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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Parität

darunter verhältnismäßig viele Protestanten. In Österreich kann man nicht
gut reden von einer Zurücksetzung der Katholiken. Doch wird schon seit 1860
der Wunsch laut nach Gründung einer spezifisch katholischen Hochschule in
Salzburg.

Daß sich gläubiger Katholizismus und strenger Wissenschaftsbetrieb wohl
vereinigen lassen, wird durch die Tat vollauf bestätigt. Männer wie Pasteur.
Finale, Pastor, Perner u. a. haben einen guten Klang. Aber bei anderen
Gelehrten, welche wegen ihres Katholizismus berufen wurden, gingen die
Erwartungen wenig in Erfüllung. Wie sehr hat z. B. Gg. von Hertling sich
durch seine politische Tätigkeit zersplittert, kein ausgereiftes wahrhaft wissen¬
schaftliches Werk ist aus seiner Feder hervorgegangen. Völlig unproduktiv war
die akademische Tätigkeit anderer, z. B. des Breslauer Historikers Junkmann.
Manche katholische Gelehrten mit ihren bändereichen Kompilationen paßten
besser in die Zeit der Thesauren, ins siebzehnte Jahrhundert. So der Grazer
Historiker I. Weiß mit seiner Weltgeschichte. Auch der Betrieb an den katholisch¬
theologischen Fakultäten läßt viel zu wünschen übrig. Hier wirkten und wirken
Personen, welche geradezu Mitleid verdienen. Hierüber vielleicht später. Wer
heute nehmen unter den Gelehrten die Vertreter des Individualismus, der
Skepsis, der Hypothese einen großen Raum ein. Viele derselben, wenn auch
in frommem protestantischen Hause erzöge", stehen Religion und Kirche gänzlich
fern. Ähnlich ist es bei nicht wenigen Katholiken.

Wen soll nun die Regierung als Katholiken betrachten? Die meist
protestantischen Würdenträger können doch kein Kolloquium abhalten, um fest¬
zustellen, ob und inwieweit N. N. Katholik ist. Nun mehren sich auch die Misch¬
ehen in katholischen Gelehrten- und Beamtenkreisen mit protestantischer Kirchen-
erziehuug. Wo gehört nun ein solcher Mensch hin? Wie mancher wurde in
Preußen und Bayern als "katholischer" Professor der Philosophie berufen,
welcher nachher mit der katholischen Kirche gänzlich zerfallen ist.

Wer kann im mindesten garantieren, ob der neuernannte Beamte, Ober¬
lehrer, Universitätsprofessor X.. welcher als eifriger Katholik gilt, es wirklich
ist. es noch nach Jahren sein wird. Andrerseits soll man die Bedeutung der
Mittelschul- und Universitätslehrer nicht übertreiben. Wie mancher ist ein
tüchtiger Vertreter der katholischen Weltanschauung geworden, trotz protestantischer
und gar ausgesprochen religionsfeindlichen Professoren, und umgekehrt.

Den jungen katholischen Juristen, besonders aus der Rheinprovinz und
denk Münsterlande, ist etwas mehr preußisches Staatsbewußtsein vonnöten, sie
dürfen nicht zu sehr an der Heimatsscholle kleben, sollen auch zum Wohle des
Staates und zur eigenen Vervollkommnung freudig in den Osten sich versetzen
lassen, dort Wurzel fassen und nicht nach der Heimat lechzen.

Zum Schlüsse empfiehlt sich an die Regierung die Gewissensfrage, ob
denn wirklich immer bei der Auslese für das Beamtentum lediglich nach
sachlichen Gründen verfahren worden ist.


Parität

darunter verhältnismäßig viele Protestanten. In Österreich kann man nicht
gut reden von einer Zurücksetzung der Katholiken. Doch wird schon seit 1860
der Wunsch laut nach Gründung einer spezifisch katholischen Hochschule in
Salzburg.

Daß sich gläubiger Katholizismus und strenger Wissenschaftsbetrieb wohl
vereinigen lassen, wird durch die Tat vollauf bestätigt. Männer wie Pasteur.
Finale, Pastor, Perner u. a. haben einen guten Klang. Aber bei anderen
Gelehrten, welche wegen ihres Katholizismus berufen wurden, gingen die
Erwartungen wenig in Erfüllung. Wie sehr hat z. B. Gg. von Hertling sich
durch seine politische Tätigkeit zersplittert, kein ausgereiftes wahrhaft wissen¬
schaftliches Werk ist aus seiner Feder hervorgegangen. Völlig unproduktiv war
die akademische Tätigkeit anderer, z. B. des Breslauer Historikers Junkmann.
Manche katholische Gelehrten mit ihren bändereichen Kompilationen paßten
besser in die Zeit der Thesauren, ins siebzehnte Jahrhundert. So der Grazer
Historiker I. Weiß mit seiner Weltgeschichte. Auch der Betrieb an den katholisch¬
theologischen Fakultäten läßt viel zu wünschen übrig. Hier wirkten und wirken
Personen, welche geradezu Mitleid verdienen. Hierüber vielleicht später. Wer
heute nehmen unter den Gelehrten die Vertreter des Individualismus, der
Skepsis, der Hypothese einen großen Raum ein. Viele derselben, wenn auch
in frommem protestantischen Hause erzöge«, stehen Religion und Kirche gänzlich
fern. Ähnlich ist es bei nicht wenigen Katholiken.

Wen soll nun die Regierung als Katholiken betrachten? Die meist
protestantischen Würdenträger können doch kein Kolloquium abhalten, um fest¬
zustellen, ob und inwieweit N. N. Katholik ist. Nun mehren sich auch die Misch¬
ehen in katholischen Gelehrten- und Beamtenkreisen mit protestantischer Kirchen-
erziehuug. Wo gehört nun ein solcher Mensch hin? Wie mancher wurde in
Preußen und Bayern als „katholischer" Professor der Philosophie berufen,
welcher nachher mit der katholischen Kirche gänzlich zerfallen ist.

Wer kann im mindesten garantieren, ob der neuernannte Beamte, Ober¬
lehrer, Universitätsprofessor X.. welcher als eifriger Katholik gilt, es wirklich
ist. es noch nach Jahren sein wird. Andrerseits soll man die Bedeutung der
Mittelschul- und Universitätslehrer nicht übertreiben. Wie mancher ist ein
tüchtiger Vertreter der katholischen Weltanschauung geworden, trotz protestantischer
und gar ausgesprochen religionsfeindlichen Professoren, und umgekehrt.

Den jungen katholischen Juristen, besonders aus der Rheinprovinz und
denk Münsterlande, ist etwas mehr preußisches Staatsbewußtsein vonnöten, sie
dürfen nicht zu sehr an der Heimatsscholle kleben, sollen auch zum Wohle des
Staates und zur eigenen Vervollkommnung freudig in den Osten sich versetzen
lassen, dort Wurzel fassen und nicht nach der Heimat lechzen.

Zum Schlüsse empfiehlt sich an die Regierung die Gewissensfrage, ob
denn wirklich immer bei der Auslese für das Beamtentum lediglich nach
sachlichen Gründen verfahren worden ist.


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[0257] Parität darunter verhältnismäßig viele Protestanten. In Österreich kann man nicht gut reden von einer Zurücksetzung der Katholiken. Doch wird schon seit 1860 der Wunsch laut nach Gründung einer spezifisch katholischen Hochschule in Salzburg. Daß sich gläubiger Katholizismus und strenger Wissenschaftsbetrieb wohl vereinigen lassen, wird durch die Tat vollauf bestätigt. Männer wie Pasteur. Finale, Pastor, Perner u. a. haben einen guten Klang. Aber bei anderen Gelehrten, welche wegen ihres Katholizismus berufen wurden, gingen die Erwartungen wenig in Erfüllung. Wie sehr hat z. B. Gg. von Hertling sich durch seine politische Tätigkeit zersplittert, kein ausgereiftes wahrhaft wissen¬ schaftliches Werk ist aus seiner Feder hervorgegangen. Völlig unproduktiv war die akademische Tätigkeit anderer, z. B. des Breslauer Historikers Junkmann. Manche katholische Gelehrten mit ihren bändereichen Kompilationen paßten besser in die Zeit der Thesauren, ins siebzehnte Jahrhundert. So der Grazer Historiker I. Weiß mit seiner Weltgeschichte. Auch der Betrieb an den katholisch¬ theologischen Fakultäten läßt viel zu wünschen übrig. Hier wirkten und wirken Personen, welche geradezu Mitleid verdienen. Hierüber vielleicht später. Wer heute nehmen unter den Gelehrten die Vertreter des Individualismus, der Skepsis, der Hypothese einen großen Raum ein. Viele derselben, wenn auch in frommem protestantischen Hause erzöge«, stehen Religion und Kirche gänzlich fern. Ähnlich ist es bei nicht wenigen Katholiken. Wen soll nun die Regierung als Katholiken betrachten? Die meist protestantischen Würdenträger können doch kein Kolloquium abhalten, um fest¬ zustellen, ob und inwieweit N. N. Katholik ist. Nun mehren sich auch die Misch¬ ehen in katholischen Gelehrten- und Beamtenkreisen mit protestantischer Kirchen- erziehuug. Wo gehört nun ein solcher Mensch hin? Wie mancher wurde in Preußen und Bayern als „katholischer" Professor der Philosophie berufen, welcher nachher mit der katholischen Kirche gänzlich zerfallen ist. Wer kann im mindesten garantieren, ob der neuernannte Beamte, Ober¬ lehrer, Universitätsprofessor X.. welcher als eifriger Katholik gilt, es wirklich ist. es noch nach Jahren sein wird. Andrerseits soll man die Bedeutung der Mittelschul- und Universitätslehrer nicht übertreiben. Wie mancher ist ein tüchtiger Vertreter der katholischen Weltanschauung geworden, trotz protestantischer und gar ausgesprochen religionsfeindlichen Professoren, und umgekehrt. Den jungen katholischen Juristen, besonders aus der Rheinprovinz und denk Münsterlande, ist etwas mehr preußisches Staatsbewußtsein vonnöten, sie dürfen nicht zu sehr an der Heimatsscholle kleben, sollen auch zum Wohle des Staates und zur eigenen Vervollkommnung freudig in den Osten sich versetzen lassen, dort Wurzel fassen und nicht nach der Heimat lechzen. Zum Schlüsse empfiehlt sich an die Regierung die Gewissensfrage, ob denn wirklich immer bei der Auslese für das Beamtentum lediglich nach sachlichen Gründen verfahren worden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/257>, abgerufen am 22.12.2024.