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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Grundlagen aufgebaut sind. Eine Darstellung dieses "Rechts", die ein Landrat
"zum Gebrauch in der Praxis" verfaßt hat, ist ein Buch von nicht weniger als
724 Seiten! In Schlesien ist noch jetzt eine Wegeordnung von 1767 voll
in Kraft, obwohl sich auch ihre wirtschaftlichen und sonstigen Grundlagen in¬
zwischen ganz geändert haben. Ähnlich war es bis vor kurzem fast überall
und ist es jetzt noch in den meisten alten Provinzen. Und noch ist nicht ab¬
zusehen, wann einmal dieser jammervolle Zustand endgültig beseitigt sein wird.
Dabei hat man nach den Erfahrungen in Hannover und Frankreich immer an¬
erkennen müssen, daß eine gute Wegegesetzgebung eine unerläßliche Voraussetzung
für ein gut geordnetes Wegewesen ist.

Am schlimmsten waren aber bisher die Zustände auf dem Gebiet des
Schulrechts in den alten Provinzen. Daß sich solche Verhältnisse bis in die
letzten Jahre erhalten konnten, wird ein unauslöschlicher Flecken in der Geschichte
der preußischen Bureaukratie bleiben. Fast jede Provinz hatte ihr eigenes Recht
oder es gab doch in jeder Provinz neben einen: allgemeinen Schulrecht noch
besondre provinzielle Vorschriften. Und alles das war veraltet und höchst unklar
und zweifelhaft. Dies gilt namentlich von der Unterlage der Schulunterhaltungs-
pflicht, die im größten Teil des Ostens auf der Hausvätersozietät aufgebaut war.

Besonders reizvoll waren die Zustände in Schlesien. Dort galt für katholische
Schulen ein andres Recht als für evangelische. Dabei wurde der Konfessions¬
charakter der Schulen im einzelnen Fall dnrch ein Merkmal bestimmt, das sich
in manchen Gegenden fortwährend verschob, so daß dort dieselbe Schule zu
verschiedenen Zeiten nach verschiedenem Recht zu beurteilen war. Beide Rechts¬
systeme waren zudem lückenhaft und entsprachen schon seit langen Jahrzehnten
nicht mehr den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und deu verwaltungs¬
technischen Anforderungen. Verschlimmert wurde der Zustand durch zahlreiche
ergänzende Gesetze, Edikte, landesherrliche Verordnungen, Landtagsabschiede,
Staatsverträge usw. Alls diesem Wirrwarr hatte sich allerdings allmählich eine
Praxis herausgebildet, mit der man schlecht und recht auskam. Aber das
Oberverwaltungsgericht störte diesen Frieden bald, indem es mit zutreffender
Begründung diese Praxis als ungesetzlich verwarf. Null entstand für eine
geraume Zeit ein vollständiges Durcheinander; niemand wußte mehr, was rechtens
war. Erst langsam kam es durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts
wieder zu einigermaßen festen Rechtsgrundlagen. Aber um welchen Preis! Wie
einfach war dagegen die Lage auf dem linken Rheinufer. Dort hatte die
französische Gesetzgebung durch ein paar Zeilen die Schulunterhaltungslast einfach
der politischen Gemeinde übertragen und so mit einem Schlage eine klare und
praktisch brauchbare Grundlage für die Schulverwaltung geschaffen, zumal da sie
auch das Gemeindewesen wenigstens verwaltungstechnisch befriedigend geregelt
hatte. Die preußische Schulverwaltung konnte nun nach der Besitzergreifung in
ein paar Jahren selbst in den ärmsten Gegenden der Eifel und des Hunsrücks
die oft sehr traurigen Schnlverhälrilisse mit Leichtigkeit neu ordnen.


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Grundlagen aufgebaut sind. Eine Darstellung dieses „Rechts", die ein Landrat
„zum Gebrauch in der Praxis" verfaßt hat, ist ein Buch von nicht weniger als
724 Seiten! In Schlesien ist noch jetzt eine Wegeordnung von 1767 voll
in Kraft, obwohl sich auch ihre wirtschaftlichen und sonstigen Grundlagen in¬
zwischen ganz geändert haben. Ähnlich war es bis vor kurzem fast überall
und ist es jetzt noch in den meisten alten Provinzen. Und noch ist nicht ab¬
zusehen, wann einmal dieser jammervolle Zustand endgültig beseitigt sein wird.
Dabei hat man nach den Erfahrungen in Hannover und Frankreich immer an¬
erkennen müssen, daß eine gute Wegegesetzgebung eine unerläßliche Voraussetzung
für ein gut geordnetes Wegewesen ist.

Am schlimmsten waren aber bisher die Zustände auf dem Gebiet des
Schulrechts in den alten Provinzen. Daß sich solche Verhältnisse bis in die
letzten Jahre erhalten konnten, wird ein unauslöschlicher Flecken in der Geschichte
der preußischen Bureaukratie bleiben. Fast jede Provinz hatte ihr eigenes Recht
oder es gab doch in jeder Provinz neben einen: allgemeinen Schulrecht noch
besondre provinzielle Vorschriften. Und alles das war veraltet und höchst unklar
und zweifelhaft. Dies gilt namentlich von der Unterlage der Schulunterhaltungs-
pflicht, die im größten Teil des Ostens auf der Hausvätersozietät aufgebaut war.

Besonders reizvoll waren die Zustände in Schlesien. Dort galt für katholische
Schulen ein andres Recht als für evangelische. Dabei wurde der Konfessions¬
charakter der Schulen im einzelnen Fall dnrch ein Merkmal bestimmt, das sich
in manchen Gegenden fortwährend verschob, so daß dort dieselbe Schule zu
verschiedenen Zeiten nach verschiedenem Recht zu beurteilen war. Beide Rechts¬
systeme waren zudem lückenhaft und entsprachen schon seit langen Jahrzehnten
nicht mehr den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und deu verwaltungs¬
technischen Anforderungen. Verschlimmert wurde der Zustand durch zahlreiche
ergänzende Gesetze, Edikte, landesherrliche Verordnungen, Landtagsabschiede,
Staatsverträge usw. Alls diesem Wirrwarr hatte sich allerdings allmählich eine
Praxis herausgebildet, mit der man schlecht und recht auskam. Aber das
Oberverwaltungsgericht störte diesen Frieden bald, indem es mit zutreffender
Begründung diese Praxis als ungesetzlich verwarf. Null entstand für eine
geraume Zeit ein vollständiges Durcheinander; niemand wußte mehr, was rechtens
war. Erst langsam kam es durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts
wieder zu einigermaßen festen Rechtsgrundlagen. Aber um welchen Preis! Wie
einfach war dagegen die Lage auf dem linken Rheinufer. Dort hatte die
französische Gesetzgebung durch ein paar Zeilen die Schulunterhaltungslast einfach
der politischen Gemeinde übertragen und so mit einem Schlage eine klare und
praktisch brauchbare Grundlage für die Schulverwaltung geschaffen, zumal da sie
auch das Gemeindewesen wenigstens verwaltungstechnisch befriedigend geregelt
hatte. Die preußische Schulverwaltung konnte nun nach der Besitzergreifung in
ein paar Jahren selbst in den ärmsten Gegenden der Eifel und des Hunsrücks
die oft sehr traurigen Schnlverhälrilisse mit Leichtigkeit neu ordnen.


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[0313] Die preußische vcrwalt>mgsge,setzgcbimg Grundlagen aufgebaut sind. Eine Darstellung dieses „Rechts", die ein Landrat „zum Gebrauch in der Praxis" verfaßt hat, ist ein Buch von nicht weniger als 724 Seiten! In Schlesien ist noch jetzt eine Wegeordnung von 1767 voll in Kraft, obwohl sich auch ihre wirtschaftlichen und sonstigen Grundlagen in¬ zwischen ganz geändert haben. Ähnlich war es bis vor kurzem fast überall und ist es jetzt noch in den meisten alten Provinzen. Und noch ist nicht ab¬ zusehen, wann einmal dieser jammervolle Zustand endgültig beseitigt sein wird. Dabei hat man nach den Erfahrungen in Hannover und Frankreich immer an¬ erkennen müssen, daß eine gute Wegegesetzgebung eine unerläßliche Voraussetzung für ein gut geordnetes Wegewesen ist. Am schlimmsten waren aber bisher die Zustände auf dem Gebiet des Schulrechts in den alten Provinzen. Daß sich solche Verhältnisse bis in die letzten Jahre erhalten konnten, wird ein unauslöschlicher Flecken in der Geschichte der preußischen Bureaukratie bleiben. Fast jede Provinz hatte ihr eigenes Recht oder es gab doch in jeder Provinz neben einen: allgemeinen Schulrecht noch besondre provinzielle Vorschriften. Und alles das war veraltet und höchst unklar und zweifelhaft. Dies gilt namentlich von der Unterlage der Schulunterhaltungs- pflicht, die im größten Teil des Ostens auf der Hausvätersozietät aufgebaut war. Besonders reizvoll waren die Zustände in Schlesien. Dort galt für katholische Schulen ein andres Recht als für evangelische. Dabei wurde der Konfessions¬ charakter der Schulen im einzelnen Fall dnrch ein Merkmal bestimmt, das sich in manchen Gegenden fortwährend verschob, so daß dort dieselbe Schule zu verschiedenen Zeiten nach verschiedenem Recht zu beurteilen war. Beide Rechts¬ systeme waren zudem lückenhaft und entsprachen schon seit langen Jahrzehnten nicht mehr den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und deu verwaltungs¬ technischen Anforderungen. Verschlimmert wurde der Zustand durch zahlreiche ergänzende Gesetze, Edikte, landesherrliche Verordnungen, Landtagsabschiede, Staatsverträge usw. Alls diesem Wirrwarr hatte sich allerdings allmählich eine Praxis herausgebildet, mit der man schlecht und recht auskam. Aber das Oberverwaltungsgericht störte diesen Frieden bald, indem es mit zutreffender Begründung diese Praxis als ungesetzlich verwarf. Null entstand für eine geraume Zeit ein vollständiges Durcheinander; niemand wußte mehr, was rechtens war. Erst langsam kam es durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts wieder zu einigermaßen festen Rechtsgrundlagen. Aber um welchen Preis! Wie einfach war dagegen die Lage auf dem linken Rheinufer. Dort hatte die französische Gesetzgebung durch ein paar Zeilen die Schulunterhaltungslast einfach der politischen Gemeinde übertragen und so mit einem Schlage eine klare und praktisch brauchbare Grundlage für die Schulverwaltung geschaffen, zumal da sie auch das Gemeindewesen wenigstens verwaltungstechnisch befriedigend geregelt hatte. Die preußische Schulverwaltung konnte nun nach der Besitzergreifung in ein paar Jahren selbst in den ärmsten Gegenden der Eifel und des Hunsrücks die oft sehr traurigen Schnlverhälrilisse mit Leichtigkeit neu ordnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/313>, abgerufen am 24.07.2024.