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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Georg Freiherr von Hertling

ist; sie darf nicht innerhalb einer bestimmten Religion, ans einem bestimmten
kirchlich-dogmatischen Standpunkt stehen. Andernfalls ist sie nicht Wissenschaft,
sondern unwissenschaftlicher Dogmatismus; sie wird nicht von Wissensprinzipien,
sondern von dem Glauben und Glaubenssätzen bestimmt. Sie geht nicht
unbehindert und unbeeinflußt ihren Weg. Der ist ihr von der Kirchenlehre
vorgezeichnet. Sie folgt nicht unbefangen ihren eigenen Gesetzen, sondern erkennt
von vornherein eine zu Recht bestehende Wahrheit an und begibt sich ihr gegen¬
über ihrer Selbständigkeit. Sie ist nicht Philosophie, sondern Scholastik, ein
blindes Werkzeug, eine Handlnugerin, eine Magd der Theologie. Der "voctor
ariMlicuZ" hat dies selbst zugegeben, indem er ausdrücklich lehrte, ein Autoritäts¬
beweis sei eine relativ schwache Begründung, die mit einem eigentlich wissen¬
schaftlichen den Vergleich nicht aushalte.

Wenn auch die Philosophie uicht anders als im Gegensatze und Kampfe
mit der Religion, d. h. mit der Vergöttlichung der Natur durch die Phantasie¬
tätigkeit entstehen und sich entwickeln konnte, so ist doch der Versuch einer Ver¬
einigung von Philosophie und Religion nicht von vornherein als aussichtslos
zu verwerfen, zumal nicht geleugnet werden kann, daß die philosophische,
also vorurteilslose Untersuchung zur Fortbildung, Vergeistigung, Läuterung und
Veredlung der Vorstellung von Gott, seinen Eigenschaften und seinem Wirken
sehr viel beitrüge und die religiösen Anschauungen in theoretischer und praktischer
Hinsicht der wissenschaftlichen Weltanschauung näher bringt. Die Klärung des
religiösen Glaubens und Lebens vollzieht sich in der Weise, daß die Philosophie
von ihrem unveräußerlichen Rechte Gebrauch macht, die Religion nicht als
unbedingte, unantastbare Wahrheit, sondern nur als Problem betrachtet, diese
sich durchweg der Kritik des autonomen Denkens, den Entscheidungen der Ver¬
minst unterwirft, mit einem Worte zur Vernunftreligion wird. Steht irgend¬
ein Glaubensinhalt mit der Kritik des selbstherrlichen Denkens in Widersprich,
so muß er auch für das religiöse Gefühl gerichtet sein. Die übernatürliche
Offenbarung muß daher als ein wundertütiges Eingreifen Gottes in die un¬
verbrüchliche Gesetzmäßigkeit des Wcltlaufs abgelehnt werden. Der göttliche
Urquell alles physischen und psychischen Geschehens kann unmöglich die Gesetze,
die er selbst gegeben, überschreiten, ändern, aufheben; denn es wäre, wie Seneca
so schön sagt, "äiminutio male8tali8 et con!e88lo eirori8 mutanäa shal88e".
Gott, das unendliche Wesen, nach Willkür den innenweltlichen Kausalzusammen¬
hang durchlöchernd -- dies ist ein Gedanke, der von Widersinn zu Widersinn
führt, in eine Verendlichung Gottes mündet. Es ist allerdings richtig, daß die
Religion, der Glaube von aller Wissenschaft unabhängig ist. Dies gilt aber
nur so lange, als er im Gemüte bleibt und als religiöse, fromme und ethische
Gesinnung sich beendigt; sobald er ans dem Gemüte in das intellektuelle Gebiet
heraustritt, sich mit Naturgegenstünden und geschichtlichen Personen und
Ereignissen in enge Verbindung setzt, zugleich sich in bestimmten Begriffen und
Satzungen lehrhaft gestaltet, ist er der wissenschaftlichen Forschung verfallen.


Georg Freiherr von Hertling

ist; sie darf nicht innerhalb einer bestimmten Religion, ans einem bestimmten
kirchlich-dogmatischen Standpunkt stehen. Andernfalls ist sie nicht Wissenschaft,
sondern unwissenschaftlicher Dogmatismus; sie wird nicht von Wissensprinzipien,
sondern von dem Glauben und Glaubenssätzen bestimmt. Sie geht nicht
unbehindert und unbeeinflußt ihren Weg. Der ist ihr von der Kirchenlehre
vorgezeichnet. Sie folgt nicht unbefangen ihren eigenen Gesetzen, sondern erkennt
von vornherein eine zu Recht bestehende Wahrheit an und begibt sich ihr gegen¬
über ihrer Selbständigkeit. Sie ist nicht Philosophie, sondern Scholastik, ein
blindes Werkzeug, eine Handlnugerin, eine Magd der Theologie. Der „voctor
ariMlicuZ" hat dies selbst zugegeben, indem er ausdrücklich lehrte, ein Autoritäts¬
beweis sei eine relativ schwache Begründung, die mit einem eigentlich wissen¬
schaftlichen den Vergleich nicht aushalte.

Wenn auch die Philosophie uicht anders als im Gegensatze und Kampfe
mit der Religion, d. h. mit der Vergöttlichung der Natur durch die Phantasie¬
tätigkeit entstehen und sich entwickeln konnte, so ist doch der Versuch einer Ver¬
einigung von Philosophie und Religion nicht von vornherein als aussichtslos
zu verwerfen, zumal nicht geleugnet werden kann, daß die philosophische,
also vorurteilslose Untersuchung zur Fortbildung, Vergeistigung, Läuterung und
Veredlung der Vorstellung von Gott, seinen Eigenschaften und seinem Wirken
sehr viel beitrüge und die religiösen Anschauungen in theoretischer und praktischer
Hinsicht der wissenschaftlichen Weltanschauung näher bringt. Die Klärung des
religiösen Glaubens und Lebens vollzieht sich in der Weise, daß die Philosophie
von ihrem unveräußerlichen Rechte Gebrauch macht, die Religion nicht als
unbedingte, unantastbare Wahrheit, sondern nur als Problem betrachtet, diese
sich durchweg der Kritik des autonomen Denkens, den Entscheidungen der Ver¬
minst unterwirft, mit einem Worte zur Vernunftreligion wird. Steht irgend¬
ein Glaubensinhalt mit der Kritik des selbstherrlichen Denkens in Widersprich,
so muß er auch für das religiöse Gefühl gerichtet sein. Die übernatürliche
Offenbarung muß daher als ein wundertütiges Eingreifen Gottes in die un¬
verbrüchliche Gesetzmäßigkeit des Wcltlaufs abgelehnt werden. Der göttliche
Urquell alles physischen und psychischen Geschehens kann unmöglich die Gesetze,
die er selbst gegeben, überschreiten, ändern, aufheben; denn es wäre, wie Seneca
so schön sagt, „äiminutio male8tali8 et con!e88lo eirori8 mutanäa shal88e".
Gott, das unendliche Wesen, nach Willkür den innenweltlichen Kausalzusammen¬
hang durchlöchernd — dies ist ein Gedanke, der von Widersinn zu Widersinn
führt, in eine Verendlichung Gottes mündet. Es ist allerdings richtig, daß die
Religion, der Glaube von aller Wissenschaft unabhängig ist. Dies gilt aber
nur so lange, als er im Gemüte bleibt und als religiöse, fromme und ethische
Gesinnung sich beendigt; sobald er ans dem Gemüte in das intellektuelle Gebiet
heraustritt, sich mit Naturgegenstünden und geschichtlichen Personen und
Ereignissen in enge Verbindung setzt, zugleich sich in bestimmten Begriffen und
Satzungen lehrhaft gestaltet, ist er der wissenschaftlichen Forschung verfallen.


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[0319] Georg Freiherr von Hertling ist; sie darf nicht innerhalb einer bestimmten Religion, ans einem bestimmten kirchlich-dogmatischen Standpunkt stehen. Andernfalls ist sie nicht Wissenschaft, sondern unwissenschaftlicher Dogmatismus; sie wird nicht von Wissensprinzipien, sondern von dem Glauben und Glaubenssätzen bestimmt. Sie geht nicht unbehindert und unbeeinflußt ihren Weg. Der ist ihr von der Kirchenlehre vorgezeichnet. Sie folgt nicht unbefangen ihren eigenen Gesetzen, sondern erkennt von vornherein eine zu Recht bestehende Wahrheit an und begibt sich ihr gegen¬ über ihrer Selbständigkeit. Sie ist nicht Philosophie, sondern Scholastik, ein blindes Werkzeug, eine Handlnugerin, eine Magd der Theologie. Der „voctor ariMlicuZ" hat dies selbst zugegeben, indem er ausdrücklich lehrte, ein Autoritäts¬ beweis sei eine relativ schwache Begründung, die mit einem eigentlich wissen¬ schaftlichen den Vergleich nicht aushalte. Wenn auch die Philosophie uicht anders als im Gegensatze und Kampfe mit der Religion, d. h. mit der Vergöttlichung der Natur durch die Phantasie¬ tätigkeit entstehen und sich entwickeln konnte, so ist doch der Versuch einer Ver¬ einigung von Philosophie und Religion nicht von vornherein als aussichtslos zu verwerfen, zumal nicht geleugnet werden kann, daß die philosophische, also vorurteilslose Untersuchung zur Fortbildung, Vergeistigung, Läuterung und Veredlung der Vorstellung von Gott, seinen Eigenschaften und seinem Wirken sehr viel beitrüge und die religiösen Anschauungen in theoretischer und praktischer Hinsicht der wissenschaftlichen Weltanschauung näher bringt. Die Klärung des religiösen Glaubens und Lebens vollzieht sich in der Weise, daß die Philosophie von ihrem unveräußerlichen Rechte Gebrauch macht, die Religion nicht als unbedingte, unantastbare Wahrheit, sondern nur als Problem betrachtet, diese sich durchweg der Kritik des autonomen Denkens, den Entscheidungen der Ver¬ minst unterwirft, mit einem Worte zur Vernunftreligion wird. Steht irgend¬ ein Glaubensinhalt mit der Kritik des selbstherrlichen Denkens in Widersprich, so muß er auch für das religiöse Gefühl gerichtet sein. Die übernatürliche Offenbarung muß daher als ein wundertütiges Eingreifen Gottes in die un¬ verbrüchliche Gesetzmäßigkeit des Wcltlaufs abgelehnt werden. Der göttliche Urquell alles physischen und psychischen Geschehens kann unmöglich die Gesetze, die er selbst gegeben, überschreiten, ändern, aufheben; denn es wäre, wie Seneca so schön sagt, „äiminutio male8tali8 et con!e88lo eirori8 mutanäa shal88e". Gott, das unendliche Wesen, nach Willkür den innenweltlichen Kausalzusammen¬ hang durchlöchernd — dies ist ein Gedanke, der von Widersinn zu Widersinn führt, in eine Verendlichung Gottes mündet. Es ist allerdings richtig, daß die Religion, der Glaube von aller Wissenschaft unabhängig ist. Dies gilt aber nur so lange, als er im Gemüte bleibt und als religiöse, fromme und ethische Gesinnung sich beendigt; sobald er ans dem Gemüte in das intellektuelle Gebiet heraustritt, sich mit Naturgegenstünden und geschichtlichen Personen und Ereignissen in enge Verbindung setzt, zugleich sich in bestimmten Begriffen und Satzungen lehrhaft gestaltet, ist er der wissenschaftlichen Forschung verfallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/319>, abgerufen am 04.07.2024.