sanfter doch den Fürsten ruhn
Und macht ihn gros; vor Gott.
Den guten König las; uns, Herr,
Und ihn, den wnckern Freund,
Der angetan mit Geist und Kraft
Da, wo er wirkt und wo er schafft,
Dus Wohl des Volkes meint!

Die Abteilung "Freiheitskriege" hätte bei einem Vergleich mit der gleich¬
namigen Abteilung der Liedersammlung, die Hans Benzmann 1908 unter dem
Titel: "Deutschlands Lyrik. Das Zeitalter der Romantik" herausgegeben hat,
sicherlich noch manchen Zuwachs erhalten. In der Abteilung "Kaisersehnen"
vermißt man ungern das herrliche Gedicht Hebbels: "An Se. Majestät König
Wilhelm I. 18l>1" (nach dem Beckerschen Attentat gedichtet), das in klassischer
Form die ganze damalige Lage Deutschlands widerspiegelt, und durch das Hebbel
würdiger vertreten sein würde als durch das "Reiseabenteuer", das weder für
ihn noch für die Sammlung von Bedeutung ist. Wäre es für die Jugend zu
ernst, zu tief? Oder nicht "preußisch" genug?

Am dürftigsten ist die letzte Abteilung "Im Reich" weggekommen. Sie
bezieht sich fast nur ans 1870 und 1871 und aus die Kämpfe in Afrika. Unter
den Gedichten Wildenbruchs fehlt hier das schönste: "Des toten Kaisers Roß".
Und sollte nicht der Kulturkampf, die Sozialpolitik, die Erhöhung der deutscheu
Seemacht irgendeinen geeigneten poetischen niederschlug hinterlassen haben? Die
Flottenpoesie ist doch schon ziemlich umfänglich und böte gewiß etwas Brauch¬
bares; sie sollte nicht ganz fehlen.

Der "Grad des künstlerischen Wertes", der für die Aufnahme in die
Sammlung entscheidend gewesen sein soll, ist gerade bei den Kriegs- und Schlacht¬
gedichten manchmal recht niedrig. Am meisten spricht da noch die naive
Unbeholfenheit der "Volkslieder" an. Dem Ungeschick der gebildeten modernen
Kuustdichter dagegen läßt sich oft wenig Geschmack abgewinnen, mögen sie nun
Wilibald Alexis oder Scherenberg, Hesekiel oder Blomverg, Köppen oder
Liliencron, Dahn oder Fontane heißen. Und vollends die neuesten: Wilhelm
Kotzde und Max Geißler, die -- wohl dem Kollegenkreise des Herausgebers
angehörig die planmäßige Vervollständigung der preußischen Kricgsdichtung
von dem Treffen am Kremmer Damm an -- oder, wie Kotzde verbessert, am
"Kremmener" Damm -- bis zu den Gefechten mit den Schwarzen in Afrika
zu ihrer Lebensaufgabe gemacht zu haben scheinen! Gereimte Kriegschrouik


preußcnbuch
Doch mehr noch hegt ein tiefer Sinn
Und vieles wird noch neu,
Auf das; ein schöner Glück uns blüh'
Und jeder dem Gedanken glüh',
Das; er ein Preusze sei.
Zu siegen so wie Friederich
Ist freilich auch kein Spott;
Des Volkes Bürden abzutun
Läßt sanfter doch den Fürsten ruhn
Und macht ihn gros; vor Gott.
Den guten König las; uns, Herr,
Und ihn, den wnckern Freund,
Der angetan mit Geist und Kraft
Da, wo er wirkt und wo er schafft,
Dus Wohl des Volkes meint!

Die Abteilung „Freiheitskriege" hätte bei einem Vergleich mit der gleich¬
namigen Abteilung der Liedersammlung, die Hans Benzmann 1908 unter dem
Titel: „Deutschlands Lyrik. Das Zeitalter der Romantik" herausgegeben hat,
sicherlich noch manchen Zuwachs erhalten. In der Abteilung „Kaisersehnen"
vermißt man ungern das herrliche Gedicht Hebbels: „An Se. Majestät König
Wilhelm I. 18l>1" (nach dem Beckerschen Attentat gedichtet), das in klassischer
Form die ganze damalige Lage Deutschlands widerspiegelt, und durch das Hebbel
würdiger vertreten sein würde als durch das „Reiseabenteuer", das weder für
ihn noch für die Sammlung von Bedeutung ist. Wäre es für die Jugend zu
ernst, zu tief? Oder nicht „preußisch" genug?

Am dürftigsten ist die letzte Abteilung „Im Reich" weggekommen. Sie
bezieht sich fast nur ans 1870 und 1871 und aus die Kämpfe in Afrika. Unter
den Gedichten Wildenbruchs fehlt hier das schönste: „Des toten Kaisers Roß".
Und sollte nicht der Kulturkampf, die Sozialpolitik, die Erhöhung der deutscheu
Seemacht irgendeinen geeigneten poetischen niederschlug hinterlassen haben? Die
Flottenpoesie ist doch schon ziemlich umfänglich und böte gewiß etwas Brauch¬
bares; sie sollte nicht ganz fehlen.

Der „Grad des künstlerischen Wertes", der für die Aufnahme in die
Sammlung entscheidend gewesen sein soll, ist gerade bei den Kriegs- und Schlacht¬
gedichten manchmal recht niedrig. Am meisten spricht da noch die naive
Unbeholfenheit der „Volkslieder" an. Dem Ungeschick der gebildeten modernen
Kuustdichter dagegen läßt sich oft wenig Geschmack abgewinnen, mögen sie nun
Wilibald Alexis oder Scherenberg, Hesekiel oder Blomverg, Köppen oder
Liliencron, Dahn oder Fontane heißen. Und vollends die neuesten: Wilhelm
Kotzde und Max Geißler, die — wohl dem Kollegenkreise des Herausgebers
angehörig die planmäßige Vervollständigung der preußischen Kricgsdichtung
von dem Treffen am Kremmer Damm an — oder, wie Kotzde verbessert, am
„Kremmener" Damm — bis zu den Gefechten mit den Schwarzen in Afrika
zu ihrer Lebensaufgabe gemacht zu haben scheinen! Gereimte Kriegschrouik


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[0367] preußcnbuch Doch mehr noch hegt ein tiefer Sinn Und vieles wird noch neu, Auf das; ein schöner Glück uns blüh' Und jeder dem Gedanken glüh', Das; er ein Preusze sei. Zu siegen so wie Friederich Ist freilich auch kein Spott; Des Volkes Bürden abzutun Läßt sanfter doch den Fürsten ruhn Und macht ihn gros; vor Gott. Den guten König las; uns, Herr, Und ihn, den wnckern Freund, Der angetan mit Geist und Kraft Da, wo er wirkt und wo er schafft, Dus Wohl des Volkes meint! Die Abteilung „Freiheitskriege" hätte bei einem Vergleich mit der gleich¬ namigen Abteilung der Liedersammlung, die Hans Benzmann 1908 unter dem Titel: „Deutschlands Lyrik. Das Zeitalter der Romantik" herausgegeben hat, sicherlich noch manchen Zuwachs erhalten. In der Abteilung „Kaisersehnen" vermißt man ungern das herrliche Gedicht Hebbels: „An Se. Majestät König Wilhelm I. 18l>1" (nach dem Beckerschen Attentat gedichtet), das in klassischer Form die ganze damalige Lage Deutschlands widerspiegelt, und durch das Hebbel würdiger vertreten sein würde als durch das „Reiseabenteuer", das weder für ihn noch für die Sammlung von Bedeutung ist. Wäre es für die Jugend zu ernst, zu tief? Oder nicht „preußisch" genug? Am dürftigsten ist die letzte Abteilung „Im Reich" weggekommen. Sie bezieht sich fast nur ans 1870 und 1871 und aus die Kämpfe in Afrika. Unter den Gedichten Wildenbruchs fehlt hier das schönste: „Des toten Kaisers Roß". Und sollte nicht der Kulturkampf, die Sozialpolitik, die Erhöhung der deutscheu Seemacht irgendeinen geeigneten poetischen niederschlug hinterlassen haben? Die Flottenpoesie ist doch schon ziemlich umfänglich und böte gewiß etwas Brauch¬ bares; sie sollte nicht ganz fehlen. Der „Grad des künstlerischen Wertes", der für die Aufnahme in die Sammlung entscheidend gewesen sein soll, ist gerade bei den Kriegs- und Schlacht¬ gedichten manchmal recht niedrig. Am meisten spricht da noch die naive Unbeholfenheit der „Volkslieder" an. Dem Ungeschick der gebildeten modernen Kuustdichter dagegen läßt sich oft wenig Geschmack abgewinnen, mögen sie nun Wilibald Alexis oder Scherenberg, Hesekiel oder Blomverg, Köppen oder Liliencron, Dahn oder Fontane heißen. Und vollends die neuesten: Wilhelm Kotzde und Max Geißler, die — wohl dem Kollegenkreise des Herausgebers angehörig die planmäßige Vervollständigung der preußischen Kricgsdichtung von dem Treffen am Kremmer Damm an — oder, wie Kotzde verbessert, am „Kremmener" Damm — bis zu den Gefechten mit den Schwarzen in Afrika zu ihrer Lebensaufgabe gemacht zu haben scheinen! Gereimte Kriegschrouik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/367>, abgerufen am 22.12.2024.