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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Georg Freiherr von t^ertling

Aehnlich wie der Staat sich in den Glauben nicht einzumischen hat, solange
er subjektive Herzenssache und theoretische Ansicht bleibt, wohl aber dann, wenn
der Glaube als Religion in einer Gemeinschaft sich eine bestimmte Organisation
mit bestimmten Satzungen und einer gesellschaftlichen, einer Autorität unter¬
worfenen Ordnung gibt.

Sehr richtig bemerkt Johannes Volkelt in den "Vorträgen zur Einführung
in die Philosophie der Gegenwart" : "Es muß sich das religiöse Gefühl von
vornherein die Richtschnur einverleibt haben, stets in Übereinstimmung mit dem
denkenden Verhalten seinen Glaubensiuhalt auszubilden. . . . Unverträglich
mit ihr ist das Verhalten der mittelalterlichen und modernen Scholastik. Diese
stellt den religiösen Glauben -- freilich nur in einer bestimmten kirchlichen Form
-- als unantastbar durch das Denken, als ihm schlechtweg übergeordnet hin,
geht aber dann die Philosophie dennoch um die Gefälligkeit an, mit ihren Werk¬
zeugen und Waffen dienstbereit die unumstößlichen Lehrsätze dieser Religion auf
das beste zu rechtfertigen. Kant sagt trefflich: wenn die Theologie die Philosophie
als ihre Magd bezeichne, so bleibe doch noch immer die Frage: ob diese ihrer
gnädigen Frau die Schleppe nachtrage oder die Fackel vortrage. Die scholastische
Unterordnung des Denkens unter die Dogmen der christlichen Kirche, wie sie im
Mittelalter üblich war und auch hente noch in der offiziellen Philosophie der
katholischen Kirche als Anachronismus vorkommt, bezeichnet eine Entwicklungs¬
stufe des Geistes, auf der das Denken noch nicht zum klaren Bewußtsein dessen,
was es bedeutet, und was es beanspruchen darf, gelangt ist."

Solche Erwägungen sind natürlich dem Manne fremd, der einer der haupt¬
sächlichsten Wortführer der Lcclesm militang ist, mit dem Papsttum durch dick
und dünn geht, in zuversichtlichen Glauben die Verkündigung des Unfehlbar¬
keitsdoginas erhofft und an dessen 25. Jahrestage es als das wertvollste
Unterpfand jener unmittelbaren und ganz besondern Leitung feiert, die Christus
der vou ihm gestifteten Kirche zur Fortsetzung seines Heilswerkes angedeihen
läßt. Das ganze Sinnen und Trachten dieses wundersamen Professors der
Philosophie an einer philosophischen Fakultät gehört der päpstlichen Kirche, die
die Philosophie zu ewigem Stillstande verurteilte, sie gegen alle Einflüsse der
modernen Wissenschaft hermetisch absperrte und zum Krüppel schlug, indem
Leo XIII. durch die Encyclica Metern! patri8 vom 4. Angust 1679 die thomistische
Lehre als die allein berechtigte, eigentliche kirchliche Philosophie proklamierte
und damit urbi et orbi die Ungeheuerlichkeit verkündete, daß Thomas die ganze
Philosophie für immer zum Abschlüsse gebracht habe. Es ist dies ein Hohn auf die
Entwicklungstheorie, nach der die Philosophie niemals etwas Absolutes und Ab¬
geschlossenes darbietet. Sie ist nie und nimmer fertig, denn sie geht nicht auf
Dogmen aus, die mitten im Strome unendlicher Geistesentwicklung in der
Menschheit als starre Gebilde unveränderlich fortbestehe" und geglaubt werden
müßten, sondern sie muß immer wieder in Frage stellen, muß immer neu prüfe"
und gewissermaßen von vorn anfangen und bei ihren Forschungen allen


Georg Freiherr von t^ertling

Aehnlich wie der Staat sich in den Glauben nicht einzumischen hat, solange
er subjektive Herzenssache und theoretische Ansicht bleibt, wohl aber dann, wenn
der Glaube als Religion in einer Gemeinschaft sich eine bestimmte Organisation
mit bestimmten Satzungen und einer gesellschaftlichen, einer Autorität unter¬
worfenen Ordnung gibt.

Sehr richtig bemerkt Johannes Volkelt in den „Vorträgen zur Einführung
in die Philosophie der Gegenwart" : „Es muß sich das religiöse Gefühl von
vornherein die Richtschnur einverleibt haben, stets in Übereinstimmung mit dem
denkenden Verhalten seinen Glaubensiuhalt auszubilden. . . . Unverträglich
mit ihr ist das Verhalten der mittelalterlichen und modernen Scholastik. Diese
stellt den religiösen Glauben — freilich nur in einer bestimmten kirchlichen Form
— als unantastbar durch das Denken, als ihm schlechtweg übergeordnet hin,
geht aber dann die Philosophie dennoch um die Gefälligkeit an, mit ihren Werk¬
zeugen und Waffen dienstbereit die unumstößlichen Lehrsätze dieser Religion auf
das beste zu rechtfertigen. Kant sagt trefflich: wenn die Theologie die Philosophie
als ihre Magd bezeichne, so bleibe doch noch immer die Frage: ob diese ihrer
gnädigen Frau die Schleppe nachtrage oder die Fackel vortrage. Die scholastische
Unterordnung des Denkens unter die Dogmen der christlichen Kirche, wie sie im
Mittelalter üblich war und auch hente noch in der offiziellen Philosophie der
katholischen Kirche als Anachronismus vorkommt, bezeichnet eine Entwicklungs¬
stufe des Geistes, auf der das Denken noch nicht zum klaren Bewußtsein dessen,
was es bedeutet, und was es beanspruchen darf, gelangt ist."

Solche Erwägungen sind natürlich dem Manne fremd, der einer der haupt¬
sächlichsten Wortführer der Lcclesm militang ist, mit dem Papsttum durch dick
und dünn geht, in zuversichtlichen Glauben die Verkündigung des Unfehlbar¬
keitsdoginas erhofft und an dessen 25. Jahrestage es als das wertvollste
Unterpfand jener unmittelbaren und ganz besondern Leitung feiert, die Christus
der vou ihm gestifteten Kirche zur Fortsetzung seines Heilswerkes angedeihen
läßt. Das ganze Sinnen und Trachten dieses wundersamen Professors der
Philosophie an einer philosophischen Fakultät gehört der päpstlichen Kirche, die
die Philosophie zu ewigem Stillstande verurteilte, sie gegen alle Einflüsse der
modernen Wissenschaft hermetisch absperrte und zum Krüppel schlug, indem
Leo XIII. durch die Encyclica Metern! patri8 vom 4. Angust 1679 die thomistische
Lehre als die allein berechtigte, eigentliche kirchliche Philosophie proklamierte
und damit urbi et orbi die Ungeheuerlichkeit verkündete, daß Thomas die ganze
Philosophie für immer zum Abschlüsse gebracht habe. Es ist dies ein Hohn auf die
Entwicklungstheorie, nach der die Philosophie niemals etwas Absolutes und Ab¬
geschlossenes darbietet. Sie ist nie und nimmer fertig, denn sie geht nicht auf
Dogmen aus, die mitten im Strome unendlicher Geistesentwicklung in der
Menschheit als starre Gebilde unveränderlich fortbestehe» und geglaubt werden
müßten, sondern sie muß immer wieder in Frage stellen, muß immer neu prüfe»
und gewissermaßen von vorn anfangen und bei ihren Forschungen allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/320>, abgerufen am 24.07.2024.