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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Aunstfälschungen

Ewer meiner Bekannten besaß ein kleines Bild von Vollon, das er eines
Tages einem Freunde zum Hochzeitsgeschenk machte. Irgend jemand erregte
bei dem neuen Besitzer Zweifel an der Echtheit, und um sich Gewißheit zu
verschaffen, trug der Mann das Bild zu Vollon und fragte ihn, ob es von ihm
sei. Statt aller Antwort nahm der Künstler ein Messer und riß die Leinwand
von einer Ecke zur andern quer durch, also daß das Bild in vier traurigen
Fetzen aus dem Rahmen hing. In diesem Zustande wurde es meinem Be¬
kannten mit einen: Berichte der näheren Umstände gebracht. Da der Mann
sich nicht nur in seiner Eigenschaft als Kenner, sondern auch ein wenig in seiner
Rechtschaffenheit angegriffen sah, machte er sich auf die Jagd nach dem früheren
Besitzer und verfolgte, nachdem er diesen gefunden hatte, die Wanderungen
des Bildes aus einer Hand in die andere. Endlich kam er an einen Bilder-
rcchmenmacher, der beim Anblick des zerschnittenen Bildes und nach Anhören
des Berichtes vor Verblüffung außer sich kam, alsbald mit meinem Bekannten
zu Vollon eilte und dein Maler alle näheren Umstände ins Gedächtnis zurück¬
rief, wie er ihm vor so und so vielen Jahren, um dein Rahmenmacher seine
Zufriedenheit zu bezeigen, erlaubt habe, sich unter einen Haufen Skizzen die ihm
am besten gefallende auszusuchen, worauf er daun die hier zerschnittene gewählt
habe. Und auch hier mußte der Künstler eingestehen, daß er sich geirrt und
seine eigene Arbeit nicht wiedererkannt hatte.

Ich meine, diese Beispiele genügen. Ich habe nicht erst von den tausend
und aber tausend Irrtümern reden wollen, die den Händlern, den Sach¬
verständigen, den Muscumsbeamten passieren. Wie sollen diese Leute sich nicht
irren, wenn die Künstler sich bei ihren eigenen Arbeiten irren? Ich halte es
einfach für ausgeschlossen, daß ein sogenannter Sachverständiger, dem nicht
dokumentarische oder andere Nebenbeweise zur Verfügung stehen, aus der rein
künstlerischen Beschaffenheit eines Werkes seine Echtheit oder Uncchtheit beweisen
oder versichern könnte. Und am allerwenigsten ist dies mit Bezug auf Kunst¬
werke möglich, die ohne Zweifel der Zeit des Meisters, dem sie zugeschrieben
oder abgesprochen werden, angehören. Mir fällt dabei wieder ein zeitgenössisches
Beispiel ein: Der brave alte Vater Corot nämlich, der in seinen: Leben mehrere
tausend Bilder gemalt hat, der aber zehnmal länger hätte leben und arbeiten
müssen, um alle die unter seinem Namen in öffentlichen und privaten Sammlungen
befindlichen Bilder malen zu können. Corot war sozusagen sein eigener Fälscher:
er setzte seine Unterschrift auf Bilder, die er nicht gemalt hatte, und auch da?
geschieht viel häufiger, als das brave Publikum sich träumen läßt. Bei Corot
geschah es allerdings nur aus reiner Gutmütigkeit: er hatte mehrere Freunde,
darunter einen gewissen de Villers, die ganz in der Art Corots malten und
ihre Bilder dem Meister zur Begutachtung zu bringen pflegten. Der Alte er¬
griff dann wohl den Pinsel, brachte ein paar Striche an und putzte die Geschichte
mehr oder weniger zusammen. War er damit fertig, so sagte de Villers:
"Lieber alter Kamerad, sei doch so gut und schreib deinen Namen darauf:


Aunstfälschungen

Ewer meiner Bekannten besaß ein kleines Bild von Vollon, das er eines
Tages einem Freunde zum Hochzeitsgeschenk machte. Irgend jemand erregte
bei dem neuen Besitzer Zweifel an der Echtheit, und um sich Gewißheit zu
verschaffen, trug der Mann das Bild zu Vollon und fragte ihn, ob es von ihm
sei. Statt aller Antwort nahm der Künstler ein Messer und riß die Leinwand
von einer Ecke zur andern quer durch, also daß das Bild in vier traurigen
Fetzen aus dem Rahmen hing. In diesem Zustande wurde es meinem Be¬
kannten mit einen: Berichte der näheren Umstände gebracht. Da der Mann
sich nicht nur in seiner Eigenschaft als Kenner, sondern auch ein wenig in seiner
Rechtschaffenheit angegriffen sah, machte er sich auf die Jagd nach dem früheren
Besitzer und verfolgte, nachdem er diesen gefunden hatte, die Wanderungen
des Bildes aus einer Hand in die andere. Endlich kam er an einen Bilder-
rcchmenmacher, der beim Anblick des zerschnittenen Bildes und nach Anhören
des Berichtes vor Verblüffung außer sich kam, alsbald mit meinem Bekannten
zu Vollon eilte und dein Maler alle näheren Umstände ins Gedächtnis zurück¬
rief, wie er ihm vor so und so vielen Jahren, um dein Rahmenmacher seine
Zufriedenheit zu bezeigen, erlaubt habe, sich unter einen Haufen Skizzen die ihm
am besten gefallende auszusuchen, worauf er daun die hier zerschnittene gewählt
habe. Und auch hier mußte der Künstler eingestehen, daß er sich geirrt und
seine eigene Arbeit nicht wiedererkannt hatte.

Ich meine, diese Beispiele genügen. Ich habe nicht erst von den tausend
und aber tausend Irrtümern reden wollen, die den Händlern, den Sach¬
verständigen, den Muscumsbeamten passieren. Wie sollen diese Leute sich nicht
irren, wenn die Künstler sich bei ihren eigenen Arbeiten irren? Ich halte es
einfach für ausgeschlossen, daß ein sogenannter Sachverständiger, dem nicht
dokumentarische oder andere Nebenbeweise zur Verfügung stehen, aus der rein
künstlerischen Beschaffenheit eines Werkes seine Echtheit oder Uncchtheit beweisen
oder versichern könnte. Und am allerwenigsten ist dies mit Bezug auf Kunst¬
werke möglich, die ohne Zweifel der Zeit des Meisters, dem sie zugeschrieben
oder abgesprochen werden, angehören. Mir fällt dabei wieder ein zeitgenössisches
Beispiel ein: Der brave alte Vater Corot nämlich, der in seinen: Leben mehrere
tausend Bilder gemalt hat, der aber zehnmal länger hätte leben und arbeiten
müssen, um alle die unter seinem Namen in öffentlichen und privaten Sammlungen
befindlichen Bilder malen zu können. Corot war sozusagen sein eigener Fälscher:
er setzte seine Unterschrift auf Bilder, die er nicht gemalt hatte, und auch da?
geschieht viel häufiger, als das brave Publikum sich träumen läßt. Bei Corot
geschah es allerdings nur aus reiner Gutmütigkeit: er hatte mehrere Freunde,
darunter einen gewissen de Villers, die ganz in der Art Corots malten und
ihre Bilder dem Meister zur Begutachtung zu bringen pflegten. Der Alte er¬
griff dann wohl den Pinsel, brachte ein paar Striche an und putzte die Geschichte
mehr oder weniger zusammen. War er damit fertig, so sagte de Villers:
„Lieber alter Kamerad, sei doch so gut und schreib deinen Namen darauf:


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[0028] Aunstfälschungen Ewer meiner Bekannten besaß ein kleines Bild von Vollon, das er eines Tages einem Freunde zum Hochzeitsgeschenk machte. Irgend jemand erregte bei dem neuen Besitzer Zweifel an der Echtheit, und um sich Gewißheit zu verschaffen, trug der Mann das Bild zu Vollon und fragte ihn, ob es von ihm sei. Statt aller Antwort nahm der Künstler ein Messer und riß die Leinwand von einer Ecke zur andern quer durch, also daß das Bild in vier traurigen Fetzen aus dem Rahmen hing. In diesem Zustande wurde es meinem Be¬ kannten mit einen: Berichte der näheren Umstände gebracht. Da der Mann sich nicht nur in seiner Eigenschaft als Kenner, sondern auch ein wenig in seiner Rechtschaffenheit angegriffen sah, machte er sich auf die Jagd nach dem früheren Besitzer und verfolgte, nachdem er diesen gefunden hatte, die Wanderungen des Bildes aus einer Hand in die andere. Endlich kam er an einen Bilder- rcchmenmacher, der beim Anblick des zerschnittenen Bildes und nach Anhören des Berichtes vor Verblüffung außer sich kam, alsbald mit meinem Bekannten zu Vollon eilte und dein Maler alle näheren Umstände ins Gedächtnis zurück¬ rief, wie er ihm vor so und so vielen Jahren, um dein Rahmenmacher seine Zufriedenheit zu bezeigen, erlaubt habe, sich unter einen Haufen Skizzen die ihm am besten gefallende auszusuchen, worauf er daun die hier zerschnittene gewählt habe. Und auch hier mußte der Künstler eingestehen, daß er sich geirrt und seine eigene Arbeit nicht wiedererkannt hatte. Ich meine, diese Beispiele genügen. Ich habe nicht erst von den tausend und aber tausend Irrtümern reden wollen, die den Händlern, den Sach¬ verständigen, den Muscumsbeamten passieren. Wie sollen diese Leute sich nicht irren, wenn die Künstler sich bei ihren eigenen Arbeiten irren? Ich halte es einfach für ausgeschlossen, daß ein sogenannter Sachverständiger, dem nicht dokumentarische oder andere Nebenbeweise zur Verfügung stehen, aus der rein künstlerischen Beschaffenheit eines Werkes seine Echtheit oder Uncchtheit beweisen oder versichern könnte. Und am allerwenigsten ist dies mit Bezug auf Kunst¬ werke möglich, die ohne Zweifel der Zeit des Meisters, dem sie zugeschrieben oder abgesprochen werden, angehören. Mir fällt dabei wieder ein zeitgenössisches Beispiel ein: Der brave alte Vater Corot nämlich, der in seinen: Leben mehrere tausend Bilder gemalt hat, der aber zehnmal länger hätte leben und arbeiten müssen, um alle die unter seinem Namen in öffentlichen und privaten Sammlungen befindlichen Bilder malen zu können. Corot war sozusagen sein eigener Fälscher: er setzte seine Unterschrift auf Bilder, die er nicht gemalt hatte, und auch da? geschieht viel häufiger, als das brave Publikum sich träumen läßt. Bei Corot geschah es allerdings nur aus reiner Gutmütigkeit: er hatte mehrere Freunde, darunter einen gewissen de Villers, die ganz in der Art Corots malten und ihre Bilder dem Meister zur Begutachtung zu bringen pflegten. Der Alte er¬ griff dann wohl den Pinsel, brachte ein paar Striche an und putzte die Geschichte mehr oder weniger zusammen. War er damit fertig, so sagte de Villers: „Lieber alter Kamerad, sei doch so gut und schreib deinen Namen darauf:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/28>, abgerufen am 22.12.2024.