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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Georg Freiherr von Hertling

regsten lind erfolgreichsten Anteil genommen, und dem er in der Schlußsitzung
der Generalversammlung der Gesellschaft zu Hildesheim am 7. Oktober 1891
einen Nachruf gehalten hat. Das Ziel, das ihr vorschwebt, ist, die katholische
Wissenschaft nach allen Richtungen hin zu fordern, für Nachwuchs an jüngeren
Gelehrten im katholischen Deutschland Sorge zu tragen und den katholischen
Gelehrten einen Vereinigungspunkt zu bieten.

Hertling, der einen Lehrstuhl der Philosophie an der Münchner /^Jena mater
inne hat, legt in der 1893 gehaltenen Rede "über die Aufgabe der katholischen
Wissenschaft und die Stellung der katholischen Gelehrten in der Gegenwart"
das Bekenntnis ub: "Auch wir katholische Gelehrte des 19. Jahrhunderts sind
überzeugt, das; zwischen Wissen und Glauben kein Gegensatz besteht, sondern
beide dazu bestimmt sind, einander in inniger Harmonie zu durchdringen. Wir
sind überzeugt, daß es keine zweifache Wahrheit gibt und geben kann. Gott
ist die Quelle aller Wahrheit; er hat zu uns gesprochen durch die Propheten
und den fleischgewordenen Logos; er spricht zu uns in dem Lehrcunte der
Kirche, aber nicht minder auch in den Gesetzen der Logik, um die wir uns zu
halten haben, wo wir nach der Erkenntnis der natürlichen Wahrheiten streben.
Und weil Gott sich nicht widersprechen kann, darum kaun es keinen Gegensatz
geben zwischen übernatürlichen und natürlichen Wahrheiten, zwischen den Lehren
der Offenbarung und dem, was ernste, aufrichtige, den Gesetzen der Logik und
den Regeln der Methodologie folgende Wissenschaft zutage fördert." In diesem
Bekenntnisse gipfelt auch die Schrift "Das Prinzip des Katholizismus und die
Wissenschaft" (Freiburg i. B. 1899). Damit ist aber die Philosophie völlig
mundtot gemacht. Ihre Freiheit mutet uns in dein Munde Hertlings genau
so an, wie die der Herde innerhalb der Umzäunung oder der Gefangenen
innerhalb der umschließenden Mauern. So wenig diese frei sind, weil sie die
eigenen Füße zur Bewegung und ihre eigenen Hände zur Tätigkeit gebrauchen
dürfen und sich auf dem umschlossenen Gebiete beliebig bewegen können, so
wenig ist die Philosophie mit ihren eigenen Prinzipiell unter der bestimmenden,
begrenzenden Herrschaft des Glaubens frei. Eine katholische Philosophie,
sie enthält unmittelbar einen Widerspruch in sich selbst, denn sie ist nicht vor-
aussetzungslos frei, auf sich selbst gestellt. Sie hat eine gebundene Marschroute.
Sie setzt etwas von außen an sie Herantretendes, wofür erst der Beweis erbracht
werden müßte, als ausschließlich privilegierte Wahrheit voraus und läßt sich
mithin eine petitio principi! zuschulden kommen. Es kann allenfalls gläubige
Philosophen geben, aber keine gläubige Philosophie, denn die Philosophie
ist ihrer Natur nach Wissen, nicht Glaube, und ist wissend, nicht glaubend,
wofern sie nicht in Widerspruch mit sich selbst geraten will. Zwischen der freien
Wissenschaft und der Autorität kann kein Bund geflochten werden. Eine
Philosophie, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, darf nur das mit
rücksichtsloser.Konsequenz festhalten, was den: eigenen Forschen und Denken ent¬
stammt, an die strengen Regeln der Forschung und Beweisführung gebunden


Georg Freiherr von Hertling

regsten lind erfolgreichsten Anteil genommen, und dem er in der Schlußsitzung
der Generalversammlung der Gesellschaft zu Hildesheim am 7. Oktober 1891
einen Nachruf gehalten hat. Das Ziel, das ihr vorschwebt, ist, die katholische
Wissenschaft nach allen Richtungen hin zu fordern, für Nachwuchs an jüngeren
Gelehrten im katholischen Deutschland Sorge zu tragen und den katholischen
Gelehrten einen Vereinigungspunkt zu bieten.

Hertling, der einen Lehrstuhl der Philosophie an der Münchner /^Jena mater
inne hat, legt in der 1893 gehaltenen Rede „über die Aufgabe der katholischen
Wissenschaft und die Stellung der katholischen Gelehrten in der Gegenwart"
das Bekenntnis ub: „Auch wir katholische Gelehrte des 19. Jahrhunderts sind
überzeugt, das; zwischen Wissen und Glauben kein Gegensatz besteht, sondern
beide dazu bestimmt sind, einander in inniger Harmonie zu durchdringen. Wir
sind überzeugt, daß es keine zweifache Wahrheit gibt und geben kann. Gott
ist die Quelle aller Wahrheit; er hat zu uns gesprochen durch die Propheten
und den fleischgewordenen Logos; er spricht zu uns in dem Lehrcunte der
Kirche, aber nicht minder auch in den Gesetzen der Logik, um die wir uns zu
halten haben, wo wir nach der Erkenntnis der natürlichen Wahrheiten streben.
Und weil Gott sich nicht widersprechen kann, darum kaun es keinen Gegensatz
geben zwischen übernatürlichen und natürlichen Wahrheiten, zwischen den Lehren
der Offenbarung und dem, was ernste, aufrichtige, den Gesetzen der Logik und
den Regeln der Methodologie folgende Wissenschaft zutage fördert." In diesem
Bekenntnisse gipfelt auch die Schrift „Das Prinzip des Katholizismus und die
Wissenschaft" (Freiburg i. B. 1899). Damit ist aber die Philosophie völlig
mundtot gemacht. Ihre Freiheit mutet uns in dein Munde Hertlings genau
so an, wie die der Herde innerhalb der Umzäunung oder der Gefangenen
innerhalb der umschließenden Mauern. So wenig diese frei sind, weil sie die
eigenen Füße zur Bewegung und ihre eigenen Hände zur Tätigkeit gebrauchen
dürfen und sich auf dem umschlossenen Gebiete beliebig bewegen können, so
wenig ist die Philosophie mit ihren eigenen Prinzipiell unter der bestimmenden,
begrenzenden Herrschaft des Glaubens frei. Eine katholische Philosophie,
sie enthält unmittelbar einen Widerspruch in sich selbst, denn sie ist nicht vor-
aussetzungslos frei, auf sich selbst gestellt. Sie hat eine gebundene Marschroute.
Sie setzt etwas von außen an sie Herantretendes, wofür erst der Beweis erbracht
werden müßte, als ausschließlich privilegierte Wahrheit voraus und läßt sich
mithin eine petitio principi! zuschulden kommen. Es kann allenfalls gläubige
Philosophen geben, aber keine gläubige Philosophie, denn die Philosophie
ist ihrer Natur nach Wissen, nicht Glaube, und ist wissend, nicht glaubend,
wofern sie nicht in Widerspruch mit sich selbst geraten will. Zwischen der freien
Wissenschaft und der Autorität kann kein Bund geflochten werden. Eine
Philosophie, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, darf nur das mit
rücksichtsloser.Konsequenz festhalten, was den: eigenen Forschen und Denken ent¬
stammt, an die strengen Regeln der Forschung und Beweisführung gebunden


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[0318] Georg Freiherr von Hertling regsten lind erfolgreichsten Anteil genommen, und dem er in der Schlußsitzung der Generalversammlung der Gesellschaft zu Hildesheim am 7. Oktober 1891 einen Nachruf gehalten hat. Das Ziel, das ihr vorschwebt, ist, die katholische Wissenschaft nach allen Richtungen hin zu fordern, für Nachwuchs an jüngeren Gelehrten im katholischen Deutschland Sorge zu tragen und den katholischen Gelehrten einen Vereinigungspunkt zu bieten. Hertling, der einen Lehrstuhl der Philosophie an der Münchner /^Jena mater inne hat, legt in der 1893 gehaltenen Rede „über die Aufgabe der katholischen Wissenschaft und die Stellung der katholischen Gelehrten in der Gegenwart" das Bekenntnis ub: „Auch wir katholische Gelehrte des 19. Jahrhunderts sind überzeugt, das; zwischen Wissen und Glauben kein Gegensatz besteht, sondern beide dazu bestimmt sind, einander in inniger Harmonie zu durchdringen. Wir sind überzeugt, daß es keine zweifache Wahrheit gibt und geben kann. Gott ist die Quelle aller Wahrheit; er hat zu uns gesprochen durch die Propheten und den fleischgewordenen Logos; er spricht zu uns in dem Lehrcunte der Kirche, aber nicht minder auch in den Gesetzen der Logik, um die wir uns zu halten haben, wo wir nach der Erkenntnis der natürlichen Wahrheiten streben. Und weil Gott sich nicht widersprechen kann, darum kaun es keinen Gegensatz geben zwischen übernatürlichen und natürlichen Wahrheiten, zwischen den Lehren der Offenbarung und dem, was ernste, aufrichtige, den Gesetzen der Logik und den Regeln der Methodologie folgende Wissenschaft zutage fördert." In diesem Bekenntnisse gipfelt auch die Schrift „Das Prinzip des Katholizismus und die Wissenschaft" (Freiburg i. B. 1899). Damit ist aber die Philosophie völlig mundtot gemacht. Ihre Freiheit mutet uns in dein Munde Hertlings genau so an, wie die der Herde innerhalb der Umzäunung oder der Gefangenen innerhalb der umschließenden Mauern. So wenig diese frei sind, weil sie die eigenen Füße zur Bewegung und ihre eigenen Hände zur Tätigkeit gebrauchen dürfen und sich auf dem umschlossenen Gebiete beliebig bewegen können, so wenig ist die Philosophie mit ihren eigenen Prinzipiell unter der bestimmenden, begrenzenden Herrschaft des Glaubens frei. Eine katholische Philosophie, sie enthält unmittelbar einen Widerspruch in sich selbst, denn sie ist nicht vor- aussetzungslos frei, auf sich selbst gestellt. Sie hat eine gebundene Marschroute. Sie setzt etwas von außen an sie Herantretendes, wofür erst der Beweis erbracht werden müßte, als ausschließlich privilegierte Wahrheit voraus und läßt sich mithin eine petitio principi! zuschulden kommen. Es kann allenfalls gläubige Philosophen geben, aber keine gläubige Philosophie, denn die Philosophie ist ihrer Natur nach Wissen, nicht Glaube, und ist wissend, nicht glaubend, wofern sie nicht in Widerspruch mit sich selbst geraten will. Zwischen der freien Wissenschaft und der Autorität kann kein Bund geflochten werden. Eine Philosophie, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, darf nur das mit rücksichtsloser.Konsequenz festhalten, was den: eigenen Forschen und Denken ent¬ stammt, an die strengen Regeln der Forschung und Beweisführung gebunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/318>, abgerufen am 24.07.2024.