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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Tschang Thesis-tung

zu der englischen Übersetzung von Tschang Thesis-tungs Broschüre mit dem
Titel "Lernt!" bekundet. Aber Tschang erwidert diese Liebe keineswegs in
gleichem Maße. Im Gegenteil, er hat bis zuletzt an der Auffassung festgehalten,
daß es nicht geraten sei, den aus Missionsschüler hervorgehenden jungen Leuten
gleiche politische Rechte einzuräumen, wie denen, die ihre Bildung auf den
nach westländischem Muster eingerichteten Regierungsschulen erworben haben.

Für die Einrichtung dieser neuen Anstalten hat sich Tschang mit dem ganzen
Gewichte seiner Persönlichkeit eingesetzt, und das war ein Glück für China.
Duar Sebib-kai hätte mit all seiner Willenskraft nicht dasselbe zu erreichen ver¬
mocht, weil er nicht über die gleiche chinesische Bildung verfügte wie sein Kollege,
weshalb er ein weit geringeres Ausehen bei den einflußreichen Literaten besaß.
Ganz anders war es mit Tschang Thesis-tung, der im Jahre 1863 von allen
Prüfungen des ganzen Jahrgangs aus dem gesamten Reiche der Mitte als
Drittbester durch das schwere letzte Examen in Peking gegangen war, und dem
man zeitlebens eine außergewöhnliche Belesenheit in den verehrten Klassiker!
nachrühmte. Als ein solcher Mann sich veranlaßt sah, in der Schulbilduugs-
frage das Steuer völlig herumzuwerfen, da wurde kein ernsthafter Widerspruch
dagegen laut, so sehr verwundert über einen derartigen Wandel der Zeiten auch
mancher verbohrte Literat sein mochte.

Von Tschangs äußerem Lebensgange kann für europäische Leser nur wenig
von Interesse sein. Er war Generalgouverueur (Vizekönig) in Kanton sowie in
Wutschang am Uangtzekiang, außerdem auch stellvertretend in Nanking. Am
meisten hervorgetreten ist er in Wutschang, weil er dort oder vielmehr in dem
Nachbarorte Hcmyang alle möglichen Fabriken, Gießereien und dergleichen
errichtete, um China darin auf eigene Füße zu stellen. Die meisten Anlagen
dieser Art wollten aber nicht recht gedeihen. Als Beamter und Gelehrter
verstand Tschang selbst zu wenig von solchen Dingen, und überdies fehlte es
ihm häufig an Geld, denn er gehörte zu den höchst selten vorkommenden hohen
Mandarinen, die es grundsätzlich verschmähen, sich auf Unrechtmäßige und
unsaubere Art zu bereichern.

Vor zwei Jahren wurde der Verstorbene in den Großen Rat nach Peking
berufen, ungefähr um dieselbe Zeit wie Man Sebib-kai. Nachdem dieser ver-
bannt und Tschang nicht mehr am Leben ist, haben die Mandschuren in der
genannten ersten beratenden Körperschaft des Reiches ein starkes Übergewicht.
Obgleich nun, wie schon bemerkt ist, die Generalgouverneure, unter denen sich
manche Chinesen befinden, viel einflußreichere Posten einnehmen als die Groß-
würdentrüger in Peking, so haben die Chinesen doch zu alle" Zeiten eifersüchtig
darauf geachtet, daß immer einige ihrer eigentlichen Lnndsleute in den Großen
Rat kommen. Die Negierung würde deshalb weise handeln, wenn sie dies
berücksichtigte.

Von ausländischer Seite soll es Tschang Thesis-tung unvergessen bleiben,
daß er im Sommer des Jahres 1900 die in Peking befolgte unkluge und


Tschang Thesis-tung

zu der englischen Übersetzung von Tschang Thesis-tungs Broschüre mit dem
Titel „Lernt!" bekundet. Aber Tschang erwidert diese Liebe keineswegs in
gleichem Maße. Im Gegenteil, er hat bis zuletzt an der Auffassung festgehalten,
daß es nicht geraten sei, den aus Missionsschüler hervorgehenden jungen Leuten
gleiche politische Rechte einzuräumen, wie denen, die ihre Bildung auf den
nach westländischem Muster eingerichteten Regierungsschulen erworben haben.

Für die Einrichtung dieser neuen Anstalten hat sich Tschang mit dem ganzen
Gewichte seiner Persönlichkeit eingesetzt, und das war ein Glück für China.
Duar Sebib-kai hätte mit all seiner Willenskraft nicht dasselbe zu erreichen ver¬
mocht, weil er nicht über die gleiche chinesische Bildung verfügte wie sein Kollege,
weshalb er ein weit geringeres Ausehen bei den einflußreichen Literaten besaß.
Ganz anders war es mit Tschang Thesis-tung, der im Jahre 1863 von allen
Prüfungen des ganzen Jahrgangs aus dem gesamten Reiche der Mitte als
Drittbester durch das schwere letzte Examen in Peking gegangen war, und dem
man zeitlebens eine außergewöhnliche Belesenheit in den verehrten Klassiker!
nachrühmte. Als ein solcher Mann sich veranlaßt sah, in der Schulbilduugs-
frage das Steuer völlig herumzuwerfen, da wurde kein ernsthafter Widerspruch
dagegen laut, so sehr verwundert über einen derartigen Wandel der Zeiten auch
mancher verbohrte Literat sein mochte.

Von Tschangs äußerem Lebensgange kann für europäische Leser nur wenig
von Interesse sein. Er war Generalgouverueur (Vizekönig) in Kanton sowie in
Wutschang am Uangtzekiang, außerdem auch stellvertretend in Nanking. Am
meisten hervorgetreten ist er in Wutschang, weil er dort oder vielmehr in dem
Nachbarorte Hcmyang alle möglichen Fabriken, Gießereien und dergleichen
errichtete, um China darin auf eigene Füße zu stellen. Die meisten Anlagen
dieser Art wollten aber nicht recht gedeihen. Als Beamter und Gelehrter
verstand Tschang selbst zu wenig von solchen Dingen, und überdies fehlte es
ihm häufig an Geld, denn er gehörte zu den höchst selten vorkommenden hohen
Mandarinen, die es grundsätzlich verschmähen, sich auf Unrechtmäßige und
unsaubere Art zu bereichern.

Vor zwei Jahren wurde der Verstorbene in den Großen Rat nach Peking
berufen, ungefähr um dieselbe Zeit wie Man Sebib-kai. Nachdem dieser ver-
bannt und Tschang nicht mehr am Leben ist, haben die Mandschuren in der
genannten ersten beratenden Körperschaft des Reiches ein starkes Übergewicht.
Obgleich nun, wie schon bemerkt ist, die Generalgouverneure, unter denen sich
manche Chinesen befinden, viel einflußreichere Posten einnehmen als die Groß-
würdentrüger in Peking, so haben die Chinesen doch zu alle» Zeiten eifersüchtig
darauf geachtet, daß immer einige ihrer eigentlichen Lnndsleute in den Großen
Rat kommen. Die Negierung würde deshalb weise handeln, wenn sie dies
berücksichtigte.

Von ausländischer Seite soll es Tschang Thesis-tung unvergessen bleiben,
daß er im Sommer des Jahres 1900 die in Peking befolgte unkluge und


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[0303] Tschang Thesis-tung zu der englischen Übersetzung von Tschang Thesis-tungs Broschüre mit dem Titel „Lernt!" bekundet. Aber Tschang erwidert diese Liebe keineswegs in gleichem Maße. Im Gegenteil, er hat bis zuletzt an der Auffassung festgehalten, daß es nicht geraten sei, den aus Missionsschüler hervorgehenden jungen Leuten gleiche politische Rechte einzuräumen, wie denen, die ihre Bildung auf den nach westländischem Muster eingerichteten Regierungsschulen erworben haben. Für die Einrichtung dieser neuen Anstalten hat sich Tschang mit dem ganzen Gewichte seiner Persönlichkeit eingesetzt, und das war ein Glück für China. Duar Sebib-kai hätte mit all seiner Willenskraft nicht dasselbe zu erreichen ver¬ mocht, weil er nicht über die gleiche chinesische Bildung verfügte wie sein Kollege, weshalb er ein weit geringeres Ausehen bei den einflußreichen Literaten besaß. Ganz anders war es mit Tschang Thesis-tung, der im Jahre 1863 von allen Prüfungen des ganzen Jahrgangs aus dem gesamten Reiche der Mitte als Drittbester durch das schwere letzte Examen in Peking gegangen war, und dem man zeitlebens eine außergewöhnliche Belesenheit in den verehrten Klassiker! nachrühmte. Als ein solcher Mann sich veranlaßt sah, in der Schulbilduugs- frage das Steuer völlig herumzuwerfen, da wurde kein ernsthafter Widerspruch dagegen laut, so sehr verwundert über einen derartigen Wandel der Zeiten auch mancher verbohrte Literat sein mochte. Von Tschangs äußerem Lebensgange kann für europäische Leser nur wenig von Interesse sein. Er war Generalgouverueur (Vizekönig) in Kanton sowie in Wutschang am Uangtzekiang, außerdem auch stellvertretend in Nanking. Am meisten hervorgetreten ist er in Wutschang, weil er dort oder vielmehr in dem Nachbarorte Hcmyang alle möglichen Fabriken, Gießereien und dergleichen errichtete, um China darin auf eigene Füße zu stellen. Die meisten Anlagen dieser Art wollten aber nicht recht gedeihen. Als Beamter und Gelehrter verstand Tschang selbst zu wenig von solchen Dingen, und überdies fehlte es ihm häufig an Geld, denn er gehörte zu den höchst selten vorkommenden hohen Mandarinen, die es grundsätzlich verschmähen, sich auf Unrechtmäßige und unsaubere Art zu bereichern. Vor zwei Jahren wurde der Verstorbene in den Großen Rat nach Peking berufen, ungefähr um dieselbe Zeit wie Man Sebib-kai. Nachdem dieser ver- bannt und Tschang nicht mehr am Leben ist, haben die Mandschuren in der genannten ersten beratenden Körperschaft des Reiches ein starkes Übergewicht. Obgleich nun, wie schon bemerkt ist, die Generalgouverneure, unter denen sich manche Chinesen befinden, viel einflußreichere Posten einnehmen als die Groß- würdentrüger in Peking, so haben die Chinesen doch zu alle» Zeiten eifersüchtig darauf geachtet, daß immer einige ihrer eigentlichen Lnndsleute in den Großen Rat kommen. Die Negierung würde deshalb weise handeln, wenn sie dies berücksichtigte. Von ausländischer Seite soll es Tschang Thesis-tung unvergessen bleiben, daß er im Sommer des Jahres 1900 die in Peking befolgte unkluge und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/303>, abgerufen am 04.07.2024.