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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische verwalwngsgesetzgebung

von zwei und einem halben Silbergroschen für jedes Kind ein nach dem Alter
abgestuftes erhoben werden dürfe.

Für die Bevölkerung bringt diese Rechtsunsicherheit selbswerständlich schon
unter gewöhnlichen Verhältnissen mannigfache Uebelstände mit sich: Zeitverlust,
Kosten, Ärger und Verdruß. Besonders unerfreulich ist es aber, daß die geschilderte
verworrene und unsichere Rechtslage gar nicht selten dazu zwingt, einzelne Fülle
zur Entscheidung der Gerichte zu bringen, um zu erfahren, wie sich diese zu
einer zweifelhaften Rechtsfrage stellen, und so eine feste Grundlage für das
Vorgehen der Verwaltung in ähnlichen Fällen zu schaffen. Dann wird also
irgendein unglückseliger Mensch vor den Richter geschleppt -- meistens natürlich
durch alle Instanzen -- und dabei vielleicht wegen einer Sache, die man sonst
überhaupt nicht beachtet hätte.

Geheimer Rat Freund führt die Zerrissenheit auf dem Gebiet des Wege¬
rechts der Rheinprovinz auf die Kleinstaaterei zurück. Aber, mit Verlaub, diese
kann doch höchstens die Entstehung jener Zerrissenheit erklären, aber nicht, daß
sie bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist. Hieran ist doch nur die
preußische Verwaltung schuld, d. h. die in ihr jeweilig maßgebenden Personen,
die es nicht verstanden haben, Wandel zu schaffen. Das beweist grade auch
die neuere Geschichte unsrer Wegegesetzgebung. Und das gilt überhaupt von der
Rückständigkeit unsrer Gesetzgebung. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Schul¬
gesetzgebung. Unsre Schulverwaltung hat wohl immer die Notwendigkeit erkannt,
ein brauchbares Schulgesetz zu schaffen, und deshalb auch genug Anläufe dazu
gemacht. Wenn ich nicht irre, sind bis zum Minsterium Fakel sechs Entwürfe eines
allgemeinen Schulgesetzes ausgearbeitet worden. Nachher kamen noch drei hinzu.
Aber keiner dieser Entwürfe ist Gesetzgeworden; die meisten haben die Akten des
Ministeriums überhaupt nicht verlassen. Anfangs konnte man sich über den Träger
der Schullasten nicht einigen. Manche wollten die "bewährte" Hausvätersozietät
des Laudrechts nicht aufgeben. Dabei gibt es keine unpraktischere und unbrauchbarere
Grundlage für die Schulunterhältung als diese, wovon man sich aus deu Erfahrungen
mit der französischen Gesetzgebung in der Rheinprovinz leicht Hütte überzeugen
köunen. Dann begann man, das Schulrecht provinziell zu regeln, kam aber
nicht weit, weil man nicht den Mut hatte, fest dnrchzugreifen und mit allem
alten unbrauchbaren Wust aufzuräumen. Später war die Neuordnung des
Schulrechts aus einer rein verwalwngstechnischen Angelegenheit, die sie immer
hätte bleiben müssen, eine politische geworden und so kam man bei den
bestehenden Pnrteiverhültnissen zunächst überhaupt zu keinen: Ergebnis auf diesem
Gebiet. Inzwischen hatte man aber durch einzelne Gesetze das Pensionswesen,
dann die Gehaltsverhältnisse und endlich die Versorgung der Hinterbliebenen
der Lehrer mit Aufwendung großer Staatsmittel neu geregelt und damit den Karren
erst recht festgefahren. Denn so verdienstvoll diese Gesetzgebung im einzelnen
auch war, sie hat doch die Fortbildung der Schulgesetzgebung im allgemeinen
geschädigt, da sich die Schulverwaltung mit diesen Gesetzen ihre besten Trümpfe


Die preußische verwalwngsgesetzgebung

von zwei und einem halben Silbergroschen für jedes Kind ein nach dem Alter
abgestuftes erhoben werden dürfe.

Für die Bevölkerung bringt diese Rechtsunsicherheit selbswerständlich schon
unter gewöhnlichen Verhältnissen mannigfache Uebelstände mit sich: Zeitverlust,
Kosten, Ärger und Verdruß. Besonders unerfreulich ist es aber, daß die geschilderte
verworrene und unsichere Rechtslage gar nicht selten dazu zwingt, einzelne Fülle
zur Entscheidung der Gerichte zu bringen, um zu erfahren, wie sich diese zu
einer zweifelhaften Rechtsfrage stellen, und so eine feste Grundlage für das
Vorgehen der Verwaltung in ähnlichen Fällen zu schaffen. Dann wird also
irgendein unglückseliger Mensch vor den Richter geschleppt — meistens natürlich
durch alle Instanzen — und dabei vielleicht wegen einer Sache, die man sonst
überhaupt nicht beachtet hätte.

Geheimer Rat Freund führt die Zerrissenheit auf dem Gebiet des Wege¬
rechts der Rheinprovinz auf die Kleinstaaterei zurück. Aber, mit Verlaub, diese
kann doch höchstens die Entstehung jener Zerrissenheit erklären, aber nicht, daß
sie bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist. Hieran ist doch nur die
preußische Verwaltung schuld, d. h. die in ihr jeweilig maßgebenden Personen,
die es nicht verstanden haben, Wandel zu schaffen. Das beweist grade auch
die neuere Geschichte unsrer Wegegesetzgebung. Und das gilt überhaupt von der
Rückständigkeit unsrer Gesetzgebung. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Schul¬
gesetzgebung. Unsre Schulverwaltung hat wohl immer die Notwendigkeit erkannt,
ein brauchbares Schulgesetz zu schaffen, und deshalb auch genug Anläufe dazu
gemacht. Wenn ich nicht irre, sind bis zum Minsterium Fakel sechs Entwürfe eines
allgemeinen Schulgesetzes ausgearbeitet worden. Nachher kamen noch drei hinzu.
Aber keiner dieser Entwürfe ist Gesetzgeworden; die meisten haben die Akten des
Ministeriums überhaupt nicht verlassen. Anfangs konnte man sich über den Träger
der Schullasten nicht einigen. Manche wollten die „bewährte" Hausvätersozietät
des Laudrechts nicht aufgeben. Dabei gibt es keine unpraktischere und unbrauchbarere
Grundlage für die Schulunterhältung als diese, wovon man sich aus deu Erfahrungen
mit der französischen Gesetzgebung in der Rheinprovinz leicht Hütte überzeugen
köunen. Dann begann man, das Schulrecht provinziell zu regeln, kam aber
nicht weit, weil man nicht den Mut hatte, fest dnrchzugreifen und mit allem
alten unbrauchbaren Wust aufzuräumen. Später war die Neuordnung des
Schulrechts aus einer rein verwalwngstechnischen Angelegenheit, die sie immer
hätte bleiben müssen, eine politische geworden und so kam man bei den
bestehenden Pnrteiverhültnissen zunächst überhaupt zu keinen: Ergebnis auf diesem
Gebiet. Inzwischen hatte man aber durch einzelne Gesetze das Pensionswesen,
dann die Gehaltsverhältnisse und endlich die Versorgung der Hinterbliebenen
der Lehrer mit Aufwendung großer Staatsmittel neu geregelt und damit den Karren
erst recht festgefahren. Denn so verdienstvoll diese Gesetzgebung im einzelnen
auch war, sie hat doch die Fortbildung der Schulgesetzgebung im allgemeinen
geschädigt, da sich die Schulverwaltung mit diesen Gesetzen ihre besten Trümpfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/315>, abgerufen am 22.12.2024.