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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung

Anschuldigung tritt. Dem gegenüber ist festzustellen, daß die wissentlich falsche
Anschuldigung ein velictum sui Amen8 ist. Infolgedessen stellt sich für unser
Rechtsgefühl die Bestrafung des Denunzianten durchaus nicht als eine befriedigende
heraus, lediglich weil zufällig die Meineidsstrafe hinzutritt. Glücklicherweise
sind die wissentlich falschen Anschuldigungen in sehr zahlreichen Fällen nicht so
fein gesponnen, daß sie von dem scharfen Auge eines erfahrenen Staatsanwalts
nicht durchschaut werden. Dann wird aber das auf Grund der falschen Anschuldigung
eingeleitete Ermittlungsverfahren in diesem Studium eingestellt und der Un¬
schuldiger bleibt vor der Versuchung, einen Meineid zu leisten, bewahrt. Da
nun weder dies, noch der Scharfblick des Staatsanwalts sein Verdienst sind, so
dürften sie ihm auch nicht zustatten kommen.

Die Gemeingeführlichkeit der wissentlich falschen Anschuldigung sei durch
einige Beispiele aus der Praxis beleuchtet.

In Oberschlesien treten erschreckend häufig die Fälle auf, daß, wenn in
bäuerlichen oder Grubenarbeiterkreisen eine jüngere Weibsperson oder deren
Familie sich mit einem Manne arg verfeindet haben, sie ihren Haß an diesem
dadurch auszulassen versuchen, daß sie mit einer Denunziation an die Staats¬
anwaltschaft Herangehen, jener Mann habe dieses Mädchen oder diese junge
Frau vergewaltigt. Der Verlauf der Angelegenheit ist dann gewöhnlich folgender:
Der Gewerbeschreiber gibt in der Denunziationsschrift eine ausführliche Schilderung
des Verbrechens. Die angeblich Vergewaltigte bestätigt als Zeugin den ganzen
Vorgang vor den: Ermittlungsrichter. Die Angehörigen sind auf ihre Hilferufe
in der Regel noch so rechtzeitig hinzugekommen, daß sie den angeblichen Tüter
abfassen oder ihn aus der Flucht erkennen konnten, oder dergleichen mehr.

Diesen drei bis vier betastenden Aussagen steht dann der Beschuldigte mit
seinem Leugnen allein gegenüber. Seine Rettung wird allein die kriminalistische
Erfahrung und der psychologische Scharfblick der mit der Untersuchung betrauten
Juristen -- Gaben, die dem Juristen abzusprechen heut beinahe zum guten
Ton geworden ist. In Oberschlesien gelangt man als Richter gegenüber
dem von einer Mannesperson allein verübten Notzuchtsdelikt allmählich zu der
Skepsis, wie sie Friedrich der Große gegenüber dein mit der gleichen Klage
gegen seinen Adjutanten vor ihn: auftretenden Hoffräulein bewiesen haben soll.
Bei eindringlicher Befragung der Verwandten der angeblich Verletzten und
dieser selbst kann man häufig die erbaulichsten Widersprüche feststellen. Die
polnische niedere Bevölkerung ist geistig noch nicht genug geschult, um ein
kompliziertes Lügengewebe gleichmäßig zu behalten und wiederzugeben. So
wollte einmal die Tochter in einer abseits gelegenen Kammer geschlafen haben,
als an ihr das Sittlichkeitsverbrechen verübt wurde, während die Mutter bekundete,
daß die Tochter bei dieser Gelegenheit in der gemeinsamen großen Wohnstube
geschlafen habe. In einem anderen Falle schilderte die angeblich Verletzte, ein
großes und starkes Frauenzimmer, wie sie sich verzweifelt gegen den Angreifer
gewehrt habe, wie dieser sie aber dennoch niedergezwungen, indem er ihr mit


Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung

Anschuldigung tritt. Dem gegenüber ist festzustellen, daß die wissentlich falsche
Anschuldigung ein velictum sui Amen8 ist. Infolgedessen stellt sich für unser
Rechtsgefühl die Bestrafung des Denunzianten durchaus nicht als eine befriedigende
heraus, lediglich weil zufällig die Meineidsstrafe hinzutritt. Glücklicherweise
sind die wissentlich falschen Anschuldigungen in sehr zahlreichen Fällen nicht so
fein gesponnen, daß sie von dem scharfen Auge eines erfahrenen Staatsanwalts
nicht durchschaut werden. Dann wird aber das auf Grund der falschen Anschuldigung
eingeleitete Ermittlungsverfahren in diesem Studium eingestellt und der Un¬
schuldiger bleibt vor der Versuchung, einen Meineid zu leisten, bewahrt. Da
nun weder dies, noch der Scharfblick des Staatsanwalts sein Verdienst sind, so
dürften sie ihm auch nicht zustatten kommen.

Die Gemeingeführlichkeit der wissentlich falschen Anschuldigung sei durch
einige Beispiele aus der Praxis beleuchtet.

In Oberschlesien treten erschreckend häufig die Fälle auf, daß, wenn in
bäuerlichen oder Grubenarbeiterkreisen eine jüngere Weibsperson oder deren
Familie sich mit einem Manne arg verfeindet haben, sie ihren Haß an diesem
dadurch auszulassen versuchen, daß sie mit einer Denunziation an die Staats¬
anwaltschaft Herangehen, jener Mann habe dieses Mädchen oder diese junge
Frau vergewaltigt. Der Verlauf der Angelegenheit ist dann gewöhnlich folgender:
Der Gewerbeschreiber gibt in der Denunziationsschrift eine ausführliche Schilderung
des Verbrechens. Die angeblich Vergewaltigte bestätigt als Zeugin den ganzen
Vorgang vor den: Ermittlungsrichter. Die Angehörigen sind auf ihre Hilferufe
in der Regel noch so rechtzeitig hinzugekommen, daß sie den angeblichen Tüter
abfassen oder ihn aus der Flucht erkennen konnten, oder dergleichen mehr.

Diesen drei bis vier betastenden Aussagen steht dann der Beschuldigte mit
seinem Leugnen allein gegenüber. Seine Rettung wird allein die kriminalistische
Erfahrung und der psychologische Scharfblick der mit der Untersuchung betrauten
Juristen — Gaben, die dem Juristen abzusprechen heut beinahe zum guten
Ton geworden ist. In Oberschlesien gelangt man als Richter gegenüber
dem von einer Mannesperson allein verübten Notzuchtsdelikt allmählich zu der
Skepsis, wie sie Friedrich der Große gegenüber dein mit der gleichen Klage
gegen seinen Adjutanten vor ihn: auftretenden Hoffräulein bewiesen haben soll.
Bei eindringlicher Befragung der Verwandten der angeblich Verletzten und
dieser selbst kann man häufig die erbaulichsten Widersprüche feststellen. Die
polnische niedere Bevölkerung ist geistig noch nicht genug geschult, um ein
kompliziertes Lügengewebe gleichmäßig zu behalten und wiederzugeben. So
wollte einmal die Tochter in einer abseits gelegenen Kammer geschlafen haben,
als an ihr das Sittlichkeitsverbrechen verübt wurde, während die Mutter bekundete,
daß die Tochter bei dieser Gelegenheit in der gemeinsamen großen Wohnstube
geschlafen habe. In einem anderen Falle schilderte die angeblich Verletzte, ein
großes und starkes Frauenzimmer, wie sie sich verzweifelt gegen den Angreifer
gewehrt habe, wie dieser sie aber dennoch niedergezwungen, indem er ihr mit


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[0362] Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung Anschuldigung tritt. Dem gegenüber ist festzustellen, daß die wissentlich falsche Anschuldigung ein velictum sui Amen8 ist. Infolgedessen stellt sich für unser Rechtsgefühl die Bestrafung des Denunzianten durchaus nicht als eine befriedigende heraus, lediglich weil zufällig die Meineidsstrafe hinzutritt. Glücklicherweise sind die wissentlich falschen Anschuldigungen in sehr zahlreichen Fällen nicht so fein gesponnen, daß sie von dem scharfen Auge eines erfahrenen Staatsanwalts nicht durchschaut werden. Dann wird aber das auf Grund der falschen Anschuldigung eingeleitete Ermittlungsverfahren in diesem Studium eingestellt und der Un¬ schuldiger bleibt vor der Versuchung, einen Meineid zu leisten, bewahrt. Da nun weder dies, noch der Scharfblick des Staatsanwalts sein Verdienst sind, so dürften sie ihm auch nicht zustatten kommen. Die Gemeingeführlichkeit der wissentlich falschen Anschuldigung sei durch einige Beispiele aus der Praxis beleuchtet. In Oberschlesien treten erschreckend häufig die Fälle auf, daß, wenn in bäuerlichen oder Grubenarbeiterkreisen eine jüngere Weibsperson oder deren Familie sich mit einem Manne arg verfeindet haben, sie ihren Haß an diesem dadurch auszulassen versuchen, daß sie mit einer Denunziation an die Staats¬ anwaltschaft Herangehen, jener Mann habe dieses Mädchen oder diese junge Frau vergewaltigt. Der Verlauf der Angelegenheit ist dann gewöhnlich folgender: Der Gewerbeschreiber gibt in der Denunziationsschrift eine ausführliche Schilderung des Verbrechens. Die angeblich Vergewaltigte bestätigt als Zeugin den ganzen Vorgang vor den: Ermittlungsrichter. Die Angehörigen sind auf ihre Hilferufe in der Regel noch so rechtzeitig hinzugekommen, daß sie den angeblichen Tüter abfassen oder ihn aus der Flucht erkennen konnten, oder dergleichen mehr. Diesen drei bis vier betastenden Aussagen steht dann der Beschuldigte mit seinem Leugnen allein gegenüber. Seine Rettung wird allein die kriminalistische Erfahrung und der psychologische Scharfblick der mit der Untersuchung betrauten Juristen — Gaben, die dem Juristen abzusprechen heut beinahe zum guten Ton geworden ist. In Oberschlesien gelangt man als Richter gegenüber dem von einer Mannesperson allein verübten Notzuchtsdelikt allmählich zu der Skepsis, wie sie Friedrich der Große gegenüber dein mit der gleichen Klage gegen seinen Adjutanten vor ihn: auftretenden Hoffräulein bewiesen haben soll. Bei eindringlicher Befragung der Verwandten der angeblich Verletzten und dieser selbst kann man häufig die erbaulichsten Widersprüche feststellen. Die polnische niedere Bevölkerung ist geistig noch nicht genug geschult, um ein kompliziertes Lügengewebe gleichmäßig zu behalten und wiederzugeben. So wollte einmal die Tochter in einer abseits gelegenen Kammer geschlafen haben, als an ihr das Sittlichkeitsverbrechen verübt wurde, während die Mutter bekundete, daß die Tochter bei dieser Gelegenheit in der gemeinsamen großen Wohnstube geschlafen habe. In einem anderen Falle schilderte die angeblich Verletzte, ein großes und starkes Frauenzimmer, wie sie sich verzweifelt gegen den Angreifer gewehrt habe, wie dieser sie aber dennoch niedergezwungen, indem er ihr mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/362>, abgerufen am 24.07.2024.