Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung

wird der Betrug im Rückfalle ebenso wie die schwersten Erfolge der Körper¬
verletzung mit Zuchthaus bestraft. Gegen die wissentlich falsche Anschuldigung
aber kann sich niemand schützen. Der Verleumder schleicht im ^Dunkeln. Sein
Wort trifft, wie die Zunge der giftigen Natter -- und dennoch steht auf dieses
Delikt nur die Gefängnisstrafe. Die Rechtsgüter, die gegen Diebstahl, Betrug
oder Körperverletzung geschlitzt werden, sind das erhebliche Vermögen und die
Gesundheit, die nach einer Körperverletzung in den meisten Fällen wieder her¬
zustellen ist. Wer aber stellt dem vielleicht bis dahin unbescholtenen jungen
Mann die Ehre wieder her, wenn er auf die wissentlich falsche Bezichtigung
der Schutzleute hiu wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung
und Beamtenbeleidigung bestraft wird? Wer wäscht von den: vermeintlichen Not¬
züchter den Makel ab, den dieses Delikt und die darauffolgende Zuchthaus¬
strafe auf ihn wirft? Wer ersetzt dem Referendar den materiellen und moralischen
Schaden, wenn er wegen des vermeintlichen Sittlichkeitsvergehens den Justizdienst
quittieren muß? Der § 164 Se. G. B. ist so formuliert:


"Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche er jemand
wider besseres Wissen der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Ver¬
letzung einer Amtspflicht beschuldigt, wird mit Gefängnis nicht nnter einem
Monat bestraft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden."

Man setze an Stelle dieser Formulierung einmal die der ZZ 81 bis 83
und 106 Se. G.B.: "Wer es unternimmt--", denn auch die wissentlich falsche
Anschuldigung ist ein Unternehmungs-Delikt", und man wird die Unzulänglichkeit
des bisherigen Strafrahmens ohne weiteres erkennen. "Wer es unternimmt,
einen anderen durch eine Anzeige wider besseren Wissens einer Bestrafung mit
Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auszuliefern, der wird
mit Gefängnis nicht nnter einem Monat bestraft." Wenn irgendwo in unserem
modernen Rechtsempfinden noch das alte Talionsprinzip an: Platze ist, so ist es
hiert Wir können zwar nicht mehr sagen: 8i c>3 frsMrit, 8i membrum rupent,
talio esto, aber wir können sagen, wer den anderen einer Zuchthausstrafe aus¬
liefern wollte, der sollte seine wissentlich falsche Anschuldigung auch mit einer
Zuchthausstrafe büßen.

Deshalb erachte ich es für wünschenswert, daß, solange das gegenwärtige
Strafgesetzbuch noch gilt, die Gerichte die wissentlich falschen Anschuldigungen
möglichst mit mehrjähriger Gefängnisstrafe ahnden, und daß das neue Straf¬
gesetzbuch deu Strafrahmen dieses Deliktes so erweitert, daß der der Anschuldigung
Überführte mit derselben Strafart bestraft werden kann, die nach Lage des
Falles gegen den Verleumdeten erkannt worden wäre, wenn er die ihm an¬
gedichtete Tat wirklich begangen hätte"). (Wobei ich das Talionsprinzip natürlich
nicht bis zur Todesstrafe durchführen will.)



*) Diesen Gedanken haben bereits einige schweizerische Strafgesetzbücher verwirklicht.
Das Strafgesetzbuch bon Japan straft den Unschuldiger wie den meineidiger Zeugen.
Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung

wird der Betrug im Rückfalle ebenso wie die schwersten Erfolge der Körper¬
verletzung mit Zuchthaus bestraft. Gegen die wissentlich falsche Anschuldigung
aber kann sich niemand schützen. Der Verleumder schleicht im ^Dunkeln. Sein
Wort trifft, wie die Zunge der giftigen Natter — und dennoch steht auf dieses
Delikt nur die Gefängnisstrafe. Die Rechtsgüter, die gegen Diebstahl, Betrug
oder Körperverletzung geschlitzt werden, sind das erhebliche Vermögen und die
Gesundheit, die nach einer Körperverletzung in den meisten Fällen wieder her¬
zustellen ist. Wer aber stellt dem vielleicht bis dahin unbescholtenen jungen
Mann die Ehre wieder her, wenn er auf die wissentlich falsche Bezichtigung
der Schutzleute hiu wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung
und Beamtenbeleidigung bestraft wird? Wer wäscht von den: vermeintlichen Not¬
züchter den Makel ab, den dieses Delikt und die darauffolgende Zuchthaus¬
strafe auf ihn wirft? Wer ersetzt dem Referendar den materiellen und moralischen
Schaden, wenn er wegen des vermeintlichen Sittlichkeitsvergehens den Justizdienst
quittieren muß? Der § 164 Se. G. B. ist so formuliert:


„Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche er jemand
wider besseres Wissen der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Ver¬
letzung einer Amtspflicht beschuldigt, wird mit Gefängnis nicht nnter einem
Monat bestraft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden."

Man setze an Stelle dieser Formulierung einmal die der ZZ 81 bis 83
und 106 Se. G.B.: „Wer es unternimmt—", denn auch die wissentlich falsche
Anschuldigung ist ein Unternehmungs-Delikt", und man wird die Unzulänglichkeit
des bisherigen Strafrahmens ohne weiteres erkennen. „Wer es unternimmt,
einen anderen durch eine Anzeige wider besseren Wissens einer Bestrafung mit
Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auszuliefern, der wird
mit Gefängnis nicht nnter einem Monat bestraft." Wenn irgendwo in unserem
modernen Rechtsempfinden noch das alte Talionsprinzip an: Platze ist, so ist es
hiert Wir können zwar nicht mehr sagen: 8i c>3 frsMrit, 8i membrum rupent,
talio esto, aber wir können sagen, wer den anderen einer Zuchthausstrafe aus¬
liefern wollte, der sollte seine wissentlich falsche Anschuldigung auch mit einer
Zuchthausstrafe büßen.

Deshalb erachte ich es für wünschenswert, daß, solange das gegenwärtige
Strafgesetzbuch noch gilt, die Gerichte die wissentlich falschen Anschuldigungen
möglichst mit mehrjähriger Gefängnisstrafe ahnden, und daß das neue Straf¬
gesetzbuch deu Strafrahmen dieses Deliktes so erweitert, daß der der Anschuldigung
Überführte mit derselben Strafart bestraft werden kann, die nach Lage des
Falles gegen den Verleumdeten erkannt worden wäre, wenn er die ihm an¬
gedichtete Tat wirklich begangen hätte"). (Wobei ich das Talionsprinzip natürlich
nicht bis zur Todesstrafe durchführen will.)



*) Diesen Gedanken haben bereits einige schweizerische Strafgesetzbücher verwirklicht.
Das Strafgesetzbuch bon Japan straft den Unschuldiger wie den meineidiger Zeugen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315361"/>
          <fw type="header" place="top"> Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1558" prev="#ID_1557"> wird der Betrug im Rückfalle ebenso wie die schwersten Erfolge der Körper¬<lb/>
verletzung mit Zuchthaus bestraft. Gegen die wissentlich falsche Anschuldigung<lb/>
aber kann sich niemand schützen. Der Verleumder schleicht im ^Dunkeln. Sein<lb/>
Wort trifft, wie die Zunge der giftigen Natter &#x2014; und dennoch steht auf dieses<lb/>
Delikt nur die Gefängnisstrafe. Die Rechtsgüter, die gegen Diebstahl, Betrug<lb/>
oder Körperverletzung geschlitzt werden, sind das erhebliche Vermögen und die<lb/>
Gesundheit, die nach einer Körperverletzung in den meisten Fällen wieder her¬<lb/>
zustellen ist. Wer aber stellt dem vielleicht bis dahin unbescholtenen jungen<lb/>
Mann die Ehre wieder her, wenn er auf die wissentlich falsche Bezichtigung<lb/>
der Schutzleute hiu wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung<lb/>
und Beamtenbeleidigung bestraft wird? Wer wäscht von den: vermeintlichen Not¬<lb/>
züchter den Makel ab, den dieses Delikt und die darauffolgende Zuchthaus¬<lb/>
strafe auf ihn wirft? Wer ersetzt dem Referendar den materiellen und moralischen<lb/>
Schaden, wenn er wegen des vermeintlichen Sittlichkeitsvergehens den Justizdienst<lb/>
quittieren muß? Der § 164 Se. G. B. ist so formuliert:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche er jemand<lb/>
wider besseres Wissen der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Ver¬<lb/>
letzung einer Amtspflicht beschuldigt, wird mit Gefängnis nicht nnter einem<lb/>
Monat bestraft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen<lb/>
Ehrenrechte erkannt werden."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1559"> Man setze an Stelle dieser Formulierung einmal die der ZZ 81 bis 83<lb/>
und 106 Se. G.B.: &#x201E;Wer es unternimmt&#x2014;", denn auch die wissentlich falsche<lb/>
Anschuldigung ist ein Unternehmungs-Delikt", und man wird die Unzulänglichkeit<lb/>
des bisherigen Strafrahmens ohne weiteres erkennen. &#x201E;Wer es unternimmt,<lb/>
einen anderen durch eine Anzeige wider besseren Wissens einer Bestrafung mit<lb/>
Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auszuliefern, der wird<lb/>
mit Gefängnis nicht nnter einem Monat bestraft." Wenn irgendwo in unserem<lb/>
modernen Rechtsempfinden noch das alte Talionsprinzip an: Platze ist, so ist es<lb/>
hiert Wir können zwar nicht mehr sagen: 8i c&gt;3 frsMrit, 8i membrum rupent,<lb/>
talio esto, aber wir können sagen, wer den anderen einer Zuchthausstrafe aus¬<lb/>
liefern wollte, der sollte seine wissentlich falsche Anschuldigung auch mit einer<lb/>
Zuchthausstrafe büßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1560"> Deshalb erachte ich es für wünschenswert, daß, solange das gegenwärtige<lb/>
Strafgesetzbuch noch gilt, die Gerichte die wissentlich falschen Anschuldigungen<lb/>
möglichst mit mehrjähriger Gefängnisstrafe ahnden, und daß das neue Straf¬<lb/>
gesetzbuch deu Strafrahmen dieses Deliktes so erweitert, daß der der Anschuldigung<lb/>
Überführte mit derselben Strafart bestraft werden kann, die nach Lage des<lb/>
Falles gegen den Verleumdeten erkannt worden wäre, wenn er die ihm an¬<lb/>
gedichtete Tat wirklich begangen hätte"). (Wobei ich das Talionsprinzip natürlich<lb/>
nicht bis zur Todesstrafe durchführen will.)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_19" place="foot"> *) Diesen Gedanken haben bereits einige schweizerische Strafgesetzbücher verwirklicht.<lb/>
Das Strafgesetzbuch bon Japan straft den Unschuldiger wie den meineidiger Zeugen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung wird der Betrug im Rückfalle ebenso wie die schwersten Erfolge der Körper¬ verletzung mit Zuchthaus bestraft. Gegen die wissentlich falsche Anschuldigung aber kann sich niemand schützen. Der Verleumder schleicht im ^Dunkeln. Sein Wort trifft, wie die Zunge der giftigen Natter — und dennoch steht auf dieses Delikt nur die Gefängnisstrafe. Die Rechtsgüter, die gegen Diebstahl, Betrug oder Körperverletzung geschlitzt werden, sind das erhebliche Vermögen und die Gesundheit, die nach einer Körperverletzung in den meisten Fällen wieder her¬ zustellen ist. Wer aber stellt dem vielleicht bis dahin unbescholtenen jungen Mann die Ehre wieder her, wenn er auf die wissentlich falsche Bezichtigung der Schutzleute hiu wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Beamtenbeleidigung bestraft wird? Wer wäscht von den: vermeintlichen Not¬ züchter den Makel ab, den dieses Delikt und die darauffolgende Zuchthaus¬ strafe auf ihn wirft? Wer ersetzt dem Referendar den materiellen und moralischen Schaden, wenn er wegen des vermeintlichen Sittlichkeitsvergehens den Justizdienst quittieren muß? Der § 164 Se. G. B. ist so formuliert: „Wer bei einer Behörde eine Anzeige macht, durch welche er jemand wider besseres Wissen der Begehung einer strafbaren Handlung oder der Ver¬ letzung einer Amtspflicht beschuldigt, wird mit Gefängnis nicht nnter einem Monat bestraft; auch kann gegen denselben auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden." Man setze an Stelle dieser Formulierung einmal die der ZZ 81 bis 83 und 106 Se. G.B.: „Wer es unternimmt—", denn auch die wissentlich falsche Anschuldigung ist ein Unternehmungs-Delikt", und man wird die Unzulänglichkeit des bisherigen Strafrahmens ohne weiteres erkennen. „Wer es unternimmt, einen anderen durch eine Anzeige wider besseren Wissens einer Bestrafung mit Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auszuliefern, der wird mit Gefängnis nicht nnter einem Monat bestraft." Wenn irgendwo in unserem modernen Rechtsempfinden noch das alte Talionsprinzip an: Platze ist, so ist es hiert Wir können zwar nicht mehr sagen: 8i c>3 frsMrit, 8i membrum rupent, talio esto, aber wir können sagen, wer den anderen einer Zuchthausstrafe aus¬ liefern wollte, der sollte seine wissentlich falsche Anschuldigung auch mit einer Zuchthausstrafe büßen. Deshalb erachte ich es für wünschenswert, daß, solange das gegenwärtige Strafgesetzbuch noch gilt, die Gerichte die wissentlich falschen Anschuldigungen möglichst mit mehrjähriger Gefängnisstrafe ahnden, und daß das neue Straf¬ gesetzbuch deu Strafrahmen dieses Deliktes so erweitert, daß der der Anschuldigung Überführte mit derselben Strafart bestraft werden kann, die nach Lage des Falles gegen den Verleumdeten erkannt worden wäre, wenn er die ihm an¬ gedichtete Tat wirklich begangen hätte"). (Wobei ich das Talionsprinzip natürlich nicht bis zur Todesstrafe durchführen will.) *) Diesen Gedanken haben bereits einige schweizerische Strafgesetzbücher verwirklicht. Das Strafgesetzbuch bon Japan straft den Unschuldiger wie den meineidiger Zeugen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/364>, abgerufen am 04.07.2024.