Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Zvmidlungm des Naturcrkennc'us heillosen Durcheinander nach Form und Gestaltung ringender Masse, aus dem "Der Mensch, das göttliche Vernunftgeschöpf, tierischem Stamme entsprossen?" Wenn Darwins Deszendenzlehre seinerzeit sogar die Vorsichtigeren, Bedächtigeren Zvmidlungm des Naturcrkennc'us heillosen Durcheinander nach Form und Gestaltung ringender Masse, aus dem „Der Mensch, das göttliche Vernunftgeschöpf, tierischem Stamme entsprossen?" Wenn Darwins Deszendenzlehre seinerzeit sogar die Vorsichtigeren, Bedächtigeren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315276"/> <fw type="header" place="top"> Zvmidlungm des Naturcrkennc'us</fw><lb/> <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074"> heillosen Durcheinander nach Form und Gestaltung ringender Masse, aus dem<lb/> allgemeinen Entwicklungsbrei hervorgegangen sein? Den Menschen, das ver¬<lb/> hätschelte Schoßkind der Mutter Erde, sollte der Schöpfer uicht eines besonderen<lb/> Schöpfungsaltes gewürdigt haben? Der englische Forscher selbst hatte in seinem<lb/> Erstlingswerk des Menschen mit keinem Wort Erwähnung getan. Darwin wußte<lb/> wohl, daß die Frage nach der Abstammung des Menschen schon auf seiue<lb/> „Entstehung der Arten" so sicher folgen würde, wie der Donner auf den Blitz.<lb/> Aber er schreckte bei seinem ersten, nur zögernd in die Welt hinausgeschickten<lb/> Werk noch davor zurück, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Auch stak er selbst<lb/> noch zu sehr in der Zwangsjacke der Tradition, um sich damals schou öffentlich<lb/> von ihr befreien zu können. Vielleicht — wer weiß? — Wenn er nicht in<lb/> dem bigotten England gelebt Hütte, wären keine weitere zwölf Jahre darüber<lb/> hingegangen, bis er, den Menschen in seine' Deszendenzlehre einschließend, dem<lb/> Faß vollends den Boden ausschlug, indem er auch dein bisher vermuteten Sonder¬<lb/> geschöpf den ihm zukommenden Platz auf der Stufenleiter natürlicher Organismen-<lb/> ausoilduug anwies.</p><lb/> <p xml:id="ID_1076"> „Der Mensch, das göttliche Vernunftgeschöpf, tierischem Stamme entsprossen?"<lb/> „Der Mensch, der Herr und Gebieter über alles, was da kreucht und fleucht<lb/> auf Erden, von dem häßlichen Affen abstammend?" — Dieser einzige Entrüstnngs-<lb/> schrei durchzitterte in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die<lb/> ganze gebildete Welt. Und doch hat weder Darwin selbst, noch irgend sonst<lb/> ein Naturforscher, der sich zu Darwins Anschauung bekannte, von einer Affen-<lb/> abstammung des Menschen je anch nur ein Wort verlauten lassen! Darwin<lb/> hatte ja nur behauptet, daß Menschen und nahe Verwandte der noch jetzt<lb/> lebenden vier Spezies Menschenaffen zu einer weiter zurückgelegenen Epoche der<lb/> Erdkrustenbildung ans einer gemeinsamen Stammform hervorgegangen, ein und<lb/> derselben Wurzel entsprossen sein mußten. Was, von dieser gemeinsamen Stamm¬<lb/> form aufsteigend, sich auf dein Weg zur Affenwerdnng befand, konnte zu keiner<lb/> Zeit mehr Mensch werden, so wenig als eine Stammform der Huftiere, die<lb/> einmal die Entwicklungsbahn des Rhinozeros betreten hatte, zu einem Pferd<lb/> oder Esel werden konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1077" next="#ID_1078"> Wenn Darwins Deszendenzlehre seinerzeit sogar die Vorsichtigeren, Bedächtigeren<lb/> in den allgemeinen Rausch mit hincinriß und für einige Jahrzehnte darin festhielt,<lb/> so geschah dies uicht zum wenigsten deshalb, weil man durch sie mit einen: Male<lb/> den Weg gefunden glaubte, um dem uns zunächst liegenden Schöpfungsrätsel des<lb/> „Zweckmäßiger" auf ganz natürliche Weise beizukommen. Der nimmer rastende<lb/> Kampf ums Dasein besorgt draußen in der Natur im großen, scheinbar beabsichtigt,<lb/> die Zuchtwahl, die wir in den uns zugänglichen Fällen zielbewußt im kleinen<lb/> anwenden, um ganz bestimmte Zwecke zu erreichen. Der so von der Natur<lb/> getroffenen Auslese zufolge bleibt uur immer das am besten ausgerüstete, deu<lb/> auf der Erdoberfläche jeweils herrschenden Lebensbedingungen am besten angepaßte<lb/> Individuum erhalten. Was nicht ankommt, verkümmert, muß mit naturgesetzlicher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Zvmidlungm des Naturcrkennc'us
heillosen Durcheinander nach Form und Gestaltung ringender Masse, aus dem
allgemeinen Entwicklungsbrei hervorgegangen sein? Den Menschen, das ver¬
hätschelte Schoßkind der Mutter Erde, sollte der Schöpfer uicht eines besonderen
Schöpfungsaltes gewürdigt haben? Der englische Forscher selbst hatte in seinem
Erstlingswerk des Menschen mit keinem Wort Erwähnung getan. Darwin wußte
wohl, daß die Frage nach der Abstammung des Menschen schon auf seiue
„Entstehung der Arten" so sicher folgen würde, wie der Donner auf den Blitz.
Aber er schreckte bei seinem ersten, nur zögernd in die Welt hinausgeschickten
Werk noch davor zurück, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Auch stak er selbst
noch zu sehr in der Zwangsjacke der Tradition, um sich damals schou öffentlich
von ihr befreien zu können. Vielleicht — wer weiß? — Wenn er nicht in
dem bigotten England gelebt Hütte, wären keine weitere zwölf Jahre darüber
hingegangen, bis er, den Menschen in seine' Deszendenzlehre einschließend, dem
Faß vollends den Boden ausschlug, indem er auch dein bisher vermuteten Sonder¬
geschöpf den ihm zukommenden Platz auf der Stufenleiter natürlicher Organismen-
ausoilduug anwies.
„Der Mensch, das göttliche Vernunftgeschöpf, tierischem Stamme entsprossen?"
„Der Mensch, der Herr und Gebieter über alles, was da kreucht und fleucht
auf Erden, von dem häßlichen Affen abstammend?" — Dieser einzige Entrüstnngs-
schrei durchzitterte in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die
ganze gebildete Welt. Und doch hat weder Darwin selbst, noch irgend sonst
ein Naturforscher, der sich zu Darwins Anschauung bekannte, von einer Affen-
abstammung des Menschen je anch nur ein Wort verlauten lassen! Darwin
hatte ja nur behauptet, daß Menschen und nahe Verwandte der noch jetzt
lebenden vier Spezies Menschenaffen zu einer weiter zurückgelegenen Epoche der
Erdkrustenbildung ans einer gemeinsamen Stammform hervorgegangen, ein und
derselben Wurzel entsprossen sein mußten. Was, von dieser gemeinsamen Stamm¬
form aufsteigend, sich auf dein Weg zur Affenwerdnng befand, konnte zu keiner
Zeit mehr Mensch werden, so wenig als eine Stammform der Huftiere, die
einmal die Entwicklungsbahn des Rhinozeros betreten hatte, zu einem Pferd
oder Esel werden konnte.
Wenn Darwins Deszendenzlehre seinerzeit sogar die Vorsichtigeren, Bedächtigeren
in den allgemeinen Rausch mit hincinriß und für einige Jahrzehnte darin festhielt,
so geschah dies uicht zum wenigsten deshalb, weil man durch sie mit einen: Male
den Weg gefunden glaubte, um dem uns zunächst liegenden Schöpfungsrätsel des
„Zweckmäßiger" auf ganz natürliche Weise beizukommen. Der nimmer rastende
Kampf ums Dasein besorgt draußen in der Natur im großen, scheinbar beabsichtigt,
die Zuchtwahl, die wir in den uns zugänglichen Fällen zielbewußt im kleinen
anwenden, um ganz bestimmte Zwecke zu erreichen. Der so von der Natur
getroffenen Auslese zufolge bleibt uur immer das am besten ausgerüstete, deu
auf der Erdoberfläche jeweils herrschenden Lebensbedingungen am besten angepaßte
Individuum erhalten. Was nicht ankommt, verkümmert, muß mit naturgesetzlicher
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |